Issue 
(1878) 40
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Desertionen hätten sich nur gemehrt. Der letzte Trupp sei siebzehn Mann stark gewesen und habe sich auf Kirch-Göritz zu davon gemacht. Dort hätten sie sich mit elf Kirchgöritzern zu- sammengethan und unter dem Kommando des Handschuhmachers Pfeiffer die Franzosen, die in der Krampe Weidenzweige für die Faschinen schnitten, Überfällen. Dabei seien zwar vier Fran­zosen getödtet, aber auch ein Westfale gefangen genommen worden. Den hätten die Franzosen am anderen Tage erschossen.

Hier unterbrach Lewin den Pastor, um sich nach dem Stande der Landsturmorganisation zu erkundigen, und erfuhr nun mit vielen Details, welche Fortschritte die Volksbewaffnung im Laufe der letzten drei Wochen gemacht habe. Anfangs fei Hohen-Vietz an der Spitze gewesen; die fast achttägige Abwesen­heit Berndts aber habe zu kleinen Hemmnissen geführt, so daß jetzt Drosselstein voraus sei und vor allem Nutze. Er wisse das von Bamme selbst, mit dem er am Begräbnißtage einen Spaziergang durch den Guser Park gemacht habe. Dieser Spaziergang sei sehr angenehm gewesen, denn es plaudere sich gut mit dem Alten. Daß er nicht in die Groß-Quirlsdorfer Kirche zu bringen sei oder doch nur ausnahmsweise, das sei seines Amtsbruders Sache. Der habe ihn mit feinem Schab­lonenchristenthum herausgepredigt. Aber gleichviel, sie seien in lebhaftem Gespräch die große Rüsternallee hinaufgegangen und durch den Dohnenstrich zurück, bis sie wieder vor dem Schwanenhäuschen gestanden hätten. Hier hätte Bamme nach dem Eckfenster hinaufgesehen und endlich vor sich hingespro­chen:Sehen Sie, Seidentopf, es war doch eine merk­würdige Frau. Sie traf es immer und auch mit diesem Nutze. Ja, da reichen keine hundert Mal, daß ich ihr zu­geschworen, den ganzen Rutzeschen Verstand in eine Haselnuß einpacken zu wollen, aber sie gab nicht nach und sagte nur immer wieder:Lieber Bamme, der Charakter entscheidet". Und sie hat Recht gehabt. Gestern war ich bei ihm in Protzhagen.

lg. dormo bsure. Was er da zusammengebracht und ein- exereirt hat, ist unsere beste Compagnie. Ein Triumph der Disziplin. Kerle, um den Teufel aus der Hölle zu jagen."

Ueber dieses Bammesche Citat kam Seidentopf nicht hinaus. Es schlug nämlich eben neun, um welche Zeit er regelmäßig in seine Wohnung zurückzukehren liebte; außerdem gefiel ihm heute Lewins Aussehen nicht. So brach er auf, von Marie begleitet, die denselben Heimweg mit ihm hatte.

Als sie den Hof passirt und auch das niedrige Vorder­haus, in dem Krist und der Gärtner wohnten, schon im Rücken hatten, sagte Seidentopf:Wie fandest Du Lewin? Mir ge­fiel er nicht. Keine dreimal, daß er das Wort nahm. Und wie spitz und abgespannt er aussah."

Er sprach wenig," sagte Marie.Aber das darf uns nicht Wunder nehmen. Es war heute zu viel für ihn. Und die gestrige Fahrt. Und nach allem, was er durchgemacht hat an Leib und Seele."

So weißt Du, was es war?"

Marie nickte.

Es war, was ich vermuthete. Kathinka ist fort. Aber Sie werden in Guse davon gehört haben?"

Ja, Vitzewitz nahm mich bei Seite und erzählte mir's; aber auch wenn er geschwiegen hätte, ich hätte es dem alten Ladalinski von der Stirn gelesen. Er machte den Eindruck eines gebrochenen Mannes."

Sie war sein Liebling, aller Menschen Liebling. Und ich glaube fast, ich beneidete sie."

Beneide sie nicht, Marie," sagte Seidentopf, indem er ihr die Hand reichte.Du hast das bessere Theil erwählt: Demuth und den Frieden des Gemüths. In ihm allein ist Glück. Und nun: Gute Nacht!"

Und damit trennten sie sich, und der Pastor trat erst in den Flur seines Hauses und dann in sein Studirzimmer ein. Hier war alles dunkel, aber die Läden waren noch nicht ge­schlossen und der Schnee und die Sterne draußen gaben ge­rade so viel Licht, als ihm lieb war. Er setzte sich auf das kleine Ledersopha und sah in den winterlich daliegenden Garten hinaus.

