Heft 
(1878) 33
Seite
529
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Aus Iieöertagen.

Drei Lieder von Karl Stieler.

I. Wange Hrännre.

Ich Hab' das Haupt zurückgebogen.

Wo bin ich? Ringsum ist es Nacht,

Und brausend werd' ich fortgezogen Wie von geheimnißvoller Macht.

Lieg ich auf eines Zeltes Decken?

Lieg ich an einer Barke Kiel?

Sind das des Sandmeers öde Strecken? Ist das des Weltmeers brandend Spiel?

Wo bin ich? Wie vom Sturm zerbrochen Trägt es mich brausend Nacht und Tag Und mordend fühl' ich drinnen pochen Des Fiebers leisen Hammerschlag!

II. Mitternacht.

Mein Gemach ist dicht verhangen Und verstummt sind Schritt und Wort. Mitternacht ist längst vergangen Weltverloren lieg ich dort!

Und mit ihnen bang verstohlen Horcht mein Herz, dem Tode nah,

Auf dein süßes Athemholen Fühlt noch einmal: Du bist da!

III. Auferhtanöen.

Durchs Fenster scheint der Maientag,

Ich schließe die Augenlider

Und horche das ist Lerchenschlag!

O endlich wieder!

Da träumt sich all mein Herz hinein, Hinein in des Lenzes Wonne

Wie selig muß das Athmen sein In lichter Sonne!

Wie hold, wenn man des Windes Hauch Hört rauschen durch die Zweige,

Wenn Blüten keimen an jedem Strauch, Ans jedem Steige.

Da rührt mich Sehnsucht allzumal,

Ich schließe die Augenlider

Ich fühl' es wie einen Sonnenstrahl Ich lebe wieder!

Finster ist's in meinen Sinnen, Alle meine Kraft zerbrach;

Nur noch tief im Herzen drinnen Sind die letzten Pulse wach.

Es singt die Lerche noch immerfort; Mein Herze möcht' zerspringen. . . Ich lasse verstummen Wort um Wort Und laß sie singen!

Are Deutschen in Mris.

Bon einem in Paris ansässigen Deutschen.

Nachdruck verboten. Ges. v, 11./VI. 70.

I.

In einer Zeit, wo die Hauptstadt Frankreichs durch die am I. Mai in ihren Mauern eröffnete Weltausstellung in erhöhtem Maße die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zieht wo manche unserer Landsleute bereits in Gedanken ihr Reisebündel schnüren für einen demnächstigen Ausflug indie Stadt der Welt, die Stadt der Menschen", wie Victor Hugo sie nennt, wird es von Interesse sein, etwas über die in Paris lebenden Deutschen, ihr Thun und Treiben zu erfahren.

Manchen ist es gewiß nicht unbekannt, daß von Alters her sich stets viele Deutsche in Paris ausgehalten haben. Wäh­rend des dreißigjährigen Krieges bestand hier eine ganze deutsche Kolonie, die geschichtlich dadurch von Bedeutung ist, daß aus ihr hauptsächlich die erste lutherische, ja die erste protestantische Gemeinde in Paris hervorging. Hatte nämlich das Edikt von Nantes im übrigen auch den Protestanten freie Religionsübung verschafft, so war doch Paris von dieser Erlaubniß aus­genommen. Jeder protestantische Kultus blieb für die Haupt­stadt verboten. Nun aber schlossen sich um 1630 die in Paris anwesenden Deutschen, besonders adlige Herren aus noch jetzt bekannten Geschlechtern es findet sich auch der Name Bis­marck unter ihnen mit einigen Schweden zu einer lutheri­schen Gemeinde zusammen und ersuchten den Magister Hambraens, ihnen im Hotel der schwedischen Gesandtschaft, die ihnen zu diesem Zwecke einen Saal überließ, regelmäßig Gottesdienst zu halten.

