Heft 
(1878) 33
Seite
527
Einzelbild herunterladen

- 527

an Land gehen und von der Meuterei Meldung machen; die Zwischenzeit verbleibt Euch, davon zu laufen, es soll niemand daran gehindert werden. Bis dahin aber spreche ich mein letztes Wort zu Euch. Wo ich an Bord Ungehorsam sehe, wo ich Widersetzlichkeit finde, auch nur den Versuch einer Gewalt- that, da ist die Kugel meine einzige Entscheidung. Hütet Euch! Ihr seid der ewigen Verdammniß niemals näher gewesen als jetzt unter meinem Kommando!" Damit wandte er sich ab und ging nach unten.

Es bleibt mir kaum noch etwas zu erzählen übrig. Wir führten das alte Leben weiter, aber unsere Wachsamkeit wurde, wenn möglich, verdoppelt.

Franzis war von Deck verschwunden und wir sahen ihn

nicht wieder; ob er sich unter den Tabaksballen verborgen hielt, ob er diesem Leben der Scham und der Reue ein Ende ge- macht: von uns hat es niemand erfahren.

Der Kapitän nahm, als wir drei Wochen später Mauri­tius anliefen, die fünf Matrosen und den Jungen in das Boot und fuhr ail Land; da Franzis nicht zu finden war, blieb ich an Bord; als Behrensen in Begleitung der Sicherheitsbeamten an das Ufer zurückkehrte, war nur der Junge noch anwesend. Wir mußten einige Wochen innerhalb der Korallenriffe liegen, bis wir vier brauchbare Matrosen zusammen hatten, um die Fahrt fortzusetzen. Damals war Franzis zuverlässig nicht mehr an Bord. Drei Monate später gingen unsere Wege in Rotter­dam auseinander, um sich nicht wieder zu kreuzen.

Alle und moderne Automaten.

Nachdruck verboten. Ges. v. 11./IV. 7 ».

Von Julius Stinde.

Es liegt in der menschlichen Natur ein deutlich aus­gesprochener Zug, Wohlgefallen an den Nachahmungen des Lebens zu finden. Schon das Kind erfreut sich an dem Nürn­berger Tand, der ihm Bewegungserscheinungen der lebenden Welt, wenn auch in primitivster Form, zur Anschauung bringt; an den Katzen, welche den Mund öffnen und schließen, an den Vögeln, die mit den Flügeln schlagen, den Hampelmann nicht zu vergessen, der, nachdem er am Tage fleißig zappelte, am Abend als bevorzugtes Spielzeug das Bettchen seines glück­lichen Besitzers theilen darf. Und sowie der junge Europäer sich an den Dingen ergötzt, die einen schwachen Schimmer des Lebens borgten, wendet auch sein Kamerad, der Heranwachsende Sohn des Reiches der Mitte sich mit Vorliebe den Stehauf­männchen zu, den Miniaturschildkröten, welche die Füße und den Kopf hervorstecken, und ähnlichen mechanischen kleinen Werken, deren Sammlungen in ethnographischen Museen uns vermuthen lassen, daß der beginnende Zopfträger und der blondgelockte junge Germane auf der Basis gemeinsamer Neigung verträg­liche Spielgenossen abgeben würden.

In dem Grade jedoch, in welchem sich der Kreis der Beobachtung und die Erkenntniß der Außenwelt erweitern, ver­lieren die einfachen Spielereien mit ihrem fast zu Tage liegen­den, leicht begreiflichen Mechanismus den Zauber der Täuschung, an dem das Kind Vergnügen fand. Der Erwachsene stellt er­höhtem Ansprüche, die auf diesem Gebiete auch in sinnreicher Weise gelöst worden sind, und es wird uns namentlich aus ver­gangener Zeit von Automaten berichtet, die in der Nachahmung des Lebens Erstaunliches leisteten, wenn man den Chronisten unbedingten Glauben schenken darf. So wird berichtet, daß Aepytas von Tarent, ein Zeitgenosse Platons, eine hölzerne Taube verfertigt habe, die sich in die Luft erhob und nach kurzem Fluge wieder niedersetzte, Pausanias erzählt von einer kriechenden Schnecke, deren Urheber Demetrios Phalereus war, und von Albertus Magnus wird gesagt, daß er eine Figur konstruirte, welche die Thür öffnete und die Eintretenden nach Art der Menschen begrüßte. Leider verlautet an keiner Stelle auch nur andeutungsweise ein Wort über die innere Einrichtung dieser Automaten, und daher ist es schwer zu ermitteln, inwie­fern die Beschreibung ihrer Leistungen mit der Wirklichkeit übereinstimmt; es darf jedoch angenommen werden, daß der Nimbus des Wunderbaren vor den kritischen Angen der Jetzt­zeit bedenklich erbleichen würde, wenn es möglich wäre, die alten Originale wieder an das Licht zu ziehen.

