Heft 
(1878) 30
Seite
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Kirche des Hofes war. Gewissensbedenken waren der Zeit der Aufklärung fremd. In dem Ansehen feiner Stellung änderte der Regierungswechsel nichts, wenn schon die Stellung selbst eine andere wurde; er schied ans dem auswärtigen Amt, um den Generalvberfinanzdirektorium, Abtheilung für die Domänen, zugewiesen zu werden. Seine landwirtschaftlichen Kenntnisse, die bedeutend waren, konnten hier eine vorzügliche Verwen­dung finden. Mit Uebernahme dieses Amtes war auch sein Wohnungnehmen in dem alten Palais in der Königsstraße verknüpft gewesen. Er bewohnte es jetzt seit fünfzehn Jahren, Kathinka war in demselben herangewachsen.

Ob ihn von Zeit zu Zeit eine Sehnsucht nach Bjalanowo und dem alten Schloß mit den vier Backsteinthürmen, an das sich die schönsten und die schwersten Stunden seines Lebens knüpften, beschlich, wer wollte es sagen! Kein Wort, das dar­auf hingedeutet hätte, kam je über seine Lippen. Er schien glücklich in seinem Adoptivvaterlande, vielleicht war er es auch, und fest entschlossen in seine alte Heimat, auch wenn derselben ihre staatliche Selbständigkeit, wie es einen Augenblick schien, wiedergegeben werden sollte, nicht zurückzukehren, hielt er sich zu den prinzlichen Höfen, um von diesem festen gegebenen Punkte aus in allmählich intimer werdende Beziehungen zu dem Adel des Landes hineinzuwachsen. Er lebte, mehr als er es sich gestand, nur noch der Durchführung dieser Pläne, in denen er sich übrigens durch seine SchwägerinTante Amslie" unterstützt wußte, und sah deshalb nichts lieber als die An­wesenheit seiner Kinder in Hohen-Vietz. Eine Doppelheirath mit einer alten märkischen Familie stellte den Schritt erst sicher, den er gethan hatte, und beruhigte ihn über die polnischen Sympathien Kathinkas, die, was immer der Grund derselben sein mochte, ihm kein Geheimniß waren.

Der Geheimrath hatte mittlerweile seine Lektüre beendet; er schob die Blätter bei Seite und klingelte. Ein eintretender Diener brachte die Chokolade, und ehe er noch das Zimmer wieder verlassen konnte, kam schon das Windspiel aus seinem Korbe herbei, diesmal nicht verdrießlich, und drängte sich an die Seite seines Herrn. Der Geheimrath lächelte und warf ihm die Bisquits zu, denen diese Zärtlichkeit gegolten hatte. Erst jetzt nahm er einen Brief wahr, der auf demselben Tablett lag und die charakteristischen Schriftzüge Tante Anwliens j zeigte. Er war einigermaßen überrascht. Erst am Abend vorher zu später Stunde waren Tubal und Kathinka von Schloß Guse zurückgekehrt, die Zeit sie zu begrüßen hatte sich noch nicht gefunden und schon war ein Brief da, der also die Reise nach Berlin ziemlich gleichzeitig mit ihnen gemacht haben mußte. Der Geheimrath erbrach das Siegel und las:

Non ollsr Ladalinski! Tubal und Kathinka haben mich erst vor einer Stunde verlassen, mit ihnen u inon Zrunä rs^rst voinoissllo ^loosts, deren Sie sich, mein Theurer, aus alten Rheinsberger Tagen entsinnen werden. Ich empfinde, ganz gegen meine Gewohnheit, eine Lücke und fülle sie am besten aus, indem ich über die Kinder spreche, deren Anwesenheit ! mir die letzten Tage so angenehm gemacht hat. Je mehr ich ! mich ihrer freute, st sn eilst xllis js in'sn i-sjouiLsam, desto lebendiger wurde mir wieder der Wunsch jener liamou äoullls, die wir so oft besprochen haben. Ich habe mich ganz in die Vorstellung hineingelebt, Tubal in Guse schalten und walten und den alten Derfflinger, der unter meinen Händen nur eben sein Dasein fristet, auf seine alte Höhe gehoben zu sehen. Des Beistandes, dessen er dazu bedarf, darf er von Hohen-Vietz aus sicher sein. Die schönen Frauen verschiedener Nationalität sind dort heimisch; meine Großmutter, avso uu tsint äs st äs 1-086, war eine Brahe, Berndts Frau eine Dumoulin, und es würde mich glücklich machen, diesen Kreis ! durch unfern Liebling erweitert zu sehen. Vorm savox tont oslu cloMM loirZüsraps. Nais 1s8 ollosos vs ss tont xu8 ä'aprsL Nos volontöL. Des jungen Hohen-Vietzer Volkes bin ich sicher, aber nicht des Hauses Ladalinski. Kathinka nimmt Lewins Huldigungen hin, im übrigen spielt sie mit ihm; Tubal hat ein Gefühl für Renate, ^ui us l'aurait xas? aber dieses Gefühl ! bedeutet nichts weiter als jenes Wohlgefallen, das Jugend und ! Schönheit allerorten einzuflößen wissen. So seh' ich Schwierig­

