Issue 
(1878) 40
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und ehrenreiche Leben in die Bahnen der Sozialdemokratie. Es war nicht der organische Abschluß einer organischen Ent­wickelung, sondern der letzte schrillste Ausklang schriller Dis­harmonien, die wie so manchen braven Mannes auch Demmlers Dasein zerstörten in jener schmerzvollen Uebergangsepoche von der deutschen Zerrissenheit zur nationalen Einheit. Er war Burschenschafter in Berlin gewesen und blieb den Idealen seiner Jugend treu; mannhaft trat er als Repräsentant der Bürger­schaft von Schwerin für das Staatsgrundgesetz seines Landes ein, als es nach 1848 bedroht erschien. Darüber gerieth er in amtliche Konflikte, und 1851 erfolgte seine Entlassung ohne Pension; noch in den besten Mannesjahren sah er sein rastloses und rüstiges Wirken mit einem Schlage vernichtet. Sechs Jahre reiste er im Auslande, in fast allen europäischen Ländern; dann kehrte er in die Heimat zurück, die ihm nichts mehr bot als das unfruchtbare Gebiet der Politik. 1859 half er in Frankfurt a. M. den Nationalverein stiften, dessen Programm bekanntlich die deutsche Einheit mit preußischer Spitze war, aber als sich dies Programm 1866 erfüllte, gehörte Demmler zu denen, welche die Form über der Sache nicht vergessen konnten; grollend kehrte er sich ab von dieser Erfüllung seiner Hoff­nungen und suchte neues Heil in neuen Parteien. Er half wieder 1868 die deutsche Volkspartei in Stuttgart, kurz darauf die Freiheits- und Friedensliga in Genf stiften; so ging es Etappe um Etappe bis zu dem Rubicon, der die äußersten Siedelungen des modernen Staates von dem Kriegslager der modernen Barbaren scheidet. Nachdem er so weit gekommen war, trieb ihn vielleicht gerade seine aufrichtige Liebe zu der arbeitenden Klasse, nun auch noch den letzten Schritt zu thun; möglich, daß ihn das edelste Motiv in die schlechteste Gesell­schaft führte. Aber auch hier hat er schwerlich gefunden, was er suchte; fremd unter Fremden stand er inmitten der Dema­gogen und erregte gelegentlich ihr gelindes Entsetzen, wenn er als Redner im Reichstage die Zustände seiner Heimat als musterhaft für das deutsche Reich rühmte. Patriarchalische Bande sollen ihn noch heute an den Hof von Schwerin knüpfen; darüber circulirt manche hübsche Anekdote, die wenn nicht wahr, so doch gut erfunden ist. Jedenfalls erhielt er noch vor drei Jahren den Auftrag, nach seinen Plänen den Zuschauerraum des vor 43 Jahren von ihm erbauten Schauspielhauses zu er­weitern und mit bewundernswertster Originalität führte er die schwierige Aufgabe ans. Sonst hat er sich in den letzten Jahr­zehnten nur noch theoretisch mit seiner Kunst beschäftigt, einen Erweiterungs- und Verschönerungsplan von Schwerin veröffent­licht, sich an mancherlei Preisaufgaben betheiligt, namentlich bei der Concurrenz zu einem deutschen Reichstagsgebäude, bei welcher sein Entwurf zur engeren Wahl kam. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß ein Mann dieser Art dem Wühler­thum im eigentlichen Sinne ganz fern steht, aber trotz dieser Reserve scheint erschiefer Stellung volle Qual" zu fühlen; wenigstens hat er längst erklärt, daß er nie wieder ein Mandat annehmen werde. Es ist ein charakteristischer Zufall, daß der einzige Mann im obersten Rathe der Sozialdemokratie, welcher viel für die Arbeiter gethan hat, am ehesten ihrer Gemeinschaft überdrüssig wird.

Nur um zehn Jahre jünger, wie der vierundsiebjährige Demmler,istRittinghausen, ein Rentner aus dem Rheinlands. Er war 1848 Mitglied des Vorparlaments, für dessen Per­manenz er stimmte; im gleichen Jahre veröffentlichte er eine Schrift über die Organisation der Staatsindustrie. Bekanntlich versuchten schon in jener stürmischen Zeit Engels, Marx und Lassalle von der Metropole Köln aus, den deutschen Westen und Süden für eine kommunistische Schilderhebung zu insur- giren; wenn überhaupt eine, so hat Rittinghausen keinesfalls eine namhafte Rolle in diesem Plane gespielt. Auch sonst ist von seinen politischen Thaten wenig zu melden; dagegen hat er manches geschrieben, namentlich in französischer Sprache mehrere Schriften über die direkte Gesetzgebung durch das Volk, die in den fünfziger Jahren zu Brüssel und Paris erschienen, ferner viele Aufsätze in derRevue trimestrielle"; in deutscher Sprache namentlich fünf Hefte sozialdemokratischer Abhand­lungen. Ganz taktfest ist auch er übrigens nicht in dem offiziellen

XIV. Jahrgang. 40. L*

Glaubensbekenntniß; wenigstens hat er neuerdings großen Zorn in der Partei erregt durch eine eigenmächtige Agitation, welche er in Köln für Uebertragung der Feuerversicherung auf das Reich einleitete.