Zu dieser Annahme wurde ich unwillkürlich geführt, als ich vor längerer Zeit Gelegenheit fand, einen der berühmtesten Automaten aus früherer Zeit in Augenschein zu nehmen, ein mechanisches Kunstwerk, das eine förmliche Geschichte auf­zuweisen hat und von dem des fabelhaften gar viel berichtet wurde. Es ist dies die berühmte mechanische Ente des Fran­zosen Vaucanson.

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zeigte Vaucanson neben anderen Automaten, zu denen auch der Flötenspieler ge­hörte, der wirklich auf der Flöte blies und die Löcher seines Instrumentes mit den Fingern öffnete und schloß, um die zur Melodie erforderlichen Töne hervorzubringen, zuerst die genannte

Ente, welche ungemeines Aufsehen erregte. Es gab keine Zei­tung, welche nicht von dieser Ente vorzugsweise Notiz nahm, und in allen Schriften, welche von merkwürdigen Dingen be­richten, hat sie bis auf den heutigen Tag die wohlwollendste Aufnahme gefunden.

Man erzählt von ihr, daß sie ging, alle Stellungen einer natürlichen Ente nachmachte, laut schrie, Körner fraß, Wasser trank und sogar die Verdauung simulirte, und kargte nicht mit Lobsprüchen über den Erfinder und sein Werk. Allmählich aber trat die Ente von dem Schauplatz ihrer öffentlichen Thätigkeit ab, die darin bestand, von der großen Menge bewundert zu werden. Professor Beireis zu Helmstädt, der gelehrte Sonder­ling und Geheimnißkrämer, kaufte die Vaucansonschen Auto­maten und mit ihnen die besagte Ente für sein Raritätenkabinet, so daß sie von diesem Termin an nur mehr einem kleinen Kreise Neugieriger zugänglich war. Als Beireis im Anfänge unseres Jahrhunderts starb, gelangte die Ente in den Besitz eines Holländers, der sie mit in sein Vaterland nahm; allein es scheint, daß die Mynheers des Spielzeugs für Erwachsene bald überdrüssig wurden und ihm nicht die gewohnte Aufmerksamkeit schenkten. Die Ente, welche zur Zeit ihrer Neuheit ein so immen­ses Aufsehen erregte, verschwand und wurde nicht mehr beachtet.

Es war auch die eigentliche Zeit für die Blüte der mecha­nischen Künsteleien vorüber, denn schon hatte man angefangen, den Dampf zum Sklaven zu machen und Maschinen konstruirt, welche ernstere Aufgaben erfüllten als die Automaten ver­mochten. Dann kam hinzu, daß Napoleon die civilisirte Welt terrorisirte. Wer konnte in einer Zeit, in der über Nacht neue Königreiche entstanden, die Grenzen der Länder aufhörten zu gelten wie bisher, in der das Wohl und Wehe ganzer Völker von dem Willen eines einzigen unberechenbaren Mannes abhing, den mechanischen Spitzfindigkeiten eines geschickten Uhr­machers Geschmack abgewinnen, wer hatte Muße der harmlosen Ente Aufmerksamkeit zu schenken als der bitterste Ernst die Gemüther in Anspruch nahm? So konnte es kommen, daß ein Werk, das als Weltwunder galt, der Verborgenheit anheim fiel und wohl ganz vergessen worden wäre, wenn keine schrift­lichen Aufzeichnungen von demselben existirt hätten.

Phantasiereiche Köpfe gingen in späterer Zeit sogar so weit, die vorhandenen Mittheilungen über die Ente sensationell zu erweitern und ihr Eigenschaften anzudichten, die sie nie be­sessen; es wiederholte sich auch in diesem Falle die oft be­obachtete Erscheinung, daß das mythische Gewand, welches die Zeit langsam für die Vergangenheit webt, oft schöner ist als die einstige Wirklichkeit.

In der Neuzeit wurde die berühmte Vaucansonsche Ente jedoch wieder aufgefunden und zwar in Nordfrankreich in einer Rumpelkammer. Der Inhaber eines Automatenkabinets, Namens Kaschner, der bereits im Besitze des Flötenspielers war, hatte lange gesucht, bis er die Spur der Ente fand, die er bis znm glücklichen Ausgange verfolgte. Das mechanische Werk war im Ganzen gut erhalten und selbst das Federgewand war von der Zerstörung durch Insektenfraß verschont geblieben, so daß die Ente noch heute dieselben Federn trägt, mit denen Vaucanson sie schmückte. Allerdings erforderte die Reparatur lange Zeit, allein