Heft 
(1878) 28
Seite
452
Einzelbild herunterladen

Du kannst ihn nicht leiden, Stappenbeck, und auf wen Du 'mal eine Pike hast"

Den pik' ich, aber diesen Feldwebel Klemm noch lange nicht genug. Er ist ein schlechter Kerl durch un durch. Eine Memme, ein Großmaul und ein Schnurren."

Ein Schnurrer?" fragte Rabe.

Ja, ein Schnurrer ist er," fiel hier Niedlich ein, der rasch erkannt hatte, daß sich die Partie schließlich doch wieder zu Stappenbecks Gunsten entscheiden werde.Ein Schnurrer ist er. In Sommer sitzt er auf den Gütern fest, bei den Bre- dows und den Rohrs, die sind gutmüthig; das ist denn so seine Weidezeit; un wenn so Anfang Dezember geschlachtet wird, da kommt er schon mit langen Neujahrswünschen, blos damit er sich wieder in Erinnerung bringt. Er kriegt auch Almosen. Un was für welche! Ich habe ihn selber die Dukaten putzen sehen."

Na, na," sagte Rabe,wenn er ein hilfsbedürftiger Mann ist"

Ein Geizhals ist er un ein Schuft dazu," uahm Stappen­beck, immer mehr sich ereifernd, wieder das Wort und zog den dicken Shawl, der ihn am Sprechen hinderte, etwas tiefer unter das Kinn.Ich weiß, was ich sage; er wohnt bei meiner Frau Bruder im Hause; die kennen ihn; er ist ein Mantel­träger, ein Spion."

Na, na," wiederholte Rabe.

Und wenn er kein Spion ist, was ich ihm nicht beweisen kann, wenn ich es auch fest und sicher glaube, so ist er doch eine undankbare Kreatur. Was Niedlich erzählt hat, wie er sich bei den havelländischen Adligen, die ich alle kenne von wegen der Borsten, immer wieder heraus futtert, das war vor­dem un das war seine gute Zeit. Ich meine seine ehrliche Zeit. Denn ich bin auch nich so, un gönne jedem seine Satte saure Milch un auch noch was dazu. Aber seit Anno 6 kennt

unser Klemm die Havelländischen nich mehr. Un auch die andern nicht, wo er sonst sein seldwebliges Einlager hielt. Er hat die Herrschaft gewechselt. Das thut kein Hund nich. Kratzer!" Seht, da kommt er schon wieder. Kusch dich, Kratzer. Es ist ein treues Thier. Aber dieser Klemm, keine acht Tage, daß die Löffelgarde durchs Hallesche Thor gezogen war, so war er schon liebes Kind mit all und jedem, drängte sich an die Generals und machte den Complisanten. Da gab es denn Louisdors statt der Dukaten. Ein Schweifwedler ist er und ein Gelegenheitsmacher. Und wie er vor Jena die Franzosen sammt ihrem Kaiser aufgefressen hat, so frißt er jetzt die Russen auf un zeichnet uns mit Kreide dieMausefalle" auf den Tisch, drin er sie fangen will. Aber ich Hab' es ihm angestrichen."

In diesem Augenblicke klangen zwei französische Signal­hörner, bald auch der dumpfe Ton einer Trommel herüber und unterbrachen den Redestrom Stappenbecks, der sein letztes Wort noch nicht gesprochen zu haben schien. Alle vier blieben stehen und horchten auf, denn auch Schnökel war mittlerweile herangekommen. Der letzte, der sich einfand, war Kratzer; er legte seinen Hals an das Knie seines Herrn, schnoberte in der Luft umher, winselte und gab sich das Ansehen, als ob er auch so seine Betrachtungen habe.

Sie blasen Rctraite," sagte Stappenbeck mit einem Tone, der den Doppelsinn seiner Rede ausdrücken sollte.

Gebe es Gott!" antwortete Rabe.

Dann, während die Hörner verklangen, setzten die Männer ihren Heimweg fort. Vor ihnen lag die Stadt mit ihren tausend Lichtern, bis endlich ein Hohlweg, der vom Plateau aus nach dem Thore hinunterführte, ihnen den Anblick der Lichter entzog.

Aber die Sterne des Winterhimmels standen über ihnen und funkelten hell in das neue Jahr hinein.

(Fortsetzung folgten Nr. 30.)

Kin Ausflug nach Karpineto, der KeöurtsstadL Leos XIII.

Von Leopold Witte.

Nachdruck verboten. Ges. v. II./IV. 70.