Der dritte und letzte unter den Zwölfen, dessen Anfänge noch bis in die vormärzlichen Zeiten reichen, ist Wilhelm Liebknecht, das Haupt und die Seele der deutschen Sozial­demokratie, ein Fanatiker des Umsturzes, der fast mit der Muttermilch den unbezwinglichen Drang eingesogen zu haben scheint, Haß, Neid, Zorn in menschliche Herzen zu flößen. Schon als halber Knabe berauschte er sich an den Schriften St. Si­mons; als er nach einem glänzenden Abiturientenexamen mit sechszehn Jahren das Gießener Gymnasium verließ, war er sich klar darüber, daß der Staatsdienst eines freien Mannes unwürdig sei, obgleich er selbst aus einer Beamtenfamilie stammt. Mit gleicher Verachtung strafte er natürlich auch die Zwangsjacke des Brotstudiums; er tastete in seinen Universitäts­jahren hin und her; noch dämmerte die Hoffnung, einmal die akademische Carriere machen zu können, im Hintergründe seiner Seele. Aber auch sie erlosch, und mit einundzwanzig Jahren war er frei von allen Vorurtheilen einer überlebten Welt, frei wie die Luft aus den Gebirgen. Er schüttelte den Staub über den alternden Trümmerhaufen Europas, und im nächsten Post­bureau ließ er sich nach Hamburg einschreiben, um in die neue Welt überzusiedeln. Aber im Postwagen traf er einen Schwei­zer, der ihm in glühenden Farben das freie Leben in seiner Heimat schilderte, ihm die Sturmvögel der Revolution wies, die jenseits der Vogesen in immer dichteren Scharen den Horizont verfinsterten. Es war im Jahre 1847. Und auf der nächsten Station stieg Liebknecht aus, und statt nach dem Seehafen eilte er spornstreichs nach Zürich. Diese kleine Anekdote er selbst hat sie veröffentlicht kennzeichnet treffend seinen heftigen, jähen, in überschwänglichen Erwartungen taumelnden Charakter.

Im tollen Jahre hat Liebknecht gute Wacht gehalten als Soldat der Revolution. Wo Kanonendonner erscholl, marschirte er darauf los; in jedem Putsche und in jeder Revolte hat er seine Muskete getragen, es sei denn, daß er zu spät eintras, wie bei dem Februarkampfe in Paris, oder daß ihn Ueber- anstrengung auf das Krankenlager warf, wie bei Herweghs Narreneinfall in Deutschland. Bei Struves badischem Er­hebungsversuche im September 1848 wurde er gefangen ge­nommen, aber nach dreivierteljähriger Untersuchungshaft in Freiburg sreigesprochen; beim Scheitern der Reichsverfassungs­campagne entkam er glücklich in die Schweiz, die ihn alsbald in einem Flüchtlingsschub über die französische Grenze warf, von wo er mit Zwangspaß nach London dirigirt wurde. Hier er dreizehn Jahre das bittere Brot des Exils im schwersten Kampfe ums Dasein. Er lernte Engels, Marx, Wolfs kennen, wurde Mitglied des Communistenbundes, und als dieser ge­mach entschlief, derSchwefelbande", jenes verrufenen Kreises, der sich um Marx sammelte, in jeder Krisis der deutschen Ge­schichte Verrätst sann gegen sein Vaterland, und in engem Conventikel den Brand der rothen Revolution nährte, bis er wieder zur unheimlichen Flamme anflodern konnte in der inter­nationalen Arbeiterassociation, dem wiedergeborenen Commu- nistenbnnde. Hier lernte Liebknecht die eleusinischen Geheim­nisse der Zukunstsreligion bis in ihre innersten Falten kennen; hier füllte sich sein Herz bis zum Rande mit schwarzgalligem Hasse gegen die heimische Erde. Kaum gestattete ihm die Krönungsamnestie die Rückkehr, als er sie auch schon rüstete; nicht für theoretisches Sinnen geschaffen wie Engels und Marx, eifriger, gläubiger, muthiger, opferfreudiger als diese Sybariten des Geistes, die wie in Ekel vor der Beschränktheit und End­lichkeit alles irdischen Seins die Propaganda des Umsturzes als eine Art mephistophelischen Sports betreiben, brannte er darauf mit fiebernder Hcmd das Netz zu webeu, welches die Glieder des deutschen Leibes unlöslich verstricken soll. Und in den sechszehn Jahren, seitdem er den deutschen Boden wieder betreten hat, mag kein Tag, keine Stunde, keine Minute ver­gangen sein, in welcher er nicht seiner Aufgabe gedenk ge­wesen wäre.

Liebknecht ist ein begabter, aber kein hervorragender Kopf;