(Fortsetzung von S, 528 .)
mitten in dem Abenteuer. Ein paar Arme umfaßten mich von hinten und preßten die meinigen gegen den Körper, ein Matrose sprang mit einem Tau herzu, und im nächsten Momente war ich trotz aller Gegenwehr eingeschnürt, ohne mehr als die Beine rühren zu können. Der Ruf, den ich bei dein Ueberfalle ausstieß, wurde fast gleichzeitig erwidert vom Kapitän, aber es war derselbe Schrei der Ueberraschung: er war mit gleicher Schnelligkeit kampfunfähig gemacht wie ich. Wir sahen einander an wie Verzweifelte; das war das Ende aller unserer Wachsamkeit! Aber wir sollten nicht lange Zeit behalten zum Nachdenken: die Scene entwickelte sich mit der Schnelligkeit eines wohlangelegten Planes. Als ich hilfesuchend den Blick über das Deck schweifen ließ, blieb er an dem Hinteren Luk haften, in dem von neuem der räthselhafte Kopf erschien. Aber diesmal blieb es nicht beim Kopfe; eine Gestalt erhob sich aus der Vertiefung, ein Mann, der ein Dutzend langsame Schritte machte und vor dem Kapitän stehen blieb.
Bei dem was nun folgte, blieb ich müßiger Zuhörer; ich hätte zu träumen geglaubt, wenn nicht die Stricke, die in das Fleisch schnitten, mich lebhaft gemahnt hätten, daß sich ein wirkliches Schauspiel vor meinen Augen begab.
„Kennst Du mich wieder, Clans?" fragte der Mann.
Ueber das Gesicht des Kapitäns, geröthet von dem vergeblichen Widerstande, lies eine fahle Blässe.
„Ah, Franzis, Du!" sagte er.
Auch ich hatte ihn erkannt trotz des fehlendes Bartes. Und auch einen anderen glaubte ich in dem Manne zu erkennen trotz des fehlenden Pflasters auf dem einen Auge; wie eine Vision kam es über mich, die Beschreibung des Doktor Schrade an diesem schwarzhaarigen Kopfe mit den dunkelblitzenden Augen und dem blauen Bartschatten wiederzufinden.
„Du siehst, Claus," begann der Mann mit einer unheimlichen Ruhe zu reden, „endlich kommt meine Abrechnung, endlich kann ich meinen Schwur halten. Du weißt nicht, was ich geschworen?"
Behrensen hielt den Blick auf den Gegner gerichtet, ohne zu antworten.
„Ich will es Dir sagen!" fuhr der andere fort. „Ich habe geschworen zu rächen, was Du ans mir gemacht hast, einen glück- und ruhelosen Wanderer, immer auf der Verfolgung, immer Dir auf der Ferse, immer bereit Dich zu treffen, Dich elender zu machen, als ich selbst gewesen bin, Dir zu stehlen, was Dir begehrenswerth war, was Du selber heimtückisch stahlst. Und sie will ich rächen, die Du in das Elend geschleppt hast, der Du ein Leben des Glückes raubtest, die Du an einen ehrlosen feigen Dieb geschmiedet hast, Else, Else!"
Alle künstliche Ruhe war von dem Manne gewichen; wie ein Dämon stand er vor Behrensen, die Augen Blitze schießend, die Hände gehoben, als sei es ein neuer Schwur, den er zum Himmel spräche.
Der Kapitän war todtenbleich geworden; ich sah, wie er die Zähne aufeinanderbiß; aber anstatt zu antworten, wandte er den Kopf nach rückwärts und rief: „Else, Else!"
Der Ruf wurde von unten beantwortet; es trat eine Pause ein, in welcher die beiden Personen dieses Dramas sich ansahen wie Panther, die zum Sprunge ansetzen. Dann erschien eine weibliche Gestalt ans der Treppe des Achterlnks: Else! Auf dem Arme trug sie ein Kind, die Hand hielt den Griff eines blitzenden Messers umfaßt: so machte sie lautlos einige Schritte und blieb zwischen den beiden Männern stehen, in den weitgeösf- neten Augen halb eine Frage, halb eine Drohung.
Wie Weichheit kam es über den erregten Mann bei ihrem Anblicke.
„Ah, Else!" sagte er, und die Hände sanken nieder, „ich bin's, Franzis! Ich komme um Deinetwillen, er soll Dich hergeben, der Bube, Du sollst wieder glücklich werden, Else, wie früher. Und alles soll gerächt werden, was Du die lange Zeit her gelitten hast!"
