Heft 
(1878) 44
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beide Orte trennt. Das ist der Mont Esperou. Aber wie sind wir enttäuscht! Zwar nach Osten hin hat sich schon während des Heraufsahrens ein schöner Durchblick nach dem Dauphine aufgethan. Wir sehen seine Berg- und Hügelketten, und hoch über einer Nebelschicht ragt in einsamer Majestät die Pyramide des Ventoux. Aber nach Süden ist die Aussicht auf Küste und Meer noch völlig verbaut und nach Nordwesten und Norden zeigen sich nur sanfte Abhänge nach den weiten, flachen, kahlen Hochthälern der Rouergne hinab, mit wenigen Ortschaften, und in der Ferne schließt ein unbedeutender blauer Höhenzug die Aussicht ab.

Wir kehren zunächst in die Seyre raide zurück, wo eine reformirte Bäuerin uns freundlich in ihr neben demHotel" liegendes Haus einlädt und in ihrer finstern schwarzen Küchen­stube uns mit einem Trunk herrlichen Quellwassers erquickt. Inzwischen kommt auch die Wirthin heim, wir fragen nach dem Küchenzettel. Forellen sind leider nicht zu haben, aber un xonlsk. Der Ueberrock wird zurückgelassen, und ohne Weilen es ist zehn Uhr, die Fahrt den Berg herauf hat vier Stunden in Anspruch genommen treten wir die Wanderung nach dem Gipfel des Aigoal an.

Den leichten Sommerrock ziehe ich ab und hänge ihn über den Arm. Hier oben, 5000 Fuß über dem Meere, weht kein Lüftchen, glüht die Sonne in voller Gewalt. Ueber niedriges, ziemlich vertrocknetes Gras steigen wir aufwärts und erreichen eine Hochfläche, von allerliebsten schattigen Rothbuchenbüschen umgrenzt, und sehen schon die kahlen gelben Matten des Aigoal als sanften langgestreckten Rücken vor uns. Glänzende Quarz­blöcke, Hornblendestücke und Feldspath auf dem Wege zeigen uns, daß wir hier wieder in die Formation des Gneißes ein­getreten sind. Die Sonne, fast scheitelrecht über uns, ist eine Viertelstunde lang von einem weißen Sonnenhofe umgeben, dann zerstreuen sich die Dünste und alles ist wieder reines tiefes Blau. Der sanfte Rücken ersteigt sich leicht; wir schreiten zwischen gewaltig großen Schafherden hindurch und die Hirten belehren uns in der lon^o ä'oo, daß von den drei sanften Höhen, die uns bis jetzt noch alle Aussicht sperren, die rechts­gelegene es ist, die wir ersteigen müssen. Dort zeigt sich denn auch die Ruine eines Thürmchens, In tour Oussiui; denn hier hat einst dieser große Astronom Jahr und Tag den Saturn und den Mars beobachtet. Das verfallene Observatorium wurde später als Aussichtsthnrm wieder hergestellt, ist aber von neuem den Unbilden winterlicher Stürme erlegen.

Das ist nun freilich eine Aussicht, die jeder Beschreibung spottet. Der vierte Theil Frankreichs lag zu unseren Füßen. Was zunächst unsere entzückten Blicke fesselte, war ein blendender

spiegelnder Silberglanz rechts und links vom Pie de St. Loup, der dort draußen in der Ferne sich aus der grauen Tiefe erhob.

Im Hier!" rief mein junger Vetter, der noch nie in seinem Leben hier oben gewesen. Die Silberstreifen waren jedoch nicht das Meer, sondern die Etangs, jene weitgestreckten Binnen­wasser oder Haffs. Das Meer lag dahinter als schwarzblane Mauer, die sich in scharfer gerader Linie in ungeheuren Bogen gegen den duftigen Horizont abgrenzte. Es war der Löwen­golf in weiter Ausdehnung, etwa von Marseille bis Cette. Links vom Pic de St. Loup waren die Höhen von Montpellier deutlich zu erkennen. Rechtshin über die niedrigeren Nachbar­berge weg zeigte sich einer blauen Wolke gleich der Canigou. Vor uns die Abstürze ins Thal des Clairou, weiterhin der Oriol Mas Gibert und Mas Miguiel blitzen deutlich im Sonnenschein dahinter der mächtige Lirone, rechts davon der zackige Montdardier, und herwärts der stäche Rücken und steile Absturz der Lüzette, auf welch letzteren die Zickzacklinien der Straße wie mit einem Messer eingeritzt erscheinen. Ost­wärts gleitet der Blick über verschiedene Bergketten weg ins Thal der Rhone hinab, deren Spiegel an einer Stelle deutlich heranfblitzt. Aus dem Duft, der die Voralpen verhüllt, steigt immer noch klar und schön der einsame Ventoux empor. Wenden wir uns nun nordwärts, so liegt jenseits einer Ungeheuern seichten Falte wie eine Welt für sich das Gebirge der nörd­lichen Sevennen vor uns, Ketten hinter Ketten sich thürmend, kahle Höhenzüge kupferrotst schimmernd von der Menge der hochrothblühenden Erica. Links hinter diesem Gebirge zeigen sich noch in weitester Ferne, aus einer Schicht grauen Nebels anstauchend, die Kegel des Cantal und des Puy de Dome. Die Rouergne mit den Höhenzügen des Albigeois und Querci im Hintergründe führt dann wieder hinüber zum Canigou. So schließt sich der ungeheure Kreis der Aussicht, welche etwa 45 geogr. Meilen von Nord und Süd und ebenso viel von Ost und West umspannt.

