Heft 
(1878) 51
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anstalten Jahr aus Jahr ein beinahe so viel eingeht, als nun in dem einen außerordentlichen Fall das gesammte Volk in der Wilhelmsspende geopfert. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Gaben zumeist noch von den kleinen Leuten dargebracht werden, nicht Abfälle des Ueberflusses sind, in viel mehr Fällen noch die zwei Pfennige der Wittwe. Nicht Reichthum erzielt große Summen, sondern allein die Liebe: das ist ein Zeichen, daß von allen Völkern die reichsten Gaben für die Mission die Brüdergemeinde darreicht, irre ich nicht, fünf Mark auf den Kopf, in England 4 Mark, in Deutschland aber kommen mit Ausnahme der Herrnhuter von den Beiträgen nur erst 30 Pf. ans den Kopf der evangelischen Bevölkerung.

Fesselnd waren unter den mancherlei Reden drei An­sprachen von Missionaren selbst. Zwei davon befanden sich auf erner Besuchsreise in der Heimat und erzählten von ihren Arbeitsgebieten in Südafrika und China, der dritte, selbst früher Missionar unter den Battas in Indien, hob in scharfer be­redter Weise die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Mission glänzend hervor. Die Reden bezeugten, wie tüchtige Send­boten Barmen ausbildet, mit welchem Erfolge die treuen Arbei­ter auf den verschiedenen Plätzen unter aller Trübsal und Ge­fahr wirken. Auch noch eine andere Ueberzengung drängte sich dem Hörer ans, daß auf der Arbeit in der Mission etwas von dem heiligen Segen ruht, der das Bischofsamt nach dem Worte des Apostels zu einem köstlichen macht. Es ist schön und er­quickend, Männer zu hören, die auch nach Jahren der Wirk­samkeit in der vollen warmen Begeisterung ihres Berufes stehen, denen ihr Amt so hoch und heilig ist, daß sie um seinetwillen Heimat und Freundschaft willig dahinter lassen, und nur von dem einen Wunsch beseelt sind, von dein Herrn sich senden zu lassen in alle Welt.

Die rheinische Missionsgesellschaft und ihre Jahresfeier bildet seit langer Zeit während der Wupperthaler Festwoche den Krystallisationspunkt, an dem nun andere christliche An­stalten mit ihrer Jahresfeier sich anschließen. Wir haben schon vorhin äußere und innere Mission als zwei Zwillingsschwe­stern bezeichnet, die Hand in Hand durch das vielgestaltige Leben der Gegenwart hindurchwandeln; sie haben dieselben warmen Freunde, und die gleichen Gegner drängen sich wider sie auf und suchen sie zu verklagen und zu schmähen vor dem Richtstnhl der Tagesmeinung. Beide Schwestern ziehen schwei­gend gegenüber allen Verdächtigungen und ungebeugt von allen Anfeindungen ihre Straße, segnend, heilend, wohlthuend denen, für die sie arbeiten und beten. Wo der einen Schwester Gast- recht gewährt wird, da weilt auch die andere, und es sind überall dieselben Leute, die als fröhliche Geber beiden Schwe­stern die reichen Mittel des Unterhaltes aus ihren bescheidenen Einkünften darreichen. So darf es uns nicht Wunder nehmen, daß beide nun auch im Wupperthale eine traute reichgesegnete Heimstätte gefunden haben. Es sind großartige Gestalten, gesalbte Männer Gottes der verschiedensten Richtungen während eines ! Jahrhunderts durch dieses Thal hindurchgezogen, deren Schatten und scharfe Umrisse noch liebend sestgehalten aus manchem stillen verborgenen Kreise ruhen; ihre bleibende Wirkung tritt in dem einen, dem anderen Liebeswerke zu Tage. Eine alte Legende deutet den Namen Elberfeld aus einen elf Mal wie­derholten Angriff überlegener Feinde, der elf Mal siegreich von den Bewohnern zurückgeschlagen wurde, und wenn auch Barmen, die Zwillingsstadt, ihren Namen von den Scheunen oder Barmen tragen soll, so darf man doch auch einmal das alte Wort herausklingen hören, das uns noch in Barmherzig­keit entgegentritt, und so viel alsauf den Schoß nehmen und an das Herz drücken" bedeutet. Von mehr wie elf Seiten ist das Elend und die Noth unchristlichen Lebens auf die heran­gestürmt, die dort den Herrn lieb haben, aber sie haben sich nicht überwinden lassen, vielmehr in mancherlei Anstalten und Unternehmungen dem Leide gewehret und die Heimgesnchten an ihr Herz gedrückt. Ein großer Theil dieser christlichen Vereine begeht in dieser Woche seine Jahresfeier; schon reichen die einzelnen Tage der Woche nicht mehr aus, jedem Verein einen besonderen Tag zuzuweisen, noch weniger aber reicht auch ein bester Wille aus, an all diesen Festen sich zu betheiligen und