Es war eine abscheuliche Villeggiatur gewesen. Sonnen­brand und Scirocco, feuchte und trockene Hitze ohne Ende wollten selbst im luftigen Frascati keine rechte Erfrischung aufkommen lassen. Eine gelegentliche Fahrt in die Brüthitze Roms hinein überzeugte wohl das undankbare Gemüth, wie vortrefflich man außerhalb dieses Backofens situirt war. Aber die damit erzielte Selbstbeschwichtigung hatte doch keinen reelleren Werth, als wenn man etwa bei uns aus den heißen Sommerstubcn kurz entschlossen einen Gang nach dem Boden unternimmt, um an den noch höheren Wärmegraden unter dem Dache schätzenswerthe Zu­friedenheit zu lernen. Unserer kleinen deutschen Kolonie in Fras- ccti bemächtigte sich unter diesen Umständen das immer klarer sich geltend machende Gefühl: wenn die Billeggiatnr von 1859 nicht mit einem Fiasko abschließen sollte, so mußte noch irgend etwas unternommen werden, wodurch Leib und Seele zu ihrem unbestreitbaren Rechte auf solide Erholung kommen konnten.

Das ehrwürdige Haupt unserer kleinen Schaar, um das wir uns fast täglich sammelten, der greise Direktor Peter Cor­nelius, verzichtete freilich bei seinen Jahren von vornherein auf die Betheiliguug. Die beiden Familienväter unter uns, Pro­fessor Henzen vom archäologischen Institut und sein Schwager, Bildhauer Steinhäuser, brachten es mit Weib, Kind und Kegel wenigstens zu einer äußerst gelungenen Tour nach Rocca di Papa und der obersten Spitze des Albanergebirges, dem Monte Cavo. Wir junges Blut aber, ein holsteinscher Archäologe, dem ich nach seinem schönen Musensitz am Rhein hiermit einen herzlicheil Gruß sende, ein Schweizer Kandidat, der eben aus seiner Heimat angekommen war lind die verzweifeltsten Versuche machte, sein kernigesSchwyzer Dütsch" mit den sanfteren Hauchen der südlichen Zunge einigermaßen in Harmonie zu bringen, und meine Wenigkeit, wir spannten die Flügel unserer Sehnsucht weiter aus und planten eine Excursion in die nahen Montes Lepini, die stolzen Felsenhäupter der ehemaligen Volsker und Herunter.

Vom Monte Cavo brachen wir, ein munterer Dreimänner­

bund (die Normälzahl für alle Reisegenossenschaft) an jenem

11. September 1859, uns von unserer freundlichen Villeggiatur- gesellschaft trennend, nach Nenn auf und wunderten im Abend­sonnenschein noch bis Bclletri, damals der Hauptstadt der gleich­namigen kirchenstaatlichen Provinz.

In der Nacht tobte ein entsetzliches Gewitter sich in den Bergen ans und trieb den lähmenden Scirocco nach seiner afrikanischen Heimat zurück. Eine steife Tramontana, der allen Jtaliareisenden so hochwillkommene Nordwind, fegte die letzten Wolken ins Meer, und ein goldiger Morgen weckte uns am

12. September zum Marsch in die Volskerberge. Auf be­quemem, walddurchzogenen Fußpfade überschritten wir das Quell­gebiet der Pontinischcn Sumpsgewässcr, den niedrigen Sattel, der das elliptisch aus der latinischen Ebene aufsteigende vulka­nische Albanergebirge von den Kalkfelsen des Apennin trennt.

Bei Giulianello, einem verfallenen, aber überaus keck am Berge aufsteigenden Dorfe mit schönem Aldobrandinischen Schlosse begann die Steigung. Ein herrlicher Nlmengang führte empor. Immer weiter dehnte der Blick über die un­geheure Ebene sich aus, je höher wir stiegen, von den Hügel­ketten Tolfas bei Civitä Vecchia bis zu den zackigen Ponza- inseln, von denen schon der Vesuv geschaut werden kann. In zwei gewaltigen Absätzen, großartig an die Felsenschulter ge­lehnt und von cyclopischen Mauern rings umzäuut, lag bald Coriamonte vor uns, eine wunderliche Bergstadt aus grauestem Alterthum, mit seinen Riesenbauten durch die Zeit der römischen Republik und ihrer eleganten Tempel in die nüchterne Gegen­wart hineinragendö

Nach einer höchst primitiven Mahlzeit bei Filippuecio, bei welcher der feurige Wein das beste thnn mußte, ging die Reise weiter. Der schmäle Pfad führte steil hinauf nach dem Rücken der Bergkette, und auf dem Kamm entlang schreitend, schwelgten wir in der unendlichen Aussicht uach dem Meere zu.

Mit Norma war nach beschwerlichem Marsche das Ziel