Issue 
(1878) 40
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Lies Du, Renate." Und Renate las:

Am Grabe der Gräfin Amelie von Pudagla, geb. von Bitzewitz.

Die Du Niedres gemieden In hohem Sinn,

Du bist nun geschieden;

Wohin, wohin?

Wohin? So klingen Der Fragen viel;

Eine kurze Pause folgte.

Wo sie lösen, bezwingen?

Du bist am Ziel.

Das Beste hienieden,

Du hast es erreicht:

Du hast den Frieden.

Sei Dir die Erde leicht.

Dann sagte die Schorlemmer: Es ist nicht anstößig, weil es nicht spöttisch ist, so könnte dieser und jener sagen. Aber, theuerster Pastor, einem christ­lichen Herzen gibt es doch Anstoß genug. Erfragt:wohin?" und weiß die Antwort nicht. Gott sei Dank, ich weiß sie."

Seidentopf, der einer von den Allerweltsadvokaten war und immer etwas zu vertheidigen fand, wollte auch diesmal zu Gunsten Faulstichs eintreten, Renate aber, die mittlerweile wahrgenvmmen hatte, daß auch die Rückseite der an Ausdehnung und Glauben gleich kurz gehaltenen Cantate mit Bleististzeilen überkritzelt war, ließ es zu keiner Pastoralen Entgegnung kommen und bemerkte nur, indem sie mit ihrem Zeigefinger über das Gekritzel hinfuhr:Ich wette, theuerster Prediger, daß wir hier auf der Rückseite des Blattes Ihren kritischen Kommentar haben. Habe ich recht?"

Nein, liebe Renate," antwortete Seidentopf.Ich bin überhaupt unkritisch, wie Turgany versichert. Auf manchem Gebiete vielleicht weniger als er annimmt, aber doch gewiß unkritisch ans dem Gebiete der Cantate. Ich käme in Ver­legenheit, wenn ich überhaupt nur feststellen sollte, was eine Cantate sei."

Nun, wenn keinen Kommentar, was enthalten diese Zeilen dann?"

Letztwillige Bestimmungen der Guser Tante. Nicht ihr eigentliches Testament, ein solches hat sich überhaupt nicht ge­funden, aber eine Art Begräbnißprogramm. Es fand sich unter anderen Papieren ans ihrem Schreibtisch, und ich habe mir, mit des Papas Erlaubniß und natürlich unter Weglassung einiger französischer Einschiebsel, in aller Eile eine Abschrift davon genommen."

O, das niüssen wir hören," rief Renate mit Lebhaftig­keit.Aber es ist Augenpulver und- gar nicht zu entziffern. Da müssen Sie selber aushelfen."

Gern," erwiderte Seidentopf,und um so lieber, als genau nach dem Inhalte dieses Programms verfahren wurde. Diese Bestimmungen sind die beste Beschreibung, die ich Ihnen von dem Begräbniß selber geben kann."

Nun, so lesen Sie," bat Renate.

Lewin und Marie stimmten mit ein, und nur die Schor­lemmer sagte:Was werden wir da wieder hören müssen!"

Dann nahm Seidentopf das Blatt zurück und begann ohne weitere Säumniß oder Vorrede:

Bei meinem Ableben einzuhaltende Bestimmungen.

Ich fürchte den Tod. Aber diese Furcht hält mich nicht ab, ihm ins Gesicht zu sehen. Er ist das Unvermeidliche. Und so bestimme ich, Amelie von Pudagla, geb. von Vitze- witz, in Nachstehendem wie folgt:

Erstens. Ich will in meiner Wittwentracht in einen Sarg von Cedernholz gelegt und sodann aufgebahrt in die große Halle gestellt werden, da wo der Faun steht. Dieser muß sich, so lange es dauert, an einem andern Orte behelfen."

Da wo der Faun steht," wiederholte die Schorlemmer und klapperte mit ihren Nadeln.

Seidentopf fuhr fort:

Zweitens. Den vierten Tag, bei Sonnenuntergang, will ich begraben werden, aber nicht in der Kirche, auch nicht in der angebauten Derfflingergruft, sondern im Guser Schloß­park, und zwar in dem kleinen Cedernhain, den sie Neu­libanon nennen.

Drittens. Es soll auf dem Wege vom Schlosse bis in den Park, unter Vorantritt Nipplers, von allen Dors- kindeui das Lied:Was Gott thut, das ist wohlgethan" ge­sungen werden. Aber nicht:O Haupt voll Blut und Wunden". Dies verbiete ich ausdrücklich."

