Heft 
(1878) 28
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grüßt wurde, trat an sie heran. Die Charge, bei der ihn Stappenbeck nannte, erklärte zum Theil das Aparte seiner Er­scheinung. Er hielt sich kerzengerade, hatte das spärliche Weiße Haar mit einein großen Kamme nach hinten zu znsammen- gesteckt und trug zu seinem langen blauen Rock und schwefel­gelber Weste, ein Paar Reiterstiefel, die bis zum Knie hinauf blitzblank geputzt waren. Der hagere Hals steckte in einer steifen Binde.

Wollen Sie nich Platz nehmen, Herr Klemm?" fragte Rabe.

Haben Sie schon gelesen, Herr Feldwebel Klemm?" fügte Stappenbeck hinzu und überreichte ihm den Bogen, den er mittlerweile derart zusammengefaltet hatte, daß das Lied, auf das es ihm ankam, obenauf lag.

Klemm dankte und las den Spottvers, während er aus seiner holländischen Pfeife kleine Wölkchen blies. Er verzog keine Miene, legte, als er geendet, das Blatt wieder auf den Tisch und sagte:Die Polizei, die sich um vieles kümmert, das sie nichts angeht, macht die Augen zu, wo sie sie aufmachen sollte. Wohin führt das? Zn Krawall und Auflehnung. Und was ist das Ende vom Liede? Wir werden statt an der linken Hand an beiden Händen gebunden werden, und an den Füßen dazu."

Er schlug mit den Knöcheln seiner rechten Hand auf das vor ihm liegende Blatt und fuhr fort:Und sind wir nicht im Bündniß mit dem Kaiser? Leider zu spät; wären wir es immer gewesen, es stände besser mit uns. Aber der alte Fehler ist noch wieder zu repariren, gerade setzt. Geschieht es, gut; geschieht es nicht, ertappt er uns wieder auf dem faulen Pferde, so sind wir verloren. Bon Treue will ich nicht sprechen, die Politik braucht nicht treu zu fein; aber klug, klug, meine Herren."

Was jetzt klug ist, ist klar," sagte Stappenbeck.Er hat nur noch Trümmer; der Russe drängt nach, wir von vorn; so klatscht es zusammen, und wir haben ihn unter der Fliegen­klatsche."

Fliegenklatsche! Sie machen die Rechnung ohne den Wirth, Herr Bürstenmacher Stappenbeck. Der Russe wird nicht nach- drängen, glauben Sie mir. Aber wenn er nachdrängt, wenn er über den Niemen geht und über die Weichsel, dann werden Sie freilich so was ähnliches haben, aber nicht Fliegenklatsche, sondern Mausefalle. Und wer steckt drin? Der Russe."

Das wäre. Da bin ich doch neugierig," sagte Rabe.

Bitte, Herr Niedlich, wollen Sie mir ein Stück Kreide geben."

Niedlich sprang auf.

Nein, ich danke Ihnen, ich finde hier noch ein Stück in meiner Tasche."

Damit schob der strategische Feldwebel die Gläser in eine Ecke zusammen, und zog von oben nach unten einen Strich über den grünen Tisch hin.Dieser dicke Strich also," hob er an, ist die Grenze, rechts Rußland, links Preußen und Polen. Achten Sie darauf, meine Herren, auch Polen. Dieser Punkt hier links ist Berlin, und hier zwischen Berlin und dem dicken russischen Grenzstrich diese zwei kleinen Schlängellinien, das sind die Oder und die Weichsel. Nun müssen Sie wissen, an der Oder und Weichsel hin, in sechs großen und kleinen Festungen, stecken dreißigtausend Mann Franzosen und ebenso viele stecken hier unten in Polen in einer sogenannten Flankenstellung, halb schon im Rücken. Ich wiederhole Ihnen, achten Sie darauf, denn in dieser Flankenstellung liegt die Entscheidung. Jetzt drängt der Russe nach; schwach ist er, denn wenn eine Armee friert, friert die andere auch, und schlottrig geht er über die Weichsel. Und nun geschieht was? Von den Oderfestungen her treten ihm dreißigtausend Mann ansgeruhte Truppen entgegen, von der Flankenstellung her andere dreißigtausend Mann, legen sich ihm vor und schneiden ihm die Rückzugslinie ab. Und klapp, da sitzt er drin. Das ist, was man eine Mausefalle nennt. Ich mache mich anheischig, Ihnen die Stelle zu zeigen, wo die Falle zuklappt. Hier dieser Punkt. Es muß Cvslin sein oder vielleicht Filehne. Ich gehe jede Wette ein, zwischen Cöslin und Filehne kapitulirt die russische Armee. Wie Mack bei Ulm. Was nicht kapitulirt, ist todt."