Es kommt doch, wie es kommen soll," sagte er.Ich

bin dessen gewiß. Und jetzt mehr denn je. Kathinka fort. Das ging über alle Berechnung. Sie war die große Gefahr in meinem Exempel."

Er wollte dem noch weiter nachhängen, aber die groß- haubige Haushälterin erschien geräuschvoll, stellte die kleine Studirlampe neben Beckmanns Geschichte der Kurmark Bran­denburg und schloß die Läden.

XUVI. Frau Hulen schreibt.

Am andern Morgen saßen die Geschwister allein am Früh­stückstisch; Berndt war noch immer nicht zurück, die Schor­lemmer in der Wirtschaft thätig. Lewin hatte sich sichtlich er­holt, sprach aber wenig, so daß Renate froh war, Hoppen- marieken unter der Auffahrt erscheinen, und wie gewöhnlich durch Erhebung ihres Hakenstockes andeuten zu sehen, daß sie Briefe bringe. Gleich darauf trat sie denn auch ein, von der Schorlemmer begleitet, und legte Briese und Zeitungen auf den Tisch.De een is von Faulstichen," sagte sie, was sie, da sie nicht lesen konnte, dem Siegel oder irgend einem andern äußerlichen Zeichen entnommen haben mußte. Und sie hatte Recht. Faulstich schickte seine mehrerwähnte Cantate, und be­nutzte die Gelegenheit, da sich nach Guse hin keine medisanten Briefe mehr richten ließen, den unter Handschuhmacher Pfeiffer erfochtenen Sieg der Kirch-Göritzer in einem ironisch pomp­haften Bulletin zu verherrlichen. Einzelne Verse unter der Ueberschriftdie Schlacht an der Krampe", waren eingestreut. In diesen hieß es:

Und als sie sich den Muth geschärft An dem Lebenswasser von Danzig,

Durchbrachen sie den rothen Werst,

Alle neunundzwanzig.

Und Göritz und sein Vogel Greif Kamen in Zorn und Eifer,

Da wurde König der Than von Feif,

Unser Handschuhmacher Pfeiffer."

Hoppenmarieken hatte diese Reime noch mit angehört, und dabei die Hände gefaltet, als ob es Gesangbuchverse wären. Zuletzt aber, als sie den Namen Pfeiffers hörte, fand sie sich zurechr und sagte:Joa, diss' Pfeiffer, diss' lütt' Humpelbeen. In Schulten säät he immer; nu Mährens am wull öbern Kopp tosammensloan." Und damit griff sie nach ihrer Kiepe und stapfte wieder aus dem Zimmer hinaus.

Lewin schob den Brief zurück, der ihn wenig angenehm berührt hatte.Ganz Faulstich; immer ein Auge für das Lächerliche, und weiter nichts. Kein Einsetzen seiner selbst. Da bin ich doch schließlich mehr noch für Handschuhmacher Pfeiffer. Aber laß sehen, was der andere Brief bringt."

Dieserandere" war ein kleines, auf der Rückseite mit einem Glaube-Liebe-Hoffnung-Petschaft gesiegeltes Viereck oben­auf, aber mit einer ziemlich langen hintereinander fortlaufen­den Adresse versehen, die sich durch Rechtschreibung gerade nicht auszeichnete.Seiner Edelgeboren Herrn Lewin von Vitzewitz, zur Zeit in Hohen-Vietz bei Küstrin; frei." Lewin glaubte die Schriftzüge oft gesehen zu haben und wußte doch nicht wo. Neugierig erbrach er das Siegel, um nach der Unterschrift zu sehen.Bon meiner alten Hulen!"

O lies," sagte Renate, und die Schorlemmer setzte hin­zu:Das wird uns besser gefallen."

Wer weiß," meinte Lewin. Aber man hörte seiner Stimme an, daß er desselben Glaubens und seiner Sache ziemlich sicher war. Und so las er:

Lieber junger gnädiger Herr!

Es find jetzt recht schwere Zeiten, wie mir Fräulein Renate von Bohlsdorf her geschrieben hat, damit ich doch wüßte, wo Sie wären. Und das war eine rechte Güte von dem lieben Fräulein.

Ja, schwere Zeiten sind es, und ich mag gar nicht davon sprechen. Aber das muß ich Ihnen als eine alte Frau doch sagen, es war nichts für Sie. Ich habe es gleich gesehen; sie war wohl schlank wie eine Wespe, aber die stechen auch, und dann muß man Erde auflegen, daß der Schmerz vergeht. Und ist es das Herz, dann ist es schlimm. Ja, lieber junger Herr, so war es auch mit Ihnen, daß Ihnen Erde aufgelegt wer-