Heft 
(1878) 31
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auf der Wylichschen Soirde geglänzt hatten. Und nun begann der Tanz, der damals in den Gesellschaften unserer Hauptstadt Mode werdend, dennoch, so oft Polen oder Schlesier von jenseit der Oder zugegen waren, in begründeter Furcht vor ihrer Ueberlegenheit immer nur von diesen getanzt zu werden pflegte.

Lewin hatte sich bis in die vorderste Reihe der Zu­schauer geschoben und überblickte wieder den Saal wie eine halbe Stunde vorher. Von den vier Paaren, die sich in zierlicher Bewegung drehten, sah er nur eins, und während er hingerissen war von der Schönheit der Erscheinung, beschlich ihn doch zugleich das schmerzlichste der Gefühle, das Gefühl des Zurückstehenmüssens und des Besiegtseins, nicht durch Laune oder Zufall, sondern durch die wirkliche Ueberlegenheit seines Nebenbuhlers. Er empfand es selbst. Alles was er sah, war Kraft, Grazie, Leidenschaft; was bedeutete daneben sein gutes Herz? Ein Lächeln zuckte um seine Lippen; er kam sich matt, nüchtern, langweilig vor. Die alte Gräfin Reale, seiner an­sichtig werdend, setzte wieder die großen Krystallgläser auf und ließ nach kurzer Musterung das Lorgnon fällen mit einer Miene, die das Urtheil, das er sich selber eben ausgestellt hatte, unter­siegeln zu wollen schien. Die beiden Locken des Fräuleins von Bischofswerder hingen noch länger und trübseliger herab. Es schien ihm alles ein Zeichen.

Der Tanz war vorüber; alles drängte in den Saal, um den vier reizenden Damen Dank und Bewunderung auszu­sprechen.

Unter den Beglückwünschenden war auch der alte Lada- linski selbst; er plauderte eben mit der schönen Gräfin Ma- tnschka, die, so weit Teint und Taille mitsprachen, sich siegreich selbst neben Kathinka behauptet hatte, als einer der Lakaien an ihn heran trat und ihm etwas ins Ohr flüsterte.

Der Geheimrath setzte noch einen Augenblick die Unter­haltung fort, verbeugte sich dann gegen die junge Gräfin und folgte dem Diener. Auf dem Vorflur fand er einen Boten aus dem auswärtigen Departement, der ihm ein couvertirtes Schreiben überreichte. Der Geheimrath in Verlegenheit, wo er von dem Inhalt desselben Kenntniß nehmen sollte, trat in das Garderobezimmer und erbrach das Schreiben. Es waren nur wenige Worte.

Aork hat kapitulirt. Ein Adjutant Macdoualds brachte dem französischen Gesandten die Nachricht. Der Staatskanzler fährt eben zum König."

Wer gab Ihnen den Brief?" fragte Ladalinski.

Der Bote nannte den Namen einer dem Ladalinskischen Hause befreundeten Excellenz, die zugleich die rechte Hand Hardenbergs war.

Ich lasse Seiner Excellenz meinen Dank und meinen Respekt vermelden." Damit steckte der Geheimrath das Schreiben zu sich und kehrte in die Gesellschaft zurück.

Er war entschlossen zu schweigen; als er aber an dem Mittelfenster des Saals Kathinka und Bninski und gleich darauf auch Tubal in eifrigem Gespräche sah, ließ es ihm keine Ruhe und er schritt auf die Plaudernden zu.

Ich Hab' Euch eine Mittheilung zu machen, auch Ihnen, Graf; aber nicht hier."

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich nach dem zunächst gelegenen Seitenzimmer, das für gewöhnlich von Ka­thinka bewohnt, heute wie sein eigenes Arbeitskabinet mit in die Reihe der Empfangsräume hineingezogen worden war. Einige Paare, deren Herzensbeziehungen vielleicht nicht älter waren als dieser Abend, hatten in der Stille dieses ohnehin nur durch wenige Lichter und eine rubinrothe Ampel erleuch­teten Boudoirs eine Zuflucht gesucht; jetzt ausgeschencht, verließen sie je nach ihrem Temperamente, heiter oder mit einem An­fluge von Verstimmung ihre Plätze.

Kathinka wollte die Stühle, die frei geworden waren, be­setzen, aber sie sah sich daran gehindert.

Nehmen wir nicht Platz," sagte Ladalinski,wir können uns ohnehin der Gesellschaft nicht entziehen. Was ich zu sagen habe, ist kurz: Jork hat kapitulirt."

blau!" sagte Kathinka, offenbar enttäuscht, nach all dem Ernst, den ihr Vater zur Schau getragen hatte, nichts

weiter zu hören als das. Sie war durchaus unpolitisch und kannte nur Persönliches und Persönlichkeiten.

