Heft 
(1878) 35
Seite
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spanntesten Aufmerksamkeit, um die zahlreiche» Klippeu zu ver­meiden. Man sollte erwarten, daß die Passagiere jetzt wenigstens sich ruhig verhalten und ihn gewähren lassen würden, denn ihr Leben hängt ja nicht weniger an dem Schiff als das seine. Keine Spur davon. Alle diese Landratten: Professoren, Richter, Beamte, Aerzte re. geberden sich wie alte Seeleute und kriti- siren frisch darauf los. Mehr als das sie meutern geradezu.

Wenn die prenßische Regierung unter den jetzigen Umständen ge­neigt sein sollte, Krieg mit Dänemark zu führen, so werden wir einer solchen Neigung entschieden entgcgentreten müssen, weil wir die jetzigen Zustände nicht als solche betrachten können, unter denen unter irgend welchen Umständen ein glückliches Resultat des Krieges und eine glück­liche definitive Lösung dieses Streites zu erwarten wäre."

So erklärt Twesten von vornherein, und Dr. Löwe sckundirt:

Die Pflicht dieses Hauses geht dahin, diesem Ministerium nicht blos wegen seiner verwerflichen Grundsätze, nicht blos wegen seiner Tendenz die Mittel zu versagen, sondern besonders deshalb, weil dieses Ministerium einen so außerordentlichen Mangel an staatsmännischer Geschicklichkeit und Einsicht, an Kenntniß der wirklichen Verhältnisse des Staates, besonders aber der wirklichen Machtmittel dieses Staates gezeigt hat, daß wir ihm keine neuen Mittel, soweit wir es verhindern können, in die Hände geben dürfen, weil wir die Mittel, die wir ihm in die Hände geben, als verwüstet betrachten."

Am 22. Januar 1864 erklärt der Abgordnete Aßmann in seiner Eigenschaft als Referent:

Wir wissen ja schon längst, daß dieses Ministerium mit jedem Schritt, gleichviel ob in der inneren oder äußeren Politik, ein Stück preußisches Land zertritt, wir wissen längst, daß Preußen in den Händen dieses Ministeriums entweder zur Ohnmacht oder zum Selbst­mord verurtheilt ist."

Und so geht es fort. Der Ton ändert sich auch nicht, als alle Welt schon erkennt, daß infolge der klugen Politik Bismarcks Schleswig-Holstein für Deutschland gewonnen ist. Selbst da noch erklärt Virchow:

Daß selten in einer großen Krisis ein leitender Staatsmann

solche Sprünge gemacht hat, wie er (Bismarck) und daß, wenn es ihm gelungen ist, durch die Krisis hindurch, ein gewiß großes und an­erkennenswertstes Resultat zu erreichen, ich nicht im Stande bin, es als sein Verdienst anzuerkennen, sondern daß ich es für einen Zufall halte." (!!!)

Nun, die Zufälle mehrten sich erfreulicherweise, bis endlich auch die verranntesten Gegner erkannten, wen sie vor sich hatten und froh waren, ihn am Steuer des Schiffes zu wissen.

Man kann es nicht ohne die höchste Anerkennung sehen, wie der Fürst trotz aller dieser Angriffe immer und immer wieder versucht, die Volksvertretung davon zu überzeugen, daß sie ihn mißversteht.

Wir empfehlen das Hahnsche Buch daher ganz besonders den Gegnern des Fürsten. Wir empfehlen es aber auch den Volksvertretern und solchen, die Volksvertreter werden wollen. Sie werden daraus einen heilsamen Abscheu gegen den Dilettan­tismus, den größten Feind des Fortschrittes, schöpfen.

