Heft 
(1878) 28
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schroffer Anwendung ebenso sehr zerstören als schützen. Dein Schutzzoll redet nur ein Theil der Fabrikanten das Wort; Cottbus hat in Großenhain seinen Austritt aus dem Fabrikanten- verein erklärt, als dieser sich für den Schutz der Wollenwaaren von Seiten der Regierung anssprach. Freilich aber wie der Musterschutz sich da von Wichtigkeit erweist, wo eine thenere Waare in geschmackvollem Muster eine Konkurrenz schwer er­trägt, wenn ein Fabrikant sie in billiger Wolle genau kopiren würde, was eben der Musterschutz jetzt wenigstens unmöglich macht, so ist auch darin ein Schutz durch den Zoll nicht zu I verwerfen, wenn in Handelsverträgen für das Wollengewerbe ! das Prinzip der Gleichberechtigung zur Geltung gebracht wird. ^ Daß dies geschehe, kann und muß der Fabrikant verlangen, sein Absatzgebiet wird ihm aber im übrigen nur seine Intelligenz erschließen, sowie die Güte seines Produktes.

Im Sinne aber der oben berührten Verhältnisse bitten wir um ein kräftiges Eingreifen der Regierung in unsere Ver­hältnisse.

Freilich aber wird auch das deutsche Volk seine Inter­essen in anderer Weise, als bisher geschehen, zur Geltung zu bringen haben. So lange aber der Kreisrichter und der Uni­versitätsprofessor für die berufensten Vertreter des deutschen Volkes im Parlamente gilt, sind wir diesem Ziele wohl noch sehr fern. Aber rüsten wir uns für die Zukunft. Und wenn wir uns zu der Höhe einer nationalen Kunst werden auf­geschwungen haben, wenn die Erzeugnisse des Kunstgewerbes ein wahrhaft nationales Gepräge tragen werden, dann werden auch die Erzeugnisse des Niederlausitzer Wollengewerbes mit Stolz als die Kleidung des deutschen Mannes bezeichnet werden.

Dr. Edm. Veckenstedt.

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Wor dem Sturm.

Historischer Roman von Theodor Fontane.

(Fortsetzung.)

Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. N).

XXXI. Auf dem Windmühlenberge.

In demWieseckeschen Saal auf dem Windmühlenberge", in dem erst am Abend vorher der große Sylvesterball statt- gesunden hatte, waren am Neujahrstage wohl an hundert Stammgäste mit ihren Frauen und Kindern versammelt. Alles war wieder an seinem alten Platz, und aus derselben Stelle, wo sich vor kaum vierundzwanzig Stunden die Paare gedreht hatten, standen jetzt, als ob der Ball nie stattgefunden hätte, die grün gestrichenen, etwas wackeligen Tische mit den vier Stühlen drnm herum; und zwischen den Stühlen und Tischen, hin und her und auf und ab, preßte sich eine Schar von Verkäufern, die hier seit vielen Jahren heimisch und fast ein zugehöriger Theil des Lokales geworden waren: alte Mütter­chen mit Schaumkringeln und Zimmetbretzeln, primitive Tabulell krämer, in deren vorgebundenen Kästchen Stahl und Schwamm, Schwefelfäden und bläue Glasperlen zum Verkaufe lagen, end­lich Stelzfüße, die neben den beiden Berliner Zeitungen auch allerhand Flugblätter feilboten. Ueber dem Ganzen lag eine angesäuerte Weißbierluft, die durch Lichterblak und Tabaks- qnalm ziemlich beschwerlich werdend, nur dann und wann sich auffrischte, wenn ein Glas dampfenden Punsches vorüber ge­tragen wurde.

An einem dieser Tische, der halb schon unter der Mnsik- empore stand, saßen vier Berliner Bürger, zwei von ihnen in eifrigem Gespräch, die beiden andern eben so eifrige Zuhörer. Es waren Nachbarn aus der Prenzlauer Straße: der Schorn­steinfegermeister Rabe, der Bürstenmacher Stappenbeck, der Posamentier Niedlich und der Mehl- und Vorkosthändler Schnökel. Alle vier Männer von vierzig Jahren und drüber, Niedlich und Schnökel in demselben Hause wohnend, nur durch den Flur getrennt.

Rabe war der angesehenste unter ihnen und hatte nicht nur das, was die meisten Schornsteinfegermeister zu haben pflegen: gute Haltung, frischen Teint und weiße Zähne, sondern auch einen wundervollen Charakterkopf, der jedem Chefpräsi­denten Ehre gemacht haben würde. Er wußte das auch und ver­fuhr darnach, ließ sich lieber erzählen als daß er selber erzählte, und vermied, obschon er ans einer alten Berliner Familie stammte, alle großen Worte. Er war der Drosselstein dieses Kreises, das aristokratische Element, wie denn die Schornstein­fegermeister, bei denen das Geschäft von Vater auf Sohn geht, wirklich eine Art Bürgeradel bilden.

