der Almanach wanderte zu C. E. Bohn nach Hamburg. Die Spekulation auf die Freimaurer, die sich im Anhang von 1776 sehr unangenehm bemerklich macht, mißlang. Dann hatte er sich mit Nachdrucken seiner Gedichte herumzuschlagen, was auch im Almanach zum Austrag gebracht wurde; auch seine neuen Publikationen bietet er darin gegen Vorausbezahlung an, oder er sucht durch Subskriptionen zu ermitteln, ob sich der Druck eines neuen Bandes lohne. Dann setzt er sich wieder in langen Nachschriften mit den böswilligen Rezensenten auseinander und sucht dem Publikum seinen Standpunkt klar zu machen. Die zahllosen Einsender schlechter Gedichte fertigt er zuweilen gewaltig derb ab. „In Ermangelung eines Schofelarchivs," schreibt er einmal, „dergleichen Bürger neulich hinter seinem Ofen in einem geräumigen Holzkorbe angelegt haben soll, ließ ich sie gewöhnlich, wie sie ankamen, durch die heilige Flamme des Feuers zu den Sternen emporfliegen rc." Nun aber wolle er sie in einem „Schofelalmanach" ab- drncken rc.
Endlich, nachdem 1799 überschlagen war, erschien für das Jahr 1800 der letzte Voßische Almanach, der sich übrigens — wie gesagt —
534 -
schon längst überlebt und ausgelebt hatte. Die Almanache hatten an den Taschenbüchern und Kalendern eine nicht zu überwindende Konkurrenz bekommen. Die lange Reihe derselben Wurde1791 durch das „Taschenbuch zum geselligen Vergnügen" von W. G. Becker eröffnet. Auch darin erschienen Gedichte, aber entweder waren es längere, wie Goethes Hermann und Dorothea (vgl. Daheim S. 404), oder sie bildeten neben dem Novellenstoff nur eine Art Zugabe. Auch Schillers „Dreißigjähriger Krieg" und seine „Jungfrau von Orleans" erschienen zuerst in einem Kalender. Diese Taschenbücher — „der Grazien"
— „für Frohsinn und Liebe" — „für Freunde und Freundinnen des Schönen" — „für Frauenzimmer" — „Urania" — „Eidora" — „Iduna" — „Vergißmeinnicht", um nur einige der Titel zu nennen
— und die sich allmählich vervollkommnenden Kalender erhielten dann
einen Hauptreiz durch die trefflichen Bilder von Chodowiecki zu klassischen Dichtungen. Die umstehend mitgetheilten Reproduktionen einiger von diesen meisterhaften Illustrationen des vorigen Jahrhunderts geben zugleich eine Probe von dem oft überzierlich kleinen Format jener Lieblingsbücher unserer Vorfahren. R. K.
Wor dem Sturm.
Historischer Roman von Theodor Fontane.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten. Ges. v. ll./VI. 70.
XXXV. Renate an Lew in.
In der zweiten Januarwoche hatte Jürgaß Lewin und seine übrigen Freunde zu einem Dejeuner eingeladen. Der für dasselbe bestimmte Tag war nun da, aber noch nicht die festgesetzte Stunde. Lewin hatte sich's auf seinem Sopha so bequem gemacht, wie es der Bau desselben zuließ, und blätterte in Herders „Völkerstimmen", einem Buche, das ihm besonders theuer war. Es war ein Geschenk Kathinkas und hatte selbst dadurch nichts an seinem Werthe verloren, daß es ihm von Seiten der Geberin, die nur Sinn für das Pathetische und Komische, aber nicht für das Naive hatte, mit einem Anfluge von Spott überreicht worden war. Er las eben die Stelle:
So geht's, wenn ein Maidel zwei Knaben lieb hat,
Thut wunderselten gut,
Das haben wir beid' erfahren,
Was falsche Liebe thut —
als Frau Hulen mit einem Briefe eintrat, der von der Post her abgegeben worden war. Es waren Zeilen von Renatens Hand, trugen aber nicht den Küstriner, sondern den Selower Stempel, woraus er ersah, daß ihn ein expresser Bote behufs rascherer Beförderung quer durch das Bruch getragen haben mußte. Dies fiel ihm auf, ebenso die Länge des Brieses, als er nicht ohne eine gewisse Unruhe das Siegel erbrochen hatte. Denn unter den zwei extremen Parteien, denen alle briefschreibenden Damen zngehören, zählte Renate zur Partei der äußersten Kurzschreiber. Was bedeutete diese Ausnahme?
Lewin las:
Hohen-Vietz, Dinstag, den 12. Januar 1813.
Lieber Lewin! Papa, der Dir schreiben wollte, wird eben .abgerufen; Graf Drosselstein ist da, um Geschäftliches mit ihm zu erledigen. So fällt mir es zu, Dir über unsere letzten Erlebnisse zu berichten. Schwere Stunden liegen hinter uns. Wir hatten diese Nacht ein großes Feuer: der alte Saalanbau ist niedergebrannt.