Alle diese Abgeordnete waren wohlmeinende, patriotische und geistig bedeutende Männer, die, deren Reden wir zitirteu, sogar größtentheils auf dem Gebiet ihres Faches ausgezeichnete Kräfte. Wenn ihre damaligen Reden jetzt trotzdem unwill­kürlich Heiterkeit Hervorrufen, so liegt das daran, daß sie sich ver­leiten ließen, Dinge zu beurtheilen, von denen sie nicht genug ver­standen, ja über die sie, der Natur der Sache nach, nicht hin­reichend unterrichtet sein konnten. Sie wurden ein Opfer jener einst weit verbreiteten Vorstellung, nach welcher ein jeder Volks­vertreter schon als solcher berechtigt, ja verpflichtet war, sich über jede beliebige, ihm auch noch so fern liegende Frage ein Urtheil zu bilden, statt in solchen Fällen sich eben auf den Fachmann zu verlassen. In dieser Richtung haben wir Fort­schritte gemacht und werden wir noch größere machen.

Dazu wird das Hahnsche Buch sein reichlich Theil bei­tragen. Th. H. P.

Kirie merkwürdige Aostreise.

Lange, lange ist's her" als ich zn X. als Referendarius be­schäftigt war. Dies geschah zu jener Zeit, in welcher sich ein außer­gewöhnlich großer Andrang zur Juristerei bemerklich machte. Fast bei jedem Gerichte befanden sich bei weitem mehr unbesoldete Assessoren und Referendare, als beschäftigt werden konnten, und an Orten, welche außergewöhnliche Annehmlichkeiten darboten und deswegen von den jungen Leuten bevorzugt wurden, war die Anzahl der jungen Juristen eine unerhört große. Zu diesen Orten gehörte auch L.

Dasselbe war seit jeher vom Referendariate bevorzugt worden; jetzt zur Zeit der Uebcrfüllung waren mitunter beim Appellationsgerichte, beim Kreisgerichte und bei der Regierung zusammen über hundert junge Beamte beschäftigt, und viel weniger werden es nicht gewesen sein, als ich mich dort befand. Wir hielten sehr fest zusammen. Was einem geschah, das berührte alle. Unser Leben und Treiben, welches sich möglichst fern von den Fesseln der Konvenienz bewegte, hatte starke Anklänge an die Ungebundenheit der Studentenzeit aufzuweisen sehr zur Ungebühr, wie ich heute bei ergrautem Haupte einzugestehen keinen Anstand nehme; denn jedes Ding hat seine Zeit. Nur allzu häufig wurden die lustigen Jünger der ernsten Frau Themis von der Mitter­nacht beim vollen Glase überrascht. Und wenn man zum Aufbruch rüstete und Arm in Arm die stillgewordenen Straßen hinabschlenderte, so geschah es wohl, daß die eine oder die andere durstige Seele aus den Gedanken kam, es sei doch wohl zu früh gewesen, um schon nach Hanse zu gehen, und oft hieß es mit dem bekannten Liede:Da geh' ich lieber ins Wirthshaus zurück!" Aber oft genug fanden wir auch wegen der vorgerückten Stunde die Thüren verschlossen, an wie viele und wie laut wir auch pochten.

In solchen trübseligen Umständen war die Postpassagierstube die einzige Rettung. Dieselbe befand sich in einem Gasthofe unmittelbar neben dem Postgebäude und von diesem nur durch eine Einfahrt ge­trennt, welche in den gemeinschaftlichen Hofraum führte. Sie war die ganze Nacht hindurch wegen der vielen zu dieser Zeit ankommenden und abgehenden Posten geöffnet. So geschah es denn, daß wir dursti­gen Seelen oft genug dort scharenweis nächtlicher Weile einkehrten und als letzten Trunk einen Schlummergrog genossen, welchen man in vorzüglicher Güte kredenzte. Ganz ruhig pflegte es dabei nicht abzu­gehen. Die auf den Abgang einer Post harrenden Reisenden mögen mitunter in ihrer ohnehin nicht großen Behaglichkeit gestört worden sein, und dies mochte zu Beschwerden geführt haben. Kurz und gut, eines schönen Tages war in großer Schrift auf einer an der Wand - hängenden Papptafel eine Verordnung des Oberpostdirektors zn lesen, nach welcher Speisen und Getränke nur an solche Personen verabreicht werden sollten, welche sich durch ein Fahrbillet als Postreisende aus- weisen konnten, und wir mußten ohne den ersehnten Schlummergrog von dannen ziehen. Aber der Herr Oberpostdirektor hatte die Rech­nung ohne den Wirth gemacht. Er hatte nicht in Erwägung gezogen, XIV. Jahrgang. 35. ti.* -

daß morgens um zwei Uhr eine Post für den Fahrpreis von fünf Silbergroschen nach dem Nachbarstüdtchen L. ging.

