Heft 
(1878) 35
Seite
560
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Nachdruck verboten. Ges. v. 11 ./VI. 70.

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Aürst Msmarck im Lichte der Geschichte.

Es ist ein mißlich Ding um das Prophezeien! In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom l3. Juni 1865 sprach der Abgeordnete Duncker folgendermaßen:Die heutige Periode wird vielleicht ungefähr so in der Geschichte verzeichnet stehen: Ja, es war eine Zeit der Zersetzung; die Mission des Ministerpräsidenten war wohl vorzugsweise, die Unhaltbarkeit der deutschen Verhältnisse in dem glänzendsten und schneidendsten Lichte zu zeigen. Aber ich glaube nicht, daß die künftige Geschichte ihn, den heutigen Ministerpräsidenten, unter die wahrhaften Gründer und Förderer des preußischen Staates in der fortschreitenden Entwickelung seiner wirklichen historischen Mission einzeichnen wird. Dazu gehen ihm jene Eigenschaften ab, welche ich mir vorhin zu schildern erlaubt habe (die Macht der Begeisterung nämlich, welche die Gemüther leitet, und welche selbst eine widerwillige Volksvertretung sich unterthänig macht)."

Der das vorher sagte, ist kein unbedeutender Mensch und er war damals eine Leuchte der Fortschrittspartei. Und was ist aus seiner Prophezeiung geworden? Oder können wir etwa darüber noch nicht entscheiden, weil wir selbst noch der Gegenwart angehören? Bis zu einem gewissem Grade hat dieser Einwand seine Berechtigung. Eine erschöpfende gerechte Würdigung der Persönlichkeit des Fürsten Bismarck läßt sich heute noch nicht schreiben, wohl aber lassen sich gewisse Perioden seiner politischen Thätigkeit schon jetzt historisch und nicht nur zeitgeschichtlich würdigen, denn sie liegen endgültig hinter uns.

Das Material zu einer solchen Würdigung liefert uns nun ein überaus interessantes Werk von Ludwig Hahn:Fürst Bismarck. Sein politisches Leben und Wirken urkundlich in Thatsachen und des Fürsten eigenen Kundgebungen dargestellt. (Berlin, Wilhelm Hertz. 1878. 2 Bände.) Es ist das eine im höchsten Grade interessante Publikation. Hahn hat sich erfreulicher Weise nicht damit begnügt, nur die Reden und Depeschen zu veröffentlichen, nein, er bringt auch alles Material herbei, dessen wir bedürfen, um sie zu verstehen.

Wie interessant ist das Studium dieses Buches, wie unter­richtend! Es ist eine wahre Fundgrube der Belehrung für den Staatsmann, für den Volksvertreter, für den Publizisten, für den Geschichtsschreiber und für den Geschichtsfreund. Und das nach zwei Seiten hin. Einmal lernen wir in ihm die Entwickelung eines politischen Genies und eines höchst inter­essanten Charakters ans den Anschauungen eines überzeugungs­treuen Landedelmanns zu einem der ersten Staatsmänner der Welt kennen; sodann werden wir gewahr, wie unzutreffend die Vorstellung ist, als ob eine selbst ans den gebildetsten und intelli­gentesten Kreisen des Volkes zusammengesetzte Vertretung schon eben um dieser Zusammensetzung willen nothwendig das Richtige treffen müsse.

In letzterer Beziehung ist namentlich die Tragödie der Konfliktzeit im höchsten Grade belehrend. Da sehen wir eine Volksvertretung, intelligent und wohlmeinend wie nur irgend eine andere, aber verrannt in unglückseligen Doktrinarismus und die seltsamste Selbstüberschätzung. Es tritt ihr ein Staats­mann entgegen, der vielfach dasselbe will, was die Abgeordneten wollen: die Größe seiner Nation, ihre politische Zusammen­fassung und eine rechtliche Entwickelung derselben. Sie gehen in den Wegen zu diesem Ziel auseinander; denn er will es erreichen, indem er dem Parlament eine Rolle anweist, neben der ein wirkliches Königthum kraftvoller Fürsten bestehen kann; sie dagegen wollen mehr oder weniger bewußt das Schwergewicht des Regiments vom Fürsten auf das Parlament übertragen. Das sind sehr verschiedene Anschauungen, deren Anhänger sich nothwendig heftig bekämpfen müssen, aber der Kampf schließt ja gegenseitige Achtung nicht aus. Nie ist ein Mann seinen Gegnern offener und ehrlicher entgegengetreten als der Fürst dem Abgeordnetenhause. Von vornherein sagt er, daß er das absolute Budgetrecht nicht zugestehen kann und will, weil es sich dabei um die Macht der Hohenzollernschen Krone handelt, und diese Macht, die Preußens Größe schuf, seiner Auffassung nach für Preußen und somit für Deutschland jetzt und alle Zeit das Fundament der Macht und des Gedeihens bleiben muß.