die Uebersülle der Reden über sich ergehen zu lassen. Den Reigen begann der rheinisch-westfälische Jünglingsbund, dem reihten sich in den folgenden Tagen an: die Bergische Bibel­gesellschaft, der rheinisch-westfälische Verein für Israel, die evangelische Gesellschaft für Deutschland, der rheinisch-west­fälische Sonntagsschulverband, die Wupperthaler Traktatgesell- schast, der Barmer Gustav Adolfs-Verein, die Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Brasilien, zuletzt dann noch das Jahresfest des lutherischen Rettungshauses und der damit verbundenen evangelischen Präparandenanstalt. Neben all diesen Festen war noch Raum geschaffen für eine Pastoralkonferenz, bei welcher der auch in Deutschland bekannte, geistvolle, gläubige Pastor ans dem Haag, Dr. Gunning, die Verhandlung mit einem Vortragüber die objektive Wahrheit des dogmatischen Gedankens" einleitete, dem wir selbst aber leider nicht mehr anwohnen konnten.

Biele dieser Vereine beschränken ihre Feier auf einen oder mehrere Festpredigten. Es darf wohl der Wunsch verlauten, daß man sich bei diesen Gelegenheiten an je einer Festpredigt wolle genügen lassen; es ist nicht leicht, zwei oder drei Rednern über den gleichen Gegenstand stundenlang und nicht selten in unvermeidlichen Wiederholungen zu folgen, die Erbauung leidet jedenfalls unter der Fülle, und um ihretwillen versammeln wir uns doch nur um das Wort Gottes in der Kirche. Dem darf sich ein zweiter Wunsch anschließen, daß die betreffenden Ver- 1 eine vorsichtiger sein möchten in der Auswahl ihrer Festprediger, z Man kommt oft von weit her, um bei solch einer besonderen

> Gelegenheit nun auch in Form und Inhalt Ausgezeichnetes zu

> vernehmen, an dem man später im Alltagsleben des Berufes ! noch lange zehren kann; doppelt Peinlich und enttäuschend ist es

aber dann, wenn uns, wie es an einem Tage geschah, nicht nur Mittelwaare, sondern geradezu Stümperhaftes geboten wird, daß man als Geistlicher beschämt und niedergeschlagen das Gotteshaus verläßt.

Der Wupperthaler Festwoche sind eigen die sogenannten Nachversammlungen, bei denen in irgend einem großen Saal die zahlreichen Gäste und Gemeindeglieder zu Hunderten sich vereinigen und bei Kaffee und Thee, den mancherlei Ansprachen aus den verschiedensten Gebieten der christlichen Liebesthätigkeit in der Nähe und in der Ferne lauschen. Es ist diese Ein­richtung ein wesentlicher Vorzug der Wupperthaler vor der Baseler Festwoche, die wir vier Wochen früher Gelegenheit hatten mitzumachen. Der Ort, die gemüthliche Weise des Zu­sammenseins gewährt freieren Spielraum der Rede, als die geweihte Stätte einer Kirche ihn gestattet; die Aussprache ist hier eine leichtere, ungezwungenere, auch freundlichem Scherze zugänglichere, als sie von der Kanzel aus möglich wäre, und gerade diese Abwechselung erfrischt und läßt eine Abspannung nicht aufkommen, der nur die wenigsten, und es sind nicht gerade die geistig tüchtigsten, nicht wehren können, wenn sie sieben und acht Stunden am Tage in der Kirche den Predigten von der Kanzel herab zuhören sollen. Manch schönes Wort , haben wir in diesen Nachversammlungen vernommen, und tief hat sich z. B. eingeprägt die kraftvolle, kernige, zündende Sprache des ehrwürdigen Mannes mit seinem edlen, festgefügten Haupte mit seinen feurigen Augen, der die Entwicklung der Mission in ihrem Kindheits-, Jünglings-, Mannesalter an ihren drei Inspektoren zeichnete, deren scharfumrissene Züge aus den Erin­nerungen innigen Zusammenlebens mit ihnen entwarf. Manch fesselndes erquickendes Bild christlichen Lebens wurde uns ge­boten, aus Schweden, Holstein, aus Belgien zumal, wo die evangelische Kirche bedeutende Fortschritte macht und die neu­gewonnenen Glieder sich durch freudigen Bekennermuth, durch williges Ertragen von Noth und Verfolgung um des Glaubens willen auszeichnen, aus Spanien dann noch und so manchem ! überseeischen Lande.

Doch genug der rasch hingeworsenen Skizze aus der eben abgelaufenen Woche. Wie vor einer Stunde lustwandelt die Menge der Badegäste an der Veranda vorüber in buntester Mannichfaltigkeit, hier eine Kinderschar, da modische Damen, die zum Bade hinabsteigen, jetzt wieder vier, fünf belgische Priester, das unvermeidliche Brevier unter dem Arme, aber