Alle schienen von dieser Bestimmung überrascht und sahen sich unter einander an, schwiegen aber. Nur die Schorlemmer sagte:Mein Gott, was ihr das schöne Lied nur gethan hat! Ich hätte keine Ruhe im Grabe, wenn ich so 'was in meinem letzten Willen niedergeschrieben hätte. Renate, Kind, daß Du mir dafür sorgst, daß das Lied gesungen wird. Ich meine bei mir."

Ich werde es, liebe Schorlemmer. Aber hören wir weiter."

Viertens. Am Grabe soll der Prediger eine kurze An­sprache halten, und dabei soll er mich nicht loben wegen dessen, was ich auf Erden gewesen bin oder gethan habe, vielmehr soll er nur sagen, daß mir alles Versteckte, Unklare und Erheuchelte all mein Lebtag zuwider gewesen ist. Dies soll er sagen nicht mir zum Ruhme, sondern weil es die Wahr­heit ist.

Fünftens. Es soll ein Granitblock auf mein Grab gelegt und seiner Zeit eine Metalltafel mit folgender Grab­inschrift eingelegt werden:

IsiöloAb on la blllrns na tonobant xUm ealui Hui rsxoss äans I'ötsrnitö.

I/aLxoraims embsllit wa vis st in'neooinxaAns ou urourunt.

Sechstens. Faulstich, dem ich mein Miniaturbild mit der Rubineneinfassung hinterlasse, soll eine Cantate dichten und Nippler (der ein Douceur von zehn Dukaten empfängt) soll diese Cantate komponiren. Sie mag, je nach Befinden, am Grabe oder aber in der Guser Kirche am dritten Sonn­tage nach meinem Begräbniß gesungen werden.

Siebentens. Am dritten Tage nach meiner Beisetzung und dann alljährlich an meinem Todestage sollen die Schul­kinder gespeist und zwölf Dorfarme neu gekleidet werden.

Achtens. Mit Ausführung dieser Bestimmungen be­traue ich meinen Bruder Berndt von Vitzewitz, ehemals Major im Dragonerregiment von Knobelsdorff, Erbherr auf Hohen-Bietz."

Seidentopf, als er gelesen, faltete das Blatt wieder zu­sammen und die Schorlemmer, ohne von ihrer Arbeit aufzu­sehen, murmelte vor sich hin:Da kömmt selbst Fanlstich wieder zu Ehren."

Jeetzes Eintreten unterbrach das Gespräch. Er erschien mit einem Tablett, auf dem kleine bemalte Tellerchen und ein altmodischer silberner Obstkorb standen. Da niemand gewillt schien, den Platz am Kamin aufzugeben, so wurde das Tablett auf ein rundes mit Tulaer Arbeit ausgelegtes Tischchen ge­stellt und dieses Tischchen in den Halbkreis hineingeschoben. Marie, deren Hände frei waren, machte die Wirthin und schälte das Obst. Allmählich, während der Teller von Hand zu Hand ging, begann das Gespräch wieder, wandte sich aber, da Friedensschlüsse, wie jeder wußte, nicht Wohl möglich waren, anderen Gegenständen zu.

Natürlich behielt Seidentopf das Wort; war er doch, seines Aufenthaltes bei Graf Drosselstein ganz zu geschweige::, un­mittelbar nach dem Guser Begräbniß einen Tag lang in Küstrin gewesen und hatte während dieses Tages vieles gesehen und noch mehr gehört. Ein besonderes Interesse weckten seine Mit­theilungen über die von Tag zu Tag sich mehrenden Deser­tionen, die freilich, wie Seidentopf hinzusetzte, nicht überraschen dürsten, da die Hälfte der Garnison aus Westfalen unter den: Kommando des Generals von Füllgraf bestünde, eines alten Haudegens, der selber, wie man in der Bürgerschaft wohl wisse, aus dem Konflikt zwischen seinem deutschen Herzen und seinen: französischen Eide nicht heraus käme. Auch seine Leute wußten es und gingen deshalb in ganzen Trupps auf und davon. Andere, die vorläufig noch aushielten, hätten ihm einen Vers an die Thüre geklebt, der habe gelautet:

Füllgraf bist Du? Sage nein,

Fülle nicht des Feindes Reihn.

Führ uns. Wollgras sollst Du sein.

Der alte Füllgras selber, schon um nicht Persönlich in Ver­dacht zu kommen, habe bei General Fournier, seinem Komman­danten, Anzeige von den: Vorfall gemacht und auf Untersuchung angetragen, aber die Untersuchung habe nichts ergeben und die