Und ich glaub' es alles nicht," sagte Stappenbeck und wischte mit dem Aermel seines Flanschrocks die ganze Mause­falle vom Tisch weg.

Ich kann Ihren Glauben nicht zwingen," sagte Klemm mit einer Miene ruhiger Ueberlegenheit. Es ist ein eigen Ding mit der Kriegswissenschaft; Bürstenmacher können sie haben"

Und Feldwebel

Aber auch nicht," schloß Klemm seinen Satz.

Aber auch nicht," wiederholte Stappenbeck.

Schnökel war diesen Schraubereien mit einem schweren astmatischen Lachen gefolgt; Rabe aber, dem alles, was zu Zank und Streit führen konnte, zuwider war, erhob sich und sagte:Es ist Zeit, Ihr Herren, ich gehe; wer kommt mit?" Alle folgten der Aufforderung, steckten die Blätter, die sie ge­kauft hatten, zu sich und schritten mit einem kurzenGuten Abend, Herr Klemm!" an diesem vorüber auf die Thür zu. Als sie diese fast schon erreicht hatten, kam ihnen ein gelb­licher mittelgroßer Hund nachgesetzt und schoß ängstlich, weil er sich vergessen glaubte, dem kleinen Niedlich durch die Beine hindurch, so daß dieser nur mit Mühe seine Balance hielt. Es war Kratzer, Stappenbecks Spitz, der sich die ganze Zeit über an allen Tischen, wo Kinder saßen, mit Kringelfangen beschäf­tigt hatte, ein häßliches Thier, ebenso storr und widerhaarig wie sein Herr. Jetzt sprang er an diesem in die Höhe, winselte, bellte und jagte, als er draußen im Freien war, kreuz und quer über das Plateau des Windmühlenberges hin, ersichtlich froh, nach dem Gesellschaftszwang der letzten Stunden sich wieder austoben zu können.

Die vier Bürger hielten sich auf dem ziemlich breiten Fußwege, den die zahlreichen Gäste des Wieseckeschen Lokals nach dem Prenzlauer Thore hin in dem dicht liegenden Schnee gestapft hatten. Rabe, trotzdem es kalt war, bewahrte seine distinguirte Haltung; die drei anderen aber, die sich wenig um ihr Aussehen kümmerten, hatten die Mützen ins Gesicht gezogen und sich bis an die Ohren hinauf in ihre dicken gestrickten Shawls gewickelt. Schnökel, der bei Ostwind nicht sprechen konnte, blieb etwas zurück; Niedlich hielt Linie mit den beiden andern, aber nur mühsam, da er ein Trippler war.

Das Gespräch wollte nicht gleich in Gang kommen; end­lich begann Rabe, der mehr ausdauernd als schnell von Ge­danken war:

Ich glaube doch, Stappenbeck, Du hast ihn zu despek- tirlich behandelt. Ich hab's mir nämlich überlegt. Erstens ist er ein alter Mann, zweitens ist er ein Soldat, und drittens hat er die Schlacht bei Torgan gewonnen."

Das hat er," fiel Niedlich ein, der bestimmt ausgesproche­nen Sätzen eines andern, besonders aber, wenn sie von Rabe kamen, gern zustimmte.

Stappenbeck blieb stehen und pfiff seinem Hund. Kratzer kam in großen Sätzen heran, blaffte ein paarmal und jagte dann wieder, als wäre der böse Feind hinter ihm her, in wildem Zickzack über den in Schnee liegenden Windmühlenberg hin.Seht," sagte Stappenbeck,so hat Klemm die Schlacht bei Torgau gewonnen. Immer die Beine in die Hand. Er ist gelaufen, daß es eine Freude war."

Aber er soll ja doch gesammelt haben," nahm Nabe wieder das Wort.Ich entsinne mich der Sache ganz genau. Wie heißt Er?" frug ihn der König, als er ihn die zerstreuten Gre­nadiere wieder in Reih und Glied bringen sah.Klemm, Euer Majestät."Na, das ist brav, mein lieber Klemm; ich werd' es Ihm nicht vergessen." Und dann ritt der König weiter. Ich Hab' es ihn selber erzählen hören."

Wen? Den König?"

Nein, Klemm."

Stappenbeck lachte.Rabe, Du hast blos einen Fehler, Du glaubst alles. Ich kenn' diesen Patron besser. Er ist nicht einer von den Grenadiers, die bei Torgau gesammelt haben, sondern einer von denen, die gesammelt worden sind. Und das mit des alten Fritzen eigenhändigem Krückstock.Rackers, wollt Ihr denn ewig leben?" An diesem allergnädigsten Zu­ruf hat unser Klemm seinen ehrlichen Antheil."