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Jrrthum ihrer Annahme erkannt. Bewegt schloß sie den Sohn in ihre Arme.
„Möge Gott Dich segnen, mein einziges Kind!" sagte sie gerührt, und als Ernst Louisens Hand in die ihrige legte und flehte: „Segne auch sie, Mutter!" da drückte sie die Lippen aus deren Stirn und flüsterte: „Von heute ab habe ich zwei Kinder! Gott segne Euch!"
Hell und lustig klangen wenige Minuten darauf die mit Champagner gefüllten Gläser an einander.
Der Geheimrath ergriff zuerst das Glas, ließ das Brautpaar mit kurzen herzlichen Worten leben und erging sich dann in neckischer Weise darüber, wie nun mit einem Schlage all die Gewitterwolken zerstreut seien, die bis dahin in wahrhaft erschreckender Weise über der Villa gelagert, wie das junge Ehepaar in vierzehn Tagen dem schönen Süden zueilen, und Frau Römer die langgewünschte Reise nach ihrem geliebten Falkenhagen an- treten könne, wo bis dahin Frau Katherine allein mit dem Inspektor gewirthschaftet hatte.
Als Ernst mit Louise anstieß, beugtp er sich tief hinab zu ihr und flüsterte ihr zu: „Schreibst Du heute an Deine Freundin, so gedenke bei der Schilderung dieser Stunden ihres Wortes: Dein Glück ist mein Glück! Laß Dein ganzes Herz sprechen und wiederhole womöglich jedes kleine Wort, jeden kleinen Umstand. Ich möchte so gern, daß sie, die uns zusammen geführt hat, auch jetzt und immerdar Teilnehmerin unseres Glückes werde."
Als der Geheimrath bald darauf mit Frau Römer wie gewöhnlich abends eine Partie Schach auf der Veranda spielte und Ernst sich der Abendluft wegen ins Gartenzimmer zurückzog, folgte Louise ihm unbeirrt. Sie hatte in dieser Stunde, in welcher Ernst ihre Hand kaum einen Augenblick aus der seinigen gelassen, aus seinen innigen Blicken ersehen, daß ihm ihre Nähe wohlthuend sei. Als sie dann ihren Kopf an seine Schulter schmiegte und ihm unter Thränen alle ihre Kämpfe, ihre tiefe leidenschaftliche Liebe gestand und zärtlich fragte: „Und Du, Ernst, warum bist Du so still und sagst kein Wort?" erwiderte er mild, indem er einen zärtlichen Kuß auf ihre Lippen drückte: „Weil ich den Zauber nicht brechen wollte, der für mich darin liegt, Dich so glücklich zu sehen! — Jetzt, nun ich durch Deine Worte, durch Dein sich so voll und ganz hingebendes Wesen Deine große Liebe zu mir erkenne, erwacht ein Gefühl von Frieden in meiner Brust, dem ich lausche wie einer Stimme aus einer andern Welt! — O glaube mir, Louise, wenn jemand entscheiden sollte, wer von uns beiden das heilige Glück dieser Stunde tiefer empfindet, Du oder ich? es würde ihm schwer werden. Wir haben es uns beide erkämpft, wenn auch beide in sehr verschiedenem Kampfe."
VIII.
Wieder war es Frühling, wieder ein so heiterer sonniger Apriltag als vor sieben Jahren, da wir zuerst die Bekanntschaft des Oberförsters Baum machten. Die Lerchen schwangen sich wie damals jubelnd in den blauen Aether, die Bäume sproßten und grünten, die junge Saat streckte verlangend die feinen, grünen Hälmchen der belebenden Sonne entgegen. — Alles, was man schaute, sang das große, herrliche Anferstehungs- lied der Natur.
„Auferstehn, ja anferstehn wirst Du,
Mein Leib, nach kurzer Ruh,"
flüsterten auch die Flühlingsblümchen auf dem Grabhügel, unter dem seit acht Wochen der Oberförster Baum schlummerte, dessen Herz immer ganz besonders dem Erwachen der Natur entgegengejauchzt hatte. Schon im vorigen Jahre war es ihm nur vergönnt gewesen, auf die Krücke und Gertruds Arm gestützt, mühsam den grünenden Rain entlang zu gehen. Aber sein Auge hatte freudig gelächelt wie in seinen besten Tagen. Sein heiterer froher Sinn hatte ihn selten und dann nur auf Augenblicke verlassen — auch dann nicht, als der morsche Körper mehr und mehr zusammenbrach. Erst als er gezwungen war, Wochen und Monate lang das Bett zu hüten, kamen Augenblicke des Verzagtseins, des Murrens gegen eine müßige, thaten- lose Existenz; wie verstand es aber Gertrud, ihm in den un
zähligen Vorkommnissen des täglichen Lebens zu beweisen, daß wenn sein Sorgen und Mühen um der Seinigen Glück ihm auch klein und gering erscheine, es doch in Wirklichkeit so groß, so inhaltschwer sei, daß er trotz Krankheit und Siechthum die Pulsader ihres Lebens bleibe.