In den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts nahm der Strom der deutschen Einwanderung in bisher nicht gekannter Weise zu. Die Zahl der Deutschen, die sich hier niederließen, stieg von Jahr zu Jahr, und man wird sie nicht überschätzt haben, wenn man sie im Jahre 1870 auf 100,000 angab. Durch ihre Ausweisung in den letzten Tagen des August wurden dieselben mit wenigen Ausnahmen in alle Winde zerstreut. Aber noch rauchten die Trümmer der Stadt von dem ungeheuren Brande, den die Commune entzündet, als ihrer viele bereits wiederkehrten. Man hat sich vielfach darüber gewundert, ja den Zurückkehrenden allerlei fromme Wünsche mit auf den Weg gegeben, ohne zu bedenken, daß die meisten ihr Geschäft, viele ihre gesammte Habe, manche auch liebe Verwandte hatten zu­rücklassen müssen, als sie gezwungen wurden, plötzlich die Flucht zu ergreifen. Sehr viele mußten wenigstens für eine Zeit

lang in Paris wieder ihren Aufenthalt nehmen, um ihre An­gelegenheiten zu ordnen, und da sind denn allerdings fast alle ganz dageblieben, weil es in Wirklichkeit in Paris nicht so schlimm aussah, als man in Deutschland wähnte. Als Beweis dafür und zur Ehre der Pariser Bevölkerung sei hier erwähnt, daß die meisten Deutschen, obwohl sie als solche bekannt waren, ihre gesammte Habe unangetastet wiedergefunden haben, in manchen Häusern ist die Ehrlichkeit so weit gegangen, daß man trotz der bitteren Noth selbst die Kohlenvorräthe und Lebens­mittel in den Kellern nicht angerührt hat, und das alles trotz der entfesselten Leidenschaften, trotz der Unruhen in der Stadt.

Außer den früher in Paris ansässigen Deutschen sind nun allerdings auch gar viele, besonders allein stehende Leute, neu eingewandert, für die dazu nicht die Nothwendigkeit be­stand, so daß jetzt die Zahl der hier lebenden Deutschen wieder auf 30,000 geschätzt wird. Gar verschieden sind die Beweg­gründe, die unsere Landsleute zur Uebersiedelung hierher be­wogen haben. Vorn an steht wohl der dem Deutschen bei aller Liebe zum Vaterlande angeborene Zug in die Fremde. Dieser innere Trieb, der einst Hunderttausende drängte, ins Land zu ziehen, da die Citronen blühen, weist jetzt ebenso viele ins sonnige heitere Frankreich, zumal da so vielen die übervölkerte arme Heimat zu enge wird. Dies letztere gilt insbesondere von den Emigranten aus dem armen Regierungsbezirke Trier, einem Theile Rheinbaierns und von den hessischen Straßen­kehrern, die vor dem Kriege zu Zehntausenden aus den Kreisen Gießen, Grünberg, Friedberg und Alsfeld hierher wanderten. Die meisten unter ihnen sind mit ihrer an Kindern reich ge­segneten Familie in der Heimat bei kärglichem Verdienst in Schulden gerathen, und suchen hier nun mit dem Kehrbesen, um deswillen sie oftmals Nadel und Pfrieme bei Seite ge­worfen, sich etwas zu erübrigen und die Schulden abzutragen.

Andere zieht der Wunsch, sich weiter anszubilden, nach Paris. Zu dieser Klasse gehören die deutschen Lehrer und Lehrerinnen, die hier französisch lernen wollen, dann zahlreiche junge Kaufleute, Kellner und Handwerker. Den letzteren ist und bleibt Paris trotz allen Disputirens die hohe Schule für die feinste, eleganteste, geschmackvollste Arbeit. Um nur einiges herauszugreifen: nirgends auf der Welt wohl werden solche vollendete Arbeiten in Schmucksachen, mit Perlmutter

XIV. Jahrgang. SS. aN*