Von vornherein sagt er ferner, daß er sich in der Kon­fliktfrage unmöglichen Beschlüssen, Beschlüssen, welche von dem Könige verlangten, daß er die Hälfte der Infanterie, ein Drittel der Kavallerie entlassen solle, nicht fügen werde. In allem übrigen ist er zu jedem Entgegenkommen bereit.

Und dieser Mann wird nun von einer Anzahl persönlich höchst achtungswerther Männer, von Männern, deren Namen zu allen Zeiten am Himmel deutscher Wissenschaft als Sterne ersten Ranges glänzen werden, gleich anfangs angegriffen, als ob er der schlechteste und unfähigste Mensch unter der Sonne wäre, und zwar in einem Tone angegriffen, der im Munde solcher Männer selbst einem Schlechten und Unfähigen gegen­über als bedauerlich bezeichnet werden müßte. Ihm gegenüber ist jeder Hohn erlaubt, jede Beleidigung gerechtfertigt. Mit seltener Charakterstärke nimmt er das alles hin, versucht er es immer wieder seine Gegner davon zu überzeugen, daß er gar nicht der Dunkelmann und Absolutist sei, für den sie ihn halten, daß es viel mehr Berührungspunkte zwischen ihnen gibt, als sie glauben alles vergeblich. Er erzielt endlich große Er­folge, und die Welt wird seines Ruhmes voll, aber zu Hause will man noch immer nichts davon wissen, den alten Gegnern ist er noch immer der unfähige Reaktionär, der seine Ziele nur zufällig erreichte, bis ihm endlich die Sonne unerhörten Er­folges lacht und damit das Vertrauen der Nation ganz und voll gewonnen ist.

Einige Auszüge aus den damaligen Reden mögen das Gesagte belegen.

Gleich anfangs erklärt der Abgeordnete S chultze-Delitzsch:

Wenn das jetzige Ministerium diesen Ruf (Centralgewalt und Parlament) erschallen ließe, so würde sich bei dem von ihm berufenen deutschen Parlament niemand einfinden." (Bravo. Große Heiterkeit im Hause.)

Und von Sybel:

Die Kleinodien unserer Vergangenheit werden uns unter den Händen verfälscht und der Blick unserer Zukunft wird uns von Grund ans verdüstert."

Von Carlowitz prophezeit:

Ich bin der Meinung, daß, was dieses Ministerium auch ans dem Gebiete der auswärtigen Politik unternehmen möge, jede seiner Unternehmungen von vornherein mit Unfruchtbarkeit werde geschlagen sein. (Sehr wahr" im Hause.)

Als im Jahre 1863 die polnische Frage wieder ihr Haupt erhebt, ruft von Sybel, den die Nation sonst mit Recht um seines klaren sachlichen Urtheils willen schätzt:

Die Regierung hat sich wieder das Zengniß ansgestellt, daß die Essenz ihres Wesens die Nichtachtung des Rechtes ist, daß sie weder im Innern noch nach außen handeln, weder ruhen noch wirken, ja ich möchte sagen, weder leben noch sterben kann, ohne die Gesetze dieses Landes zu verletzen."

Einige Tage darauf erklärt der verstorbene Abgeordnete Twesten,daß die Ehre der augenblicklichen Regierung nicht mehr die Ehre des Staates und des Landes ist".

Der Abgeordnete Simson definirt:

Regieren heißt meines Ermessens, die Geister führen, es heißt nicht, sich nothdürftiger Weise in der Regiernngssphäre erhalten. Die Bewunderung dafür, daß jemand nicht fällt, eine Bewunderung, die man ja jedem Seiltänzer wird zuwenden müssen, ist nicht der Art, daß jedermanns Gaumen und Appetit darnach stände."

In derselben Sitzung erklärt dann wieder von Sybel als Referent:

Das Herz unseres Ministeriums scheint leider nur an Bildern der Unfreiheit und Unterdrückung zu hängen und so schrumpft denn auch ihre Staats- und Kriegskunst, wie ihr Verfassnngsleben zu der Glorie der polizeilichen Chikane zusammen . . . Meine Herren, unser Staat ist jetzt ein Schiff, das sich mit thöricht überhöhten Masten, des besten Theiles seines Eisens und seiner Dampfkraft beraubt, mit Herrn von Roon im Maschinenraum und Herrn von Bismarck am Steuer in den gähnenden Ozean der europäischen Händel hinauswagen soll."

Der das aussprach ist, wie man weiß, ein Mann, der auch schon damals auf dem Meere der Geschichte wohl be­wandert war. Der Fehler lag nur darin, daß er sich infolge dessen auch für berechtigt und befähigt hielt, auch auf dem Ge­biet der Politik als Sachverständiger aufzutreten.

Mittlerweile beginnen die Schleswig-Holsteinschen Händel und der Steuermann bedarf seines ganzen Genies, seiner ge-