keiten, die mir bei Kathinka in der Gleichgiltigkeit, bei Tubal in der Oberflächlichkeit der Empfindung zu liegen scheinen. Lt l'uQ 68 t aii 88 i inauvam gus l'autrs. Es ist offenbar, daß Kathinka eine andere Neigung unterhält; die Gegenwart des Grasen in Ihrem Hause stört unsere Pläne, und doch ist sie nicht zu ändern; alles was sich ziemt, ist Achtsamkeit und Ver­meidung dessen, was das Feuer schüren könnte. Ihre Klug­heit, llion eben bsuu-trsro, wird das richtige treffen. Ich ver­spräche mir am meisten von Trennungen. Lewin muß aus seinem engen Kreise heraus; er muß vor allem die literarischen Allüren abstreisen. Er nimmt diese Dinge gründlicher und ernsthafter, als sich mit dem Edelmännischen verträgt, das wohl ein Interesse haben, aber nicht fachmäßig sich enga- giren soll. Bleiben wir in guten Beziehungen zu Frank­reich, somms jo 80ubaittz Liussi-smsut, so würde ich einen ein­jährigen Aufenthalt in Paris als ein Glück für ihn an sehen.

Er würde das Weltmännische gewinnen, das ihm jetzt fehlt, und aus das Kathinka einzig und allein Gewicht legt. lR jo LE än rasrus avi8. äs lamais insiitioiräs lu llruirss. Mein Bruder würde mich auf Hochverrat!) verklagen, wenn er wüßte, daß ich von einerFortdauer guter Beziehungen" gesprochen habe. Und doch ist es gerade sein Gebühren, was mich diese Wünsche noch mehr betonen läßt, als es ohnehin meinen Sympathien ent­spricht. Il OI-FUES tont lo nionäs. Das ganze Odcrbruch aus und ab schreitet er zu einer Volksbewaffnung, für die er hundert Namen hat: Landlvehr, Landsturm undletztes Aufgebot". In seinem Eifer übersieht er, wie diese letzte Bezeichnung, anstatt Furcht einzuflößen, nur tragikomisch wirken kann. Drossel­steins hat er sich bemächtigt; von Bammc spreche ich gar nicht, der immer mit dabei sein muß, wenn es etwas gilt, in dem sich Thorheit und Waghalsigkeit den Rang streitig machen. 0'68t 80U uiötior. Es erheitert mich, wenn ich mir seine Groß- und Klein-Otuirlsdorfer als mittelmärkische Guerillas denke. Diese Dorfschasten, in denen im Durchschnitt keine sechs Jagd­flinten aufzutreiben sind, wollen sich dem Marschall Ney ent- gegensteüen, u l^s^, Io bsr03 cts !a NoLÜnu. tzuuut ü inoi, ich habe nur den Eindruck des Wahnsinns von diesem extra­vaganten Thun und hoffe, daß die Weisheit des Staatskanz­lers, der ich unbedingt vertraue, uns vor einer Politik bewahrt, die uns vernichten und nicht einmal das Mitleid der anderen Staaten sichern würde. Our Io riäisuls no trouvs jumum «io xitls. Ich sehe stilleren Zeiten und stabileren Zuständen ver- trauungsvoll entgegen; Rußland ist keine aggressive Macht; Frankreich wird seine Welteroberungspläne begraben und nach einer Epoche zwanzigjähriger Unruhe eine Epoche des Friedens folgen lassen, ä'sn mim souvuinsu. Paris wird wieder wer­den, was es immer war und was es nie hätte aufhören sollen zu sein: Io ssutrs äo lu civiliLutiou suroxssuus. 4s ls äsLiro äuim l'iutsrst uinvsr8s1 st äuii8 ls uötrs. l)isu vsuills vouL xirsuärs äuim 8a Luiuts §uräs, moir sllsr Imäuliimlä. Rout ü vou8 votrs soumus Vmslis U." (Der Mittelpunkt der euro­päischen Civilisation. Ich wünsche es im allgemeinen Interesse und in dem unsrigen. Gott wolle Sie in Seine heilige Ob­hut nehmen, mein thenrcr L. Ganz die Ihrige re.)

Der Geheimrath legte den Brief aus der Hand, dessen politische Meinungen einen geringen, die voranfgehenden Be­merkungen über Kathinka und Bninski aber einen desto größeren Eindruck ans ihn gemacht hatten. Er las die Stelle noch einmal:Die Gegenwart des Grafen in Ihrem Hause stört unsere Pläne, und doch ist sie nicht zu ändern; alles was sich ziemt, ist Achtsamkeit und Vermeidung dessen, was das Feuer schüren könnte." Als er aufsah, fiel sein Blick auf das schöne Frauenbild ihm gegenüber, und allerhand Erinnerungen, in die sich zum ersten Male auch Befürchtungen für die Zukunft mischten, drängten sich ihm auf. Er kannte die Geschichte so vieler Familien.Es erben ..." aber ehe er den Gedanken aussprechen konnte, grüßte ihn der Zuruf:Guten Morgen, Papa," und auf seinem Sitze sich wendend sah er Kathinka, j die, den Kopf durch die Portiere steckend, ihm freundlich zu­nickte. Im selben Augenblicke war sie an seiner Seite, und unter ihren Liebkosungen schwanden die trüben Bilder, die noch eben vor seiner Seele gestanden hatten. (Fortsetzung folgt.)