Du wirst näheres wissen wollen; so laß mich denn erzählen.
Es war kaum zwölf, als ein Lärm mich weckte. Ich richtete mich auf und sah, daß die Scheiben glühten, als fiele das Abendroth hinein. Ich sprang aus dem Bett und lief an das Fenster; der Hof war noch leer, aber aus der Mitte des Saalanbaus schlug eine Flamme auf, und unter der Einfahrt, den Rücken mir zugekehrt, stand unser alter Pachaly und blies auf seinem Kuhhorn in die Dorfgasse hinein, in Tönen, die mir noch jetzt im Ohre klingen.
Mich wandelte eine Ohnmacht an und von den nächsten Minuten weiß ich nichts. Als ich mich wieder erholt hatte, saß ich aufgerichtet in meinem Bett und Tante Schorlemmer und Maline waren um mich her, beide zitternd vor Angst und Aufregung. Sie packten immer neue Kissen in meinen Rücken, Maline hatte Riechsalz gebracht und Tante Schorlemmer betete,
während ihr über die Lippen flogen: „Herr Gott Zebaoth, steh uns bei in unsrer Noth!"
Ich weiß nicht, wie es kam, aber alle Angst war plötzlich von mir abgefallen, wie wenn die hinschwindende Ohnmacht den Schrecken mit fortgenommen hätte. Ich verlangte aufzustehen, kleidete mich rasch an, und da gerade nichts anderes zur Hand war, setzte ich die polnische Mütze aus, die Kathinka hier zurückgelassen hatte. So ging ich hinunter.
Das Feuer hatte mittlerweile rasche Fortschritte gemacht und noch immer war keine Spritze da. Aber kaum, daß ich auf den Hof getreten war, als auch schon von der Dorfgasse her ein Rasseln hörbar wurde, und im nächsten Augenblick kam unsere Hohen-Vietzer Spritze durch das Thor; Krist und der junge Scharwenka hatten sich an die Deichsel gespannt, und Hanne Bogun mit seinem Stumpfarm gegen den Wasserkasten gelehnt, half durch Schieben nach. Hart an dem Steindamm, aber jenseits nach dem Wirthschaftshofe hin, fuhren sie auf. Papa hatte schon vorher Mannschaften an den Ziehbrunnen !
und an die kleine Hofpumpe gestellt und nun in doppelter Reihe >
wurden die Eimer zugereicht. Alles war Eifer und Leben, und ^
ehe fünf Minuten um waren, fiel der erste Strahl in die !
Flamme. Schulze Kniehase leitete alles. Sonderbar, inmitten !
dieses Grauses schlug mir das Herz wie vor Freude höher. ^ Aber welch ein Anblick auch! Ich werde dieser Minuten uie ^ vergessen. Die Nacht hell wie der Tag, alle Gesichter vom Glanz beschienen, Kommandoworte und dazwischen jetzt vom ! Thurme her, in langen abgemessenen Pausen, Stürmen der Glocke. Der alte Kubalke, trotz seiner achtzig, war selbst hin- aufgegangen, um in das ganze Bruch hineinzurufen: „Feuer, Feuer!" Und nicht lange, so hörten wir die Antwort darauf.
„Das ist die Hohen-Ziesarsche," sagte Jeetze, der klappernd vor Frost neben mir stand, und gleich darauf fiel auch die Manschnower ein. Ich erkannte sie selbst an ihrem tiefen Ton. Immer rascher gingen nun die Eimer, da jeder wußte, daß die Hilfe von den andern Dörfern her jetzt jeden Augenblick kommen müsse. Und sie kam auch wirklich. Die Hohen- ! Ziesarsche war wieder die erste; im Carriers mit zwei von des Grafen Pferden kam sie den Forstackerweg herunter, und wir hörten sie schon, als sie bei Miekleys um die Ecke bog. Es schütterte wie ein Donner. Mit lautem Freudengeschrei wurden sie begrüßt, und Kümmeritz, der seine Gicht eben erst los geworden war, übernahm das Kommando.
Auf dem Wirthschaftshofe, aber doch so, daß die in Front stehenden Spritzen unbehelligt blieben, hatte sich inzwischen das halbe Dorf versammelt. In vorderster Reihe standen Seidentopf und Marie; er, in seiner alten schwarzen Tuchmütze mit dem weit vorstehenden Schirm, daß es aussah, als ob er gegen den Feuerschein schützen wollte; sie, an seinen Arm gelehnt und wie ich durch das aufregende Schauspiel ganz hingenommen. Wieder überraschte sie mich durch ihre besondere Schönheit.
Ihr Gesicht war schmaler und länger als gewöhnlich und aus