„Du verstehst es, Mädel," hatte er dann wohl dankbar lächelnd gesagt. „Du gibst nicht allein die leiblichen Speisen, die den alten müden Körper ein Bischen zusammen flicken, sondern Du gibst, was einem Kranken noch mehr noth thut, der Seele den Frieden zurück. Zehn zu eins wollte ich wetten, daß ich hier als der unleidlichste Kranke, der mit sich zer- fallendste Mensch läge, wenn ich nicht zwei solcher Engel, wie Dich und meine Alte, an meinem Krankenbett hätte. Gott segne Euch!"
Und mit dem Segen auf den Lippen war er sanft und friedlich in eine bessere Welt hinüber geschlummert.
Wo aber zwei Augen sich ans ewig schließen, da geht Wohl die Natur ihren alten Gang fort, als wäre nichts geschehen, aber in den vier Wänden des Hauses, im engen Familienkreise wird es anders und anders. Ring an Ring schließt sich an einander zu einer langen Kette, daß den Hinterbliebenen bang und schwer ums Herz wird und sie sich oft fragen: „Wohin, o wohin?" Wohl dem, der in solchen Tagen des Schmerzes einen treuen Freund zur Seite hat, der die widerwärtigen materiellen Sorgen des Lebens auf seine Schultern nimmt, der dem trauernden Herzen Zeit läßt, sich selbst wieder zu finden im Gewirr der neuen Welt, und der durch Wort und That bekundet: „Ich will Dir, so viel es in meiner Macht steht, ersetzen, was Du verloren hast!"
Ein solcher Freund war für die zurückgebliebene Familie des alten Herrn Römer geworden. Durch eine telegraphische Depesche vom Tode des Oberförsters benachrichtigt, ließ er Louise nicht allein nach Lichterfelde eilen. Da er in Mittenwalde bei Küstrin eine Oberförsterstelle bekleidete und den Nachtzug benutzen konnte, so kam er zeitig genug, um alle Mühewaltungen des Begräbnisses auf sich zu nehmen.
Es war das erste Mal, daß Römer Gertrud wiedersäh. Bis dahin hatte Louise wohl jedes Jahr einige Wochen, hatte Otto fast alle Ferien in Lichterfelde Angebracht; er selbst aber hatte seine Urlaubszeit zu großen Reisen nach England, Frankreich, und Italien benutzt.
Jetzt stand er Gertrud gegenüber. Sieben Jahre waren vergangen. Aus dem leidenschaftlichen, verzweifelnden Jüngling jener Abschiedsstunde war ein ruhiger ernster Mann geworden, dessen gedankenvolle hohe Stirn wohl von dem Ernst des Lebens zeugte, welche aber die finsteren Falten verloren hatte, die damals von bitteren Lebenserfahrungen und getäuschten Erwartungen sprachen. Und sie? — Ein einziger Blick auf ihr mildes edles Gesicht zeigte ihm klar, daß sie in Wahrheit den Seelenfrieden gefunden hatte, der aus allen Briefen, die sie an Louise richtete, sprach.
Es wurde den beiden nicht schwer, vom ersten Augenblick an den richtigen Ton zu finden. Wo aus beiden Seiten wahre Zuneigung herrscht, die nicht auf augenblickliches, leidenschaftliches Empfinden, sondern auf tiefe echte Hochachtung gegründet ist, da fällt jedes „Wie" oder „Aber" von selbst fort. Indem jeder sich gibt wie er fühlt und denkt, trägt er das Bewußtsein in sich, daß die Stimme seines Herzens in dem andern ein Echo findet, das da spricht: „Die Liebe versagte uns der Himmel, aber in dem großen Kampfe des Lebens tauschten wir ihre Leidenschaftlichkeit gegen ein Gefühl ein, dessen Licht weniger grell und strahlend, aber mild erwärmend und auch beglückend ist — gegen das Gefühl treuer inniger Freundschaft."
Römer war bis nach dem Begräbniß in Lichterfelde geblieben, dann nach kurzer Zeit wieder gekommen, um den geschäftlichen Nachlaß des Verstorbenen zu regeln und befand sich jetzt mit Louise in Berlin, um die von Lichterfelde gesandten Sachen in der freundlichen Wohnung, die nun Frau Baums und Gertruds fernere Heimstätte bilden sollte, unterzubringen, während die alte Katherine die beiden jüngeren Enkelkinder in Mittenwalde nach echter Großmutterart verhätschelte.
Mit besonderer Vorliebe wählte Römer das behaglichste