Heft 
(1878) 51
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gehoben, was ihm seine Selige geschenkt hat. Und solch Kultus ist immer gesährlich."

Berndt lachte.

Sie verlieben sich in eine Ihrer Vorstellungen, Bamme, wie gewöhnlich. Aber die Thatsachen sind unerbittlich. Es liegt anders. Nicht Seidentopf."

Nun wer denn?"

Lewin."

Gratulire! Aber das ist erst einer, erst ein halbes Brautpaar."

Lewin und Marie Kniehase. Des Schulzen Kniehase Pflegetochter."

Bamme riß den Shetländer herum, daß er im rechten Winkel zu Vitzewitz stand, und sah diesen aus seinen kleinen Augen mit allen Zeichen aufrichtigsten Erstaunens an.

Sie verwundern sich?" sagte dieser.

Ja."

Und mißbilligen es?"

Nein, Vitzewitz. eonU-niro. Ich habe seit zehn Jahren, wenn ich das neunundzwanzigste Bulletin und den großen Dieb­stahl bei Krach ausnehme, nichts gehört, das mich so erfreut hätte als das. Das ist das reizendste Geschöpf, und ich ver­lange was, wie alle, die selber nicht viel einzusetzen haben. Also nochmals: ArnUUor! Wetter, Vitzewitz, das gibt eine Rasse."

Berndt wollte antworten, aber der Alte, der sich unerwartet einem Lieblingsthema gegenüber sah, hatte wenig Lust, das Wort so schnell wieder ans der Hand zu geben.

Frisches Blut," fuhr er fort,frisches Blut, Vitzewitz, das ist die Hauptsache. Meine Ansichten sind nicht von heute und gestern, und Sie kennen sie. Ich perhorreszire dies ganze Vettern- und Muhmenprinzip, und am meisten, wenn es ans Heirathen und Fortpflanzen geht. Ihre Schwester, die Gräfin, dachte ebenso, und ich habe sie sich, in allerdings schwierig liegenden Fällen, zu Grundsätzen bekennen hören, die selbst mir imponirten. Ehre ihrem Andenken! Es war eine superbe Frau. Ja, Vitzewitz, wir müssen aufräumen, weg mit dem alten Schlendrian. Wie geht es? Ein Zieten eine Bamme, eine Bamme ein Zieten, das ist so eine von den stolzen Dumm­heiten, an denen wir so reich sind. Und was kommt dabei heraus? Das hier!"

Und dabei schlug er mit seinem Fischbeinstock an seine hohen Stiefelschäste.

Ja, das hier; und ich bin nicht dumm genug, Vitzewitz, mich für ein Prachtexemplar der Menschheit zu halten."

Und eines nicht zu vergessen," warf Berndt in geschickter Ausnutzung einer Pause dazwischen,andere Zeiten kommen, Bamme; Zeiten, mit denen wir rechnen müssen, wir mögen wollen oder nicht. Es hilft nichts, wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand zu stecken." Bamme nickte zustimmend.

Wir sind unter uns, Vitzewitz," fuhr er fort,und können uns ohne Gefahr unsere Geständnisse machen. Mitunter ist es mir, als wären wir in einem Narrenhause großgezogen. Es ist nichts mit den zweierlei Menschen. Eines wenigstens glaubten wir gepachtet zu haben: den Muth, und nun kommt dieser Kakerlaken-Grell, der zeitlebens, wie zum Zeichen seiner Ab­stammung unterm Strohdach seiner eigenen Haare wohnte und stirbt wie ein Held. Von dem Conrector spreche ich gar nicht erst; ein solcher Tod kann einen alten Soldaten beschämen. Und woher das alles? Sie wissen es. Von drüben; West­wind. Ich mache mir nichts aus diesen Windbeuteln von Franzosen, aber in all ihrem dummen Zeug steckt immer eine Prise Wahrheit. Mit ihrer Brüderlichkeit wird es nicht viel werden, und mit der Freiheit auch nicht; aber mit dem, was sie dazwischen gestellt haben, hat es was auf sich. Denn was heißt es am Ende anders als: Mensch ist Mensch. Ich darf so sprechen, Vitzewitz, denn die Bammes sterben mit mir aus, und nicht einmal ein Namensvetter ist da, den ich in seinein Standesbewußtsein kränken oder schädigen könnte. Denn das Kränken fängt bei uns immer erst mit der Schädigung an."

Damit waren sie bis an die Parkmauer gekommen und hielten eine Minute später vor dem Drosselsteinschen Gartensaal.

Während dieses Gespräch auf dem Wege nach Hohen-Ziesar hin geführt wurde, plauderten auch Renate und Marie, die sich in den Hintergrund des Zimmers zurückgezogen und auf dem großblümigen Sopha Platz genommen hatten