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Aus „Genealogischer Calcuder auf das Jahr 1778,
mit Kupfern geziert und mit Genehmhaltung der König!. Akademie der Wissenschaften zu Berlin herausgegeben." Zwei der 12 Chodowieckischen Kupfer zu Lessings Minna von Barnhelm aus diesem Jahrgange.
auch die Blütezeit der Almanache überhaupt, denn keiner der zahllosen Nachfolger und Nebenbuhler — selbst der durch die Lernen und die Balladen berühmte Schillersche nicht — hat je die Bedeutung und Berühmtheit des Göttinger erreicht.
Bor mir stehen sie, fast vollständig, die 60 Bändchen der beiden Zweige des ältesten Musenalmanachs, zierlich und niedlich anzusehen wie eine kleine Pnppenbibliothek. Auf die ersten ist auch äußerlich die meiste Sorgfalt verwendet. Der nächst Chodowiecki bedeutendste Illustrator des XVIII. Jahrhunderts, Meil, hat das Titelbild geliefert, wohl auch die Monatsbilder, dazu eine Reihe Kops- und Schlußvigneten zu einzelnen Gedichten. Ein Jahrgang enthält zwölf Illustrationen zu Wielands „Agathon" von Meil; es war merkwürdigerweise derselbe, zu dem Wieland selbst einen Beitrag beisteuerte, ja in dem Götter Wielands Genius pries, während der sanfte Hölty seinem „Teuthart" die jedenfalls auf Wieland gemünzten Donnerworte zurief:
Muse Tentoniens, du lächelst — der gaukelnden Afterschwester,
Die, tu den goldnen Sälen Ln- tctiens,
Ihr Liedchen klimpert. Schande dem Sohne Tents,
Ter's durstig trinkt, weil es Wollust
Durch die entloderteu Adern strömet!
Schwing deine Geißel, Sänger der Tugend! Schwing Die Feusrgeißcl, welche dir Braga gab,
Die Natternbrut, die unsre deutsche
Redlichkeit, Keuschheit und Treue tödtet,
Zurückzustäupen! . . .
Der Druck dieser ersten Jahrgänge ist sorgfältig und sauber ausgeführt, jede Seite hat eine geschmackvolle Einfassung, die später in Wegfall kam. Recht schön gestochene Noten — die Melodien zu einzelnen
Liedern — sind eingeheftet. Dazu kommen weiterhin Bild- nissevonDich- tern; Ram- ler eröffnet 1774 die Reihe. — Der Inhalt der 60 Bändchen gewährt ein ziemlich vollständiges Bild der deutschen Lyrik in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts. Alle Dichternamen von Bedeutung sind vertreten mit Ausschluß Schillers, der sich nie zu einem Beitrag herbeigelassen, und der Romantiker, von
denen nur A. W. Schlegel etwas beigesteuert hat. Sonst sind neben den Dichtern des Haines die verschiedensten Richtungen vertreten: die Bremer Beiträger, die Halberstädter, die Berliner re. Manche der großen Dichter verstecken sich unter Chiffern; so Goethe (H. D. oder T. H.), Lessing (N. Z.), Herder (M. O.), Bürger (U.) — selbst Klopstock tritt gelegentlich einfach mit K. auf. Sehr viele der Chiffer- dichter haben übrigens ganz recht gethan, mit ihren Namen zurück- znhalten; schon in den ersten Jahrgängen findet sich viel Mittelgut. Als charakteristisch für den „Hain" ist hervorzuheben, daß die
Aus dem „Taschenbuch für Frauenzimmer von Bildung auf das Jahr 1799", Stuttgart bei I. F. Steinkopf, in 12°. Mit Kupsern aus Goethes „Hermann und Dorothea" von Chodowiecki.