Wenn Rabe der Drosselstein dieses Kreises war, so war Stappenbeck der Bamme. Niedlich warf ihm vor, daß er den Bürstenmacher nicht verleugnen könne, und das traf in allen Stücken zu; denn wie sein Haar, so war auch seine Manier und Sprechweise: die Borsten immer nach oben. Ein echter Berliner. Er stand an Ansehen hinter Rabe zurück, war ihm aber an Wissen und Witz und selbst an Erfahrung weit über­legen. Er hatte Reisen gemacht, war um seines Geschäftes willen, das er mit Eifer und Umsicht betrieb, in Polen und Rußland gewesen, und galt seit Beginn des Zuges gegen Mos-

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kau in allen russischen Lokalfragen als unanfechtbare'Autorität. Selbst Rabe, ohnehin zu vornehm, um lange zu streiten, unter­warf sich seinen Weisheitssprüchen, die von dem festen Boden der Landeskenntniß aus allerdings mit Vorliebe in das Politisch- Militärische hinüber spielten.

Sein Gegensatz war Posamentier Niedlich, ein kleiner artiger Mann, dessen Redseligkeit nur durch seine Aengstlichkeit gezügelt wurde. Er trug einen hellgrünen Rock und, weil er an Kopfreißen litt, ein Käpsel von geblümtem Sammetmanchester mit einer Puschel daran,dem Zeichen seines Standes", wie Stappenbeck versicherte. Er konnte, von Geschäftswegen an ein beständiges Hin- und Herhüpfen gewöhnt, nie länger als fünf Minuten sitzen bleiben, ganz einem Zeisig ähnlich, der es nicht lassen kann, die Sprossen seines Bauers auf und ab zu springen. '

Auf seinen mageren Backen brannten zwei scharf abgezirkelte i

rothe Flecke, als ob er hektisch oder echausfirt sei; er war '

aber weder das eine noch das andere.

Den Schluß machte Schnökel. Er war der Baß dieses kleinen Männerkonzertes, in Stimme wie Figur. Ein großer !

starker Mann mit kurzem Hals; das Bild des Apoplektikus, ^

ein gründlicher Kenner in Sachen Berliner und Cottbuser Weiß- ^

bieres. Er schmeckte nicht nur die Sorten, sondern auch die Lagerungstage heraus, trank, rauchte und schwieg. Nur dann und wann, wenn das wiederholte Klopfen mit dem Deckel nicht geholfen hatte, ries er über alle zwischenstehenden Tische hin­weg mit Stentorstimme nach einer neuenWeißen".

Stappenbeck hatte dieBerlinische Zeitung" unter seinem linken Ellbogen. Es war die Nummer vom 26 . Dezember, aus der er seinen drei Genossen eben die Hauptstellen des darin abgedruckten neunundzwanzigsten Bulletins vorgelesen hatte.

Mit der Rechten fuhr er, sich aufzufrischen, in die große Schnupf­tabaksdose, die zwischen ihnen mitten auf dem Tische stand; Rabe rauchte still, Schnökel in großen Wolken, während Nied­lich, ein ausgesprochener Nichtraucher der, so lange die Vor­lesung dauerte, zu Stappenbecks äußerstem Mißbehagen ein ganzes Dutzend Zuckeroblaten geräuschvoll zerbrochen und auf­gegessen hatte jetzt eine alte Frau heranwinkte, um sich den Schaumkringeln zuzuwenden.

Die Schilderung des Ueberganges über die Beresina, wo­mit der in der Zeitung gegebene bloße Auszug des Bulletins abschloß, hatte, namentlich bei Rabe, neben der Patriotischen ^ Freude doch auch menschliche Theilnahme geweckt und es war nicht ohne Bewegung, daß er vor sich hinsprach:

Gerichte Gottes! Was wird aus ihm, Stappenbeck? Kann er sich von diesem Schnee- und Eisseldzuge wieder er­holen?" '

Wie sich ein Karpfen erholt, wenn das Eis bis ans den Grund gefroren ist; er muß sticken. Ich sage Dir, Rabe, es ^ is alle mit ihm. Du mußt nicht vergessen: erstens die Gegend i

und dann den Schnee, und dann das Volk. Ich kenn' es. Das !

ist ja nich so wie hier bei uns. Nehmen wir an, Du willst nach Potsdam; ja, da is erst der schwarze Adler, dann Stim-