mings, dann Kohlhasenbrück, UN überall was Warmes. Aber nu nimm Rußland. Da marschirst Du den ganzen Tag immer grad aus, un wenn Du am Abend einen begegnest und fragst ihn: „Wie weit is es noch?" so sagt er: „Fünf Meilen." Aber Du kannst nicht fragen, denn Du begegnest keinem."
Rabe nickte. Trotzdem er das Uebertriebene wohl heraus hörte, sah er doch eben so deutlich, daß diese Uebertreibung nur das scherzhafte Kleid für eine ernsthaft gemeinte Sache war. Niedlich aber sagte:
„Du vergißt blos eins, lieber Stappenbeck; sie sind ja schon in Wilna, und von Wilna bis an die Grenze is blos noch neunzig Meilen."
„Blos noch neunzig Meilen," wiederholte Stappenbeck in gedehntem Tone, in dem sich Aerger und gute Laune die Wage hielten. „Wie weit is es doch bis Alt-Landsberg?"
„Drei Meilen."
„Gut also, drei Meilen. Nn sage mir, Gevatter, denkst Du noch an den Grünen Donnerstag, es geht jetzt ins dritte Jahr, wo wir die Tour zusammen machten? Du hattest einen warmen Rock an und weite Stiefel; von dem Proviant, den wir mit hatten, will ich gar nich reden. Und nu besinne Dich, wie der Posamentier Niedlich in den Alt-Landsberger „Blauen Löwen" einrückte! Leugnen is nich, denn ich habe Dir selber den Wollfaden durch die Q-nesen gezogen. Und Du red'st von „blos neunzig Meilen".
Schnökel lachte. „Ja neunzig Meilen is eine hübsche Ecke. Aber mit dem Kaiser, Stappenbeck, is es drum noch lange nich alle. Warum soll es auch alle mit ihm sein? Is er nich heil heraus? Un sitzt er nich wieder ausgewärmt und ausgefuttert in Paris? Un seine Franzosen, die nich mitgefroren haben, die kenn' ich; die werden ihm bald wieder eine neue Armee machen."
„Nein, Schnökel, das werden sie nicht," antwortete Stappenbeck, der sich inzwischen auch eine Pfeife angezündet und den brennenden Fidibus am Tischrand ansgeklopft hatte. Nur ein paar Funken glimmten noch. „Blas an diesem Fidibus, so viel Du willst, er brennt nich wieder. Ich glaube nich, daß ihm die Franzosen eine neue Armee machen, und wenn sie's thun, wer soll sie kommandiren? Da liegt der Haas im Pfeffer. Er ist ein Deibelskerl, aber er kann doch am Ende nich allens allein besorgen."
„Des braucht er auch nicht; dazu hat er seine Generale," bemerkte Rabe.
„Die hat er eben nich. Vorläufig stecken sie noch mit erfrorenen Zehen in Rußland, und ich sage Dir, Rabe, das müßte schnurrig zugehen, wenn auch nur einer wieder nach Paris käme und seinem Empereur vermelden könnte: „Hier bin ich."
„Sollen wir sie denn alle todt machen?" fragte Niedlich mit einem gemischten Ausdruck von Schauder und Schelmerei.
„Nein, Du nicht. Deine reinen Posamentierhände sollen sich nicht mit Marschallsblut besudeln. Du kannst ihnen, denn das hast Du um Deine Puschelmütze verdient, meinetwegen die Quasten und Raupen liefern, wenn sie erst wieder hier sind. Aber, Niedlich, „wenn". Es sind freilich, wie Du sagst, blos neunzig Meilen von Wilna bis Memel, aber ich müßte die Russen schlecht kennen, wenn sie diesen Spaziergang nicht ausnutzen sollten. Und zwischen Memel und unsrem Prenzlauer Thor liegt auch noch gerade Erde genug, um ein Dutzend Marschälle und alles, was drum und dran hängt, zu begraben."
„Wer soll das thun?" fragte Rabe mit ablehnender Würde. „So was is nich Mode bei uns."
„Kann aber werden," fuhr Stappenbeck fort. „Die Noth lehrt nich blos beten, und die Welt besteht nich aus lauter Posamentiers. Ich sage Dir, Rabe, in Litthanen und Masuren werden sie schon zufassen. Aber wenn sie auch nicht zufassen, wenn sich keine Hand rührt, der liebe Gott thut es für uns. Sie fallen um wie die Fliegen. Und die paar, die bis hierher kriechen, die müssen wir irgendwo nnterbringen."