Bardenpoesie und die Rührseligkeit vorherrschen. Klopstock theilt Bardengesänge aus „Hermann und die Fürsten" mit, der Barde Rhingulf (Kretschmarin) singt ein „Frühlingslied", und Sined, der Druide der Harfe, widmet Rhingulphen, dem Freunde der Geister, ein „Gesicht" re. rc. Friedrich Stolberg richtet an den Mond einen für die Zeit höchst charakteristischen Stoßseufzer;
Schied dir ein Freund, o Mond? Du blickst so traurig Durch die Hangenden Maien! Oder trübt dir Mitleid deine Wange, weil diese Thräneu Fließen du sähest.'
O, so erhelle meines Haugwitz
_ _ _ , Psade,
Der dich schmachtend beschaut, und flüstre ihm freundlich:
An der Leine Krümmungen weint dein Stolberg Thräneu der Sehnsucht!
Miller, der Verfasser der Klostergeschichte: „Sigwart", läßt eine eidbrüchige Nonne den Mond an sin gen:
Ach, du lieber Mond! wie Helle Scheinest du in diese Zelle,
Wo, auf ewig eingemau'rt, Gottes Anverlobte trauwt!
und Clarissa ruft ihrer Cäcilie zu:
Weine nicht in deiner Zelle,
O Geliebte, weine nicht!
Naht doch ihrer Nuhestelle Sich kein frommer Bösewicht.
Höltys „Elegie auf ein Landmädchen", zu der Chodowiecki später für eine andere Ausgabe die von uns mitgetheilten Illustrationen zeichnete, steht im Almanach von 1774.
Noch reicher ist Hölty im Voßischen Almanach vertreten, der auch nach seinem frühen Tode des Dichters Bildniß brachte. Dieser Verlust wie Millers Verstummen war für Voß höchst empfindlich. Rasch genug schwand sein Traum, den Almanach ans die Mitarbeit der Freunde gründen zu können; er war oft in großen Redaktionsnöthen und mußte bringen, was er gerade bekam. Als Bürger 1779 nach Göckingks Rücktritt, von der größten Noth getrieben, an dessen Stelle in Göttingen trat, verlor Voß seine letzte beste Kraft aus den Gliedern des Bundes.
Dafür erklangen Lieder aus Vater Gleims Hüttchen, und der Alte selbst wurde endlos angesungen. Von Jahr zu Jahr nahm die „selbstzufriedene Mittelmäßigkeit" einen breiteren Raum ein. Dennoch enthalten die folgenden Jahrgänge manch Schönes, wie z. B. das Rheinweinlied und das Abendlied von Claudius, die Tabakspfeife von Pfeffel, die Linde ans dem Kirchhof von Jacobi, Matthis- sons Adelaide u. v. a.
Voß steuerte sein Bestes bei. Die Originalform der ersten zwei Gesänge der „Luise" sind im Almanach zu finden, und es ist der Mühe Werth, sie mit der späteren, gewaltig durchgefeilten Redaktion zu vergleichen.
An Bodmer richtete er sein reizendes Idyll: „Der 70. Geburtstag". Endlich gab er Proben aus seiner Homerübersetzung und aus seinen meist mißglückten Volksliedern.
Ueberhaupt steckt ein Stück des Lebens von Voß in seinem Almanach, an dessen Redaktion sich nur ganz vorübergehend und wenig thätig Göckingk betheiligte. Aus den gelegentlichen Schlußworten ergibt sich, wie der Almanach dem armen Redakteur immer mehr nur eine „melkende Kuh" wurde, die freilich oft dürftig genug ihn versorgte und ihm endlose Sorgen machte. Gleich sein erster Verleger machte Bankerott, und
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Aus „Genealogischer Calcuder für West-Preuszcu auf das Jahr 1776'
Zu
Berlin herausgegeben auf Kosten der König!. Akademie der Wissenschaften. 16°. Eins der 12 Kupfer von Chodowiecki zu Gellerts Fabeln und Erzählungen aus diesem Jahrgauge.