„Treibt Dich der Wahnsinn, Mann?" fuhr die Frau auf mit einem Schritte vorwärts, vor dem Franzis zurückwich. „Du willst rächen? Du willst glücklich machen? Wer lehrte Dich, daß ich mich stehlen ließ? Ist Dir niemals in diesem
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Jahre eines wahnsinnigen Hasses der Gedanke gekommen, daß mein Herz lange schon dem gehört hat, dem Du mich schon damals stehlen wolltest? Was wußtest Du von meinem Herzen, Du Ahnungsloser! Deine klägliche Rache soll zerschellen an der schwachen Kraft eines Weibes!" Und mit einer jähen Wendung fuhr das Messer zwischen die Schnüre, welche die Arme des Kapitäns fesselten. Im nächsten Augenblicke sprang einer der Matrosen heran, aber schon blitzte das Messer im neuen Stoße, und der Mann taumelte mit einein Schmerzensschrei rückwärts.
Die Scene war im Nn verändert; mit einer Kraftanstrengung befreite Behrensen die rechte Hand aus den durchschnittenen Leinen, eine eilige Rückwärtsbewegung der Matrosen bewies zur Genüge, daß sie ihr Spiel verloren gaben.
„Niemand rührt sich! Wer einen Schritt macht, ist ein Kind des Todes!" schallte die Stimme des Kapitäns über das Deck. Er hatte den Revolver erhoben, mit dem Messer in der anderen Hand durchschnitt er meine Fesseln. Es war die höchste Zeit; ich war im ersten Augenblicke kaum im Stande, die blutleeren Glieder zu gebrauchen, aber es gelang mir, die Waffe aus der Tasche zu ziehen: wir waren plötzlich wieder Herren der Situation.
„Jetzt haben wir allerdings abznrechnen, Franzis!" sagte Behrensen.
Der Angeredete stand schon lange da wie ein todtes Bildwerk; die Vorstellung, welche länger als ein Jahr seinen blinden Haß genährt hatte, war vor den Worten der Frau verflogen, nur der schrecklichsten Wahrheit Platz zu macheil. Er stierte auf die Gruppe, völlig abwesend; er war wie niedergeschmettert von einem plötzlichen ungeheuren Schicksale.
„Das ist alles, Else, was Du mir zu sagen hast?"
Er war so gut wie vernichtet; in der Frage lag kein Zorn und kein Haß mehr, nichts als ein schmerzlicher Vorwurf; fast weich klang es, was er sagte.
Und sie war erbarmungslos wie das Gericht.
„Ich kann noch lange zu Dir reden!" antwortete die Frau, ans deren Augen ein Meer stürmischer Empfindungen blitzte. „Wenn ich von Dir Thaten sähe, die einem Manne wohl zu Gesichte stehen, könntest Du mich dauern; jetzt, da es Hinterlist und feiger Ueberfall ist, mit dem Du mich gewinnen willst, jetzt habe ich nur unsägliche Verachtung! Geh, lerne Franen- herzen kennen! Daheim warst Du ein ehrlicher Bursch, und mich betrübte Dein vergebliches Hoffen; ich hätte Dir Glück gewünscht, vielleicht getheilt mit Dir, wenn nicht dieser gewesen wäre. Aber ein Mädchenherz, das zwischen Dir und jenem zu wählen hat, das hängt sich an den Muth und die Kraft, nicht an das weibische Werben. Er zwang mich, ihn zu lieben, er nahm mit furchtloser Hand, was zu seinem Glücke gehörte! Du siehst, Franzis, wie die Liebe erzwungen werden kann. Sieh auf meinen Knaben und verlache Dich selbst über Dein Rächeramt! Wo wir drei sind, wohnt Glück und Frieden, wir wissen von keiner Trennung mehr."
Es war völlige Nacht geworden in dem Manne. Was die Frau, immer das Kind auf dem Arme, mit blitzenden Augen rief, traf ihn wie Peitschenschläge; er stand, seitwärts gewendet, den Blick aus die See hinaus gerichtet; als sie geendet, machte er ein paar wankende Schritte und sank auf einen Haufen Tauwerk zusammen. Das Zucken des Körpers verrieth nur zu deutlich, daß dieser Mann mit dem Hasse eines Jahres im Herzen weinte. Nicht darum, daß das Opfer ihm wiederum entschlüpft, und daß dies rachednrstende Herz weiter dürsten mußte: ich glaube, der Haß war verschwunden aus seiner Seele, es war die letzte Hoffnung ans Glück, der er nachweinte.
Der Kapitän hatte die Frau nach unten geführt, während ich die fünf Matrosen mit keinem Blicke verließ. Als Behrensen wieder nach oben kam, immer die Waffe in der Hand, rief er: „An die Brassen!"
Die Leute liefen an ihre Posten, behend wie Katzen. Als die Raaen herumgeholt und das Ruder nach Backbord gelegt war, rief der Kapitän die Mannschaft an den Kreuzmast und sagte:
„Wir werden Mauritius anlansen, vielleicht in drei Wochen, vielleicht später oder früher. Ich werde mit dem ersten Boote