„Wo denn?"
,,'ne neue französische Kolonie; aber hinter Wall und Graben."
„Und wenn sie der Kaiser wieder haben will?"
„Dann mag er sie sich holen. Aber er wird nich; denn um die Zeit sind die Russen hier."
„Vielleicht."
„Nein, gewiß. Nimm mir's nicht übel, Rabe, das verstehe ich besser. Wer in Wnth ist, der steht nicht still. Das ist überall so. Wenn meine Frau was mit mir hat, und sie hat mitunter was mit mir, und ich geh' in die andere Stube, weil ich genug habe, was thut sie? Sie kommt mir nach. Und da geht es weiter. Das ist, was man die menschliche Natur nennt. Und der Russe ist auch ein Mensch. Erst recht. Ich sage Dir, Rabe, der Russe kommt, und der Kaiser wird nicht kommen. Denn die Franzosen haben ihn satt; und das kannst Du mir glauben, so sehr viel is auch nie mit ihm los gewesen. Ich Hab' es schon Anno sechs gesagt, als er auf seiner brandrotsten Fuchsstute hier einritt, mit seinem gelben Gesicht und den stechenden Augen. „Kinder," sagt' ich, „es is doch man ein ganz kleiner Kerl; der alte Fritz war auch kleine, aber so kleine war er doch noch lange nich." Ich bin nu mal für die Großen. So wie Saldern war oder Möllendorf."
Es schien, daß Stappenbeck noch fortfahren wollte, aber ein Krüppel, der mit zurückgebundenen Fnßstnmmeln von Tisch zu Tisch rutschte, hielt ihm eben ein Blatt entgegen und sagte: „Das is was für Sie, Herr Stappenbeck; ein Groschen, aber ich nehm' auch zwei."
Es war ein löschpapierner Bogen: „Neue Lieder, gedruckt in diesem Jahr", mit zwei Holzschnitten, von denen der eine die drei Grazien in einem ovalen Rosenkränze, der andere ans der Rückseite einen kleinen Amor darstellte.
Stappenbeck gab dem Krüppel die gewünschte doppelte Löhnung und schlug den Bogen auseinander, in dem er irgend einen sranzosenfeindlichen Reim, wie sie damals mit Hilfe solcher fliegenden Blätter verbreitet wurden, zu finden hoffte. Er überflog die Ueberschriften: „Aennchen von Tharan", „Frisch auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd", „Herr Schmidt, Herr Schmidt", „Das Gespenst in Tegel". Er wurde ungeduldig und drehte den Bogen um: „Die Schlacht bei Groß-Aspern", „O, Schill, dein Säbel thut weh"; sollte der Krüppel diese beiden gemeint haben? Aber das waren ja bekannte Sachen. Halt hier, das mußt' es sein; es hatte keine Ueberschrift, aber die beiden ersten Zeilen konnten als solche gelten.
„Lies," sagte Rabe, der dem Gesichte Stappenbecks ausah, daß er endlich gefunden hatte, was er suchte. Und Stappenbeck las:
Warte
Bonaparte;
Warte nur, warte, Napoleon,
Warte, warte, wir kriegen dich schon.
Ja der Rufs'
Hat uns gezeigt, wie man's machen muß:
Im ganzen Kremmel Nicht eine Semmel,
Und auf den Hacken
Immer nur Hunger und Kosacken,
Ja der Rufs'
Hat uns gezeigt, wie man's machen muß.
Hin ist der Blitz
Deiner Sonne von Austerlitz,
Unterm Schnee
Liegen all deine Corps d'Armüe.
Warte
Bonaparte;
Warte nur, warte, Napoleon,
Warte, warte, wir kriegen dich schon.
Die nächste Folge war, daß der Krüppel wieder herangewinkt wurde; jeder wollte jetzt seiner Frau den Spottvers mit nach Hause nehmen. Von dem Mitleid, das die Vorlesung des Bulletins begleitet hatte, war nichts mehr übrig, und besonders Schnökel wiederholte mit wachsendem, von Hustenanfällen begleiteten Behagen: „Im ganzen Kremmel nicht eine Semmel." Ihr Lesen und Lachen war an den umstehenden Tischen bemerkt worden, und ein alter Herr, der freilich nichts weniger als geneigt aussah, an ihrer Heiterkeit theilzunehmen, und von Rabe als „Herr Klemm", von Stappenbeck aber mit besonderer etwas spöttischer Betonung als „Herr Feldwebel Klemm" be-