Kathinka!" rief der Graf, in der Erregung des Moments sich einen Augenblick vergessend, verbesserte sich aber schnell und setzte mit Förmlichkeit hinzu:Mein gnädigstes Fräulein!" In seiner Stimme klang ein leiser Vorwurf. Dann, zu dem Ge­heimrath sich wendend, dem der Wechsel in der Anrede, erst vertraulich, dann förmlich, nicht entgangen war, sagte er: Kapitulation! Das heißt, er ist zu den Russen übergegangen."

Ich vermuthe es."

Bninski stampfte mit dem Fuße:Und das nennen sie Treue Hierlandes!"

Dann und wann erschien ein Kopf an der Portiere, um eben so schnell wieder zu verschwinden; der Graf aber in seiner Erregung weder das eine noch das andere wahrnehmend, fuhr mit Bitterkeit fort:

O dies ewige Lied von der deutschen Treue! Jeder lernt es, jeder singt es, und sie singen es so lange, bis sie es selber glauben. Die Staare müssen es hier zu Lande pfeifen. Ich bin ganz sicher, daß dieser General Jork alles verachtet, was nicht einen preußischen Rock trägt, und das Ende davon heißt Kapitulation!"

Eine peinliche Pause folgte; keiner vermochte das rechte Wort zu finden, und während in dem alten Ladalinski sich polnisches Blut und preußische Doktrin wie Feuer und Wasser befehdeten, fühlte Kathinka, daß sie durch ihr unbedachtes Lll bien diesen Sturm zur Hälfte heraufbeschworen hatte.

Tubal faßte sich zuerst.Ich glaube, Graf, Ihr Eifer ver­wirrt Ihr Urtheil. Sie wissen, wie ich stehe; überdies sichert mich meine Geburt gegen den Verdacht eines engherzigen Prenßenthums."

Der Geheimrath wurde befangen; Tubal aber, der es nicht sah oder nicht sehen wollte, sprach in ruhigem Tone weiter:

Nehmen wir den Fall, wie er liegt. Was geschehen ist, ist ein politischer Akt. So lang es eine Geschichte gibt, haben sich Umwälzungen, auch die segensreichsten, durch einen Wort­oder Treubrnch eingeleitet. Ich erspare Ihnen und mir die Aufzählung. Wenn es Ausnahmen gibt, so sind es ihrer nicht viele, oder kluge Borsorglichkeiten haben das Odium zu escamo- tiren gewußt."

Der alte Ladalinski athmete auf; Tubal fuhr fort:Wer vor große, jenseits des Alltäglichen liegende Ausgaben gestellt wird, der soll sich ihnen nicht entziehen, am wenigsten sich zum Knecht landläufiger Begriffe von Ruf und gutem Namen machen. Er soll nicht kleinmüthig vor Verantwortung zurück schrecken, denn darauf läuft diese ganze Ehrensorge hinaus. Mit Gott und sich selber hat er sich zu vernehmen. Er soll sich zum Opfer bringen können, sich, Leben, Ehre. Geschieht es in rechtem Geiste, so wird er die Ehre, die er einsetzt, doppelt wieder gewinnen. Das ist der ewige Widerstreit der Pflichten, zwischen deren Werth es abzuwägen gilt. Eine Treue kann die andere ausschließen. Wo die Bewährung der einen durch die Ver­letzung der anderen erkauft werden muß, da wird freilich immer ein Beigeschmack bleiben; aber gerade der, der diesen Bei­geschmack am bittersten empfindet, wird aus den reinsten Beweg­gründen heraus gehandelt haben."

Und ist es General Jork, an den Sie dabei denken?" fragte Bninski mit einem Anfluge von Spott.

Gerade an ihn dacht' ich. Kurz, Graf, Sie dürfen ihn verurtheilen, nicht verdächtigen. Was seine That gilt, wird sich zeigen; seine Ehre aber, wie sie meines Schutzes nicht bedarf, sollte gegen jeden Zweifel oder Angriff gesichert sein."

Es schien, daß Bninski antworten wollte, aber die Musik begann wieder, und die jetzt halb znrückgeschlagene Portiere ließ erkennen, daß die Paare zu einem Contre zusammen traten. Kathinka, mit dem jungen Grafen Brühl engagirt, mahnte zum Abbruch des Gesprächs, das ohnehin andere Wege gegangen und von längerer Dauer gewesen war, als der Geheimrath bei Beginn desselben vorausgesehen hatte. Manches war ihm pein­lich gewesen; nur Tubals gute Haltung hatte ihn mit diesem Peinlichen wieder versöhnt.

Ehe der Contre zu Ende war, wußte die gauze Gesell-