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worden sind, wenn die g.88i8tMos publigas sich im ganzen weigert, sie zu unterstützen, wenn protestantischen armen Deutschen die Aufnahme in ein Spital oft sehr erschwert wird, während vor dem Kriege die Spitäler den Deutschen mit gleicher Zuvorkommenheit wie den Franzosen ohne alle Bezahlung geöffnet waren — wer darf sich, will er gerecht urtheilen, darüber wundern? Uebrigens überwindet die angeborene Liebenswürdigkeit der Franzosen die Abneigung gegen die Deutschen, insbesondere die Armen, mehr und mehr, der Haß schwindet von Monat zu Monat. In den höheren Gesellschaftskreisen und bei studirten Leuten ist er durchschnittlich noch am meisten wach, da wird er unter der Asche glühend erhalten. Sonst im gewöhnlichen Leben merkt man wenig davon. Nach der Commune hat er überhaupt niemals die gefährliche Form angenommen, die er nach den Berichten einzelner Zeitungen haben sollte. Sehr vereinzelt stehen die Fälle da, wo Deutsche, ohne daß sie provozirend aufgetreten wären, um ihrer Nationalität willen Schmähungen, oder gar Mißhandlungen erduldet hätten. Denen ist es noch am ersten passirt, die gar zu ängstlich ihr Deutschthum zu verbergen und zu leugnen suchten, obwohl an allen Ecken und Enden der Deutsche hervorguckte. Oder die Schmähungen sind von jenen elenden Deutschen ausgegangen, die gleich nach dem Kriege um des Geldes und Gewinnes willen die franzö- ' fische Nationalität annahmen und nun ihren traurigen Ruhm darin suchten, das Land, das sie geboren, das Volk, dem sie angehörten, dem ihre Väter und Brüder wohl noch angehören, zu schänden, wo sie nur können.
Im übrigen sind die geschäftlichen Verbindungen, wo sie durch den Krieg abgebrochen waren, fast alle wieder angeknüpft. Von Monat zu Monat sieht man an den Ladenfenstern immer mehr die Inschrift: „man spricht deutsch" auftauchen, deutsche Vereine, auf die wir nachher kommen werden, sind anerkannt und können sich völlig frei bewegen. Wenn junge deutsche Kausleute, Handwerker und Tagelöhner heutzutage mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen haben, um eine Anstellung zu finden, so hat das seinen Grund hauptsächlich in der anhaltenden Geschäftslosigkeit und nicht im Nationalhaß. Die Geschäftslosigkeit ist aber so groß, daß junge Leute aus den ebengenannten Klassen aufs allereindringlichste gewarnt werden müssen, ohne festes, schriftlich gemachtes Engagement hierherzukommen. Nicht fünf Prozent finden die gesuchte Arbeit
— sind doch zehntausende von französischen Arbeitern aller Klassen brotlos. Die übrigen 95 Prozent gerathen meistens in das bitterste Elend, und da der deutsche Hilfsverein bei seinen geringen Mitteln und der großen Zahl der angesessenen Armen
— er hat allein für mehr als hundert alte Leute von über 70 Jahren zu sorgen, und seine Ausgaben für die in den Häusern der Armen geleistete ärztliche Hilfe und Arzneien allein belaufen sich außerdem auf mehr als 10,000 Fr. — unmöglich die Dutzende von jungen Leuten, die allwöchentlich seine Hilfe in Anspruch nehmen wollen, frei in die Heimat befördern kann, so fallen die meisten der Polizei in die Hände und müssen sich von ihr den deutschen Behörden ausliefern lassen.
Ebenso wenig Aussicht auf Erfüllung ihrer Wünsche haben die zahlreichen deutschen Erzieherinnen, die nach Paris kommen, um dort eine Stelle zu suchen und nebenbei französisch zu lernen. Im letzten Winter, sagt man, seien an 600 hier gewesen, und wenn ein hiesiger deutscher Pfarrer versichert, daß bei ihm allein mehr als 200 Gesuche, natürlich alle um recht gute Stellen, eingegangen seien, so erscheint jene Zahl nicht zu hoch gegriffen. Von jenen 600 haben, wenn's hoch kommt, 20 eine Stelle gefunden, und vielleicht 100 haben noch einige Privatstunden erhalten; die übrigen sind ganz und gar auf ihre eigene Tasche angewiesen geblieben und haben in den x»sir- 810118 ä<Z8 äs .11168 und Instituten für den Preis von 140 bis 200 Fr. monatlich — billiger ist nichts ordentliches zu haben — ein Unterkommen und Gelegenheit zur französischen Konversation suchen müssen.