Unendlich befriedigt, diesen Zielpunkt meiner Sehnsucht erreicht zu haben, kehrte ich in die Seyre raide zumckch'sünor" zurück, das in einer oberen Kammer servirt wurde. Im Weiler Esperou, mitten unter jungen und alten Bauern sitzend, tranken wir Kaffee, und sausten dann in scharfem Trab und öfter im Galopp die Straße (diesmal auch den mittleren Zickzack der neuen benutzend) in anderthalb Stunden herab, wobei uns manchmal Hören und Sehen verging, wenn bei einem der vielen Vorsprünge, die zu umkreisen waren, das Fuhrwerk gerade auf den gräßlichen Abgrund loszusteuern schien.

Nach herzlichem und bewegtem Abschied von den Ver­wandten trat ich am Montag Mittag die Heimreise an.

Gin Mick auf die Geschichte Kyperrrs.

Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. 70.

Von Fron?

Die größte und fruchtbarste Insel des mittelländischen Meeres lag wie begraben im Dunkel und Schweigen der Jahr­hunderte. Wer bekümmerte sich um Cypern? Niemand! Unsere ganze bisherige Literatur, so reich über alle anderen Länder, böte über Cypern leere Blätter, hätten nicht der holsteinsche Athener Roß Dürftiges über seine Alterthümer und die Wiener Unger und Kotschy ein treffliches Werk über die Vegetation der Insel veröffentlicht. Nur die Geschichtschreibung ließ die von wechselnden Schicksalen vielbedrängte Insel nicht ganz bei Seite. Wenigstens über ihre mittelalterliche Ruhmeszeit verbreiteten sich ein Buch des Benediktiners Stephan von Lusignan, das im Jahre 1580 in Venedig erschien, und die drei Bände eines andern Franzosen de Mas Lattrie, der in den letzten zwanzig Jahren eingehendere historische Studien machte. Wer aber liest oder kennt nur jene Bücher außer den Fachgelehrten? Die meisten wissen über Cypern nicht viel mehr, als daß es im Alterthum dort berühmte Tempel und Blütenhaine der aphro- ditischen Göttin gab, daß eine schöne Venetianerin Katharina Cornaro Cyperns Königin gewesen, und daß auf seinen Fluren noch ein herrlicher Wein gedeiht.

Mit einem Schlage aber tritt Cypern unter die Hellen

von Löher.

Strahlen der Gegenwart. Die Insel so groß wie das Königreich Württemberg und nach langer Mißhandlung noch immer so üppig fruchtbar wie irgend ein Land der Erde hat wieder politische Bedeutung, ist wieder ein Angelpunkt weit­greifender Seeherrschaft geworden. Nach furchtbarer Schmach und Pressung athmet sie auf, ihr lächelt wieder eine Zukunft.

Ich sagte in meinem eben erschienenen Buche über Cypern*), als die Rede kam auf die Gründung des Königsreichs der Lusignans, folgendes:Jenes rasche Aufblühen in Feld- und Bergbau, Handel und Gewerbe, das gleich nach der fränkischen Besitznahme eintrat, ist ein Zeichen, was Cypern sofort wieder würde, sobald europäische Hände sich der Insel bemächtigten, die wie ein Kleinindien vor der Welthandelsstraße des Suezkanals liegt." Das wird sich jetzt bewahrheiten. Cypern braucht nur Aufhören der unaufhörlichen stillen Plün­derung, nur ein wenig gute Verwaltung und einige europäische Kapitalien, und es wird ganz von selbst wieder aufblühen.

*) Cypern, Reiseberichte über Natur und Landschaft, Volk und Geschichte von Franz von Löher. Stuttgart, bei Cotta. Vergl. Cyprische Reisefrüchte, Daheim XIII. Jahrgang. IIX. (S. 264 re. bis 835.)