Morgen früh um zwei Uhr fahren wir alle nach L.," lautete die Parole am nächsten Tage, und zum Erstaunen des expedirenden Post­beamten wurden kurz hinter einander zwanzig Billets nach L. gelöst. Dies Erstaunen steigerte sich zum Entsetzen, als im Laufe der Nacht die Anzahl der nach L. Reisenden ans dreißig, vierzig, endlich auf fünfzig und darüber anwnchs. So viel Wagen, Pferde und Postillone standen gar nicht zur Verfügung. Der Posthalter wurde aus dem Schlafe auf­gestört. Seine Leute stürmten händeringend durch die Straßen der Stadt, um zur Aushilfe Miethsfuhrwerke anzuwerben.

Inzwischen saßen wir vergnügt wie die Könige bei unserem Grog, den man uns auf Vorzeigung unserer Fahrbillets nicht hatte ver­weigern können. Das ziemlich geräumige Zimmer war so voll, daß kein Apfel zur Erde konnte und daß man sich entschließen mußte, ein Nebenzimmer zn öffnen.

Als die Zeit des Postabganges sich nahte, rasselte zu unserer nicht geringen Belustigung ein Beiwagen nach dem anderen in den Posthof, und wenn einer von uns hinausging, um sich vom Stande der Dinge zu überzeugen, so hatte er von schrecklichen Flüchen und Verwünschungen zn berichten, die draußen im Posthofe über die plötzliche Frequenz in die Nacht hinaus geschleudert wurden. Und in der Runde erscholl es: Kellner, noch ein Glas Grog!" Endlich schlug es zwei Uhr, und der Postillon des Hanptwagens stieß ins Horn, um zum Ausbruch zn mahnen. Aber die Anstrengung seiner Lunge hatte nur den Erfolg, unsere ungeheure Heiterkeit noch zu erhöhen. Niemand rückte vom Platze, und jeder schaute vergnügt in das errungene Grogglas. Der Schwager aber draußen ließ, wie es Vorschrift ist, seinen Lockruf in drei gleichmäßigen Pausen ertönen; dann rasselte der schwere Wagen über das holperige Pflaster zum Posthofe hinaus. Ihm folgten nach kurzer Zeit sämmtliche Beiwagen, um die Rosse heimwärts zu lenken!

Am nächsten Morgen stürmte der Oberpostdirektor mit bitterer Anklage auf den Lippen zum Chefpräsidenten. Dieser aber, ein jovialer und humaner alter Herr, der unserem lustigen Treiben nicht abhold war, obgleich er sich mitunter mißbilligend darüber äußerte, zuckte die Achseln und meinte, er könne den jungen Leuten eine Lustfahrt doch nicht verbieten, wenn sie nur zur rechten Zeit wieder auf dem Platze wären. Das Ende vom Liede war, daß die vorerwähnte Papptafel mit der Verordnung des Oberpostdirektors wieder verschwand, und daß man unfern Gelüsten nach einem guten Schlummergrog keine Hinder­nisse mehr in den Weg legte. Zu unserer Ehre kann ich berichten, daß wir unseren Sieg nicht mißbrauchten.

Wie ich hoffe, wird einer oder der andere meiner damaligen Ge­nossen dieses Blatt zu Gesicht bekommen und dann lächelnd zn sich selber sagen:Dabei bin ich auch gewesen."

Arnold Friedrich.