Für diejenigen, die mit gut versehener Börse es doch in Paris versuchen wollen, ist der Winter vom Monat November an die geeignetste Zeit. Sie können dann wenigstens die Vorlesungen im OoIieAs cis Uranos, der Sorbonne und verschiedene
andere ooni-8 xnUlios besuchen. Bei einer etwaigen Besetzung von Stellen haben Hannoveranerinnen, Baierinnen und Würtem- bergerinnen den Vorzug, Preußinnen gegenüber hält man sich noch etwas reservirt. Doch kommen hier und da selbst solche von reinstem Wasser an. Eine französische Dame hält einer Deutschen, die sich bei ihr präsentirt, eine fulminante Rede über die Schändlichkeitn: der Preußen und schließt: „Niemals würde ich eine Preußin ins Haus nehmen! Woher sind denn Sie, mein Fräulein?" „Aus Brandenburg." „Ah, das ist etwas anderes, Sie können morgen eintreten."
Uebrigens sei hier wiederholt, daß selbst von zehn mit den besten Zeugnissen versehenen Hannoveranerinnen noch nicht eine einzige einen Platz findet.
Anders gestalten sich die Verhältnisse der deutschen Dienstmädchen (Bonnen, Köchinnen, Kammersrauen). Sie kommen in ganzen Scharen, gelockt durch den hohen Lohn, aus Württemberg, Baden, Rheinbaiern und dem Elsaß hierher, und haben sie gute Zeugnisse, so sind sie sehr gesucht. Doch müssen auch sie dringend gewarnt werden, mittellos hierher zu kommen. Leicht müssen sie in theuren Hotels 14 Tage, ja im Sommer Monate lang leben, ehe sie einen Platz erhalten, es müßte denn sein, daß sie in dem empfehlenswerthen, von einer Diakonissin geleiteten Asile, 85 Rue Legendre, Batignolles, für 1 Fr. 25 Et. täglich Unterkommen und Kost gefunden hätten. Die deutschen Mädchen gelten für anspruchsloser, sorgfältiger, vor allem aber für aufrichtiger als die französischen Mädchen. Viele verlieren freilich diese Tugenden in wenigen Monaten und zeigen sich anspruchsvoller, nachlässiger, diebischer als die in dieser Branche rontinirtesten Französinnen. Die Versuchungen, denen solche alleinstehende Mädchen hier ausgesetzt sind, sind eben sehr groß nach allen Seiten hin. Einmal in Bezug auf Ehrlichkeit. Es ist hier gang und gäbe, daß die Mädchen ihre Herrschaften beim Einkauf der täglichen Lebensbedürfnisse betrügen, indem sie mehr, manchmal das doppelte von dem berechnen, was sie ausgegeben haben. Tritt nun ein ehrliches Mädchen in einen Platz ein, so versuchen sowohl Lieferanten als die anderen Dienstboten, es sofort in die Kunst einzuweihen, wie es sich täglich einen Nebenverdienst machen könne. Weist es solche Zumuthnng ab, so wendet man alle Mittel an, es aus dem Hause zu bringen. Man schwärzt es bei der Herrschaft an, sucht es sogar wohl des Diebstahls zu bezüchtigen, um es los zu werden.
Größer noch sind die Versuchungen, denen ein junges Mädchen in Bezug auf seine jungfräuliche Ehre ausgesetzt ist. Bei den hohen Preisen und den beschränkten Räumen der Pariser Wohnungen haben meistens sämmtliche Dienstboten des ganzen Hauses, und es gibt Häuser mit 30—40 bürgerlichen Wohnungen, ihr Zimmerchen im sechsten Stock. Da wohnen nun Männer und Mädchen jeden Alters, in Sünden grau gewordene mit jungen unerfahrenen dicht neben einander, nur durch eine dünne Wand getrennt. Natürlich werden dort, wohin die meisten Herrschaften nie einen Fuß setzen, Bekanntschaften geschlossen. Man besucht sich und unterhält sich über die Herrschaften; man verabredet für die Nacht den gemeinschaftlichen Ausgang in eines der unsittlichen Balllokale, man bringt von dort einen Liebhaber mit und beherbergt denselben Wochen, Monate lang im Zimmer. Natürlich wird er von den: Wein, den Lebensmitteln der Herrschaft, die zu dem Zwecke entwendet werden, unterhalten; jetzt nimmt man auch Kleidungsstücke und Geld, bis der Krug zerbricht und die Tragödie in einem der großen Gefängnisse weiter gespielt wird. Wer kann sie zählen, die deutschen Mädchen, die ehrbar hierher kamen, ans die eben dargestellte Weise sielen von Stufe zu Stufe, und erst zur Erkenntniß kamen in den Gefängnissen, Spitälern und Ent- bindnngshäusern; wer kann sie zählen, die nach einem Leben voll Sünde und Schande, an Leib und Seele zerrüttet, ungenannt und ungekannt vor der Zeit hinausgetragen sind in ein frühes Grab! Daneben gibt es, Gott Lob, wie vorher bereits erwähnt wurde, auch eine ansehnliche Zahl solcher deutschen Mädchen, die diesen Versuchungen widerstanden haben und mit Liebe und Anerkennung von ihren Herrschaften überhäuft, sich ein angenehmes, sorgenfreies Loos bereitet haben.