Heft 
(1878) 33
Seite
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Aus der Blütezeit der Almanache.

Wie ein Engel stand im Sckäferkleive Sie vor ihrer kleinen Hnttenthür; .. -

Seitdem Güttingen im Jahre 1737 Universitätsstadt geworden, galt es für einen Hauptsitz deutscher Gelehrsamkeit, aber den Musen war weder die Stadt noch die Hochschule jemals hold gewesen. Mit boshafter Uebertreibung charakterisirte der geistreiche Kästner noch im siebenten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts das spießbürgerliche Treiben der dortigen Gesellschaft in dem bekannten Epigramm:

O Gräfin, unser Ort kennt keine Dichtertriebe,

Nicht sanfte Regungen von Zärtlichkeit und Liebe;

Hier mußt du, wenn man dir was Gründliches soll sagen,

Nach Würsten und Kartoffeln fragen.

Und doch sollte auf diesem unergiebigen Boden ein dichterisches Unternehmen erblühen, das mit Göt­tingens Namen geschmückt ein Stück deutscher Literaturgeschichte repräsen- tirt; ja an diesem feierlichen Ge­lehrtenhimmel sollte ein jugendlich schwärmerischer Dichterbund wie ein Meteor leuchtend emportauchen, frei­lich eben so rasch verschwinden, aber doch nicht ohne eine feste Spur für alle Zeiten in der Geschichte unserer Poesie zurückzulassen. Es waren: der Göttinger Musenalmanach und der Göttinger Dichterbund.

Der Dithmarsche Christian Boie und der Thüringer Fr. Wilh.

Götter waren die Väter, des ersten deutschenMusenalmanach für das Jahr 1770", den sie unter Kästners wirksamer Förderung nach dem Vorbilde des Pariser Änmrm« ck68 inusss im Sommer 1769 in An­griff nahmen. Der Göttinger Buch­händler Joh. Christian Dietrich übernahm den Verlag. Anderwärts schon gedruckte und ganz neue Ge­dichte sollten darin Aufnahme finden, aber die Herstellung ging nur langsam vorwärts, und als endlich im Januar 1770 das Buch zur Ver­sendung fer­tig lag, war ihm bereits ein Nebenbuhlerin Leipzig un­ter dem Titel:

Almanach der deut­schen Musen aufdasJahr 1770" zuvor­gekommen.

Die beiden Ne­benbuhler wa­ren äußerlich sehr verschie­den der Göttinger ein winzig zier­liches Büch­lein in Sedez von 188 klei­nen Seiten, der Leipziger ein stattlicher Ok­tavband von 314 Seiten.

Der Göttinger enthielt einen ganz gewöhn­lichen Kalen­der mit den üblichen Heili­gennamen, der Leipziger hatte diese mit den Namen deut­scher Dichter vertauscht; an

Sonn- und Feiertagen standen settgedruckt die bevorzugten Haller be­gann das Jahr, Wieland, Gleim und Uz erschienen am Osterfest, Klopstock am Weihnachten, Lessing am Reformationsfeste. Endlich enthielt der Leip­ziger außer Gedichten (darunter manche gemeinsam mit dem Göttinger) noch einen ausführlichen kritischen Theil:Notiz poetischer Neuigkeiten vom Jahr 1769" und eineTabelle unserer lebenden Dichter und schönen Geister, nebst ihrem Charakter und diesjährigen Beschäftigungen."

Aber der kleine Göttinger ließ sich durch den Leipziger Kon­kurrenten nicht entmuthigen. Trotz der Nebenbuhlerschaft desselben, trotz mißgünstiger Rezensionen, trotz der Mißbilligung der Göttinger Professoren setzte Boie fein Werk fort und gab im folgenden Jahre,

Aus demKleinen Taschcn-Calcndcr auf das gemeine Zahr 1793,

mit Kupfern geziert und zu Berlin herausgegeben." Jn32°. Zwei der 12 Chodowiecki scheu Kupfer zu Höltys Elegie auf ein Landmädcheu aus diesem Jahrgauge.

I

Poetische

Blumenlese

Für das Jahr

1776.

Von den Verfassern der bisherigen Göttinger Blumenlefe,

nebst

einem Anhänge die

Freymaurerey betreffend".

Herausgegebcn

von

I. H Voß.

Lauenburg,

gedruckt bey Johann Georg Vercnderg.

Titel und Titelkupfer des Doßischen Musenalmanachs für 1776. 16

als Götter zurücktrat, den Musenalmanach allein heraus. Auf Ramlers und Knebels Rath fügte ernoch demHaupttitel den Nebentitel:Poetische Blumenlese" zu, einmal um ihn so deutlicher von dem Leipziger zu unterscheiden, dann aber auch, um ihn in Ländern, wo der Kalender gegen das Staatsprivilegium verstieß, ohne denselben zu verbreiten. Die nächsten vier Jahrgänge sind Boies eigenstes Redaktionswerk und zugleich der Glanzpunkt des ganzen Unternehmens. Boies Wohnung war die Herberge der Dichtergenossen dort sammelten sie sich all­wöchentlich Hölty, Miller, Hahn, auch Bürger und später Voß, und lasen vor, was ihnen die Muse bescheert, und Boie, der Klarblickende, Vielbelesene, kritisirte und korrigirte, und nur was als

das Beste befunden ward, kam zu den Beiträgen der auswärtigen Meister in den Almanach.

Aus diesen Versammlungen ent­stand 1772 der GöttingerDichter- bund, dessen erste überschwengliche Stiftung in Boies Abwesenheit und gewiß wider seinen Willen improvi- sirt wurde. Er fügte sich aber in das Geschehene und ließ es sich sogar gefallen, daß man ihn nachträglich als Werdomar zum Ehrenpräses machte. Alle Glieder hatten ähnliche schwungvolle Namen. Voß hieß: Gottschalk; Hahn Teuthart- Miller Minnehold; Hölty Ha ining re. Die alten Versamm­lungen nahmen übrigens ihren ge­wöhnlichen Fortgang nur trat der Klopstockskultus und die Freund­schaftsschwärmerei entscheidender in den Vordergrund; beides nahm mit der Ankunft der Grafen Stolberg womöglich noch zu. Dazu kamen Demonstrationen gegen dieWol­lustsänger". Mit WielandsJdris" steckte mau sich die Pfeifen an, ja sein Bildniß, das dem Leipziger Almanach für 1773 beigegeben

war, wurde feierlich ver­brannt. In den Musenal­manach brach­te der unge­stüme Drang und empfind­same Ueber- schwang die­serBarden- jünglinge" ein neues Leben; er wurde fort­an das Or­gan des neuen Bundes. Der Almanach von 1773 erfreute sich Goethes Beifall; im nächstfolgen­den erschien der neuaufge- gangene Dich­terstern inmit­ten der Göt­tinger Schar, die diesmal durch Bürgers Lenore" be­sonders glän­zend vertreten war.

Der Göt­tinger Musen­almanach hat­te über seinen Leipziger Ne­benbuhler gesiegt, und er blieb auch obenauf, als sein trefflicher Redakteur Boie im Herbst 1774 an Boß sein Amt abtrat und der Bund bald darauf auseinander stob. Aber nur ein Jahr stand der alte Göttinger unter der Redaktion von Voß; denn als dieser um im Selbstverlag einen höheren Gewinn zu erzielen den Jahrgang 1776 (dessen Titel­blatt wir mittheilen) in Lauenburg drucken ließ, setzte auch der Göt­tinger Verleger das Unternehmen seinerseits, zunächst unter Göckings Redaktion, fort, ja dieser ursprüngliche alte Musenalmanach hat den neuen Voßischen sogar noch um drei Jahre überlebt und ist erst 1803 eingegangen. Als Göttinger Musenalmanach cursirten sie aber beide fort und fort im Munde der Leute. Und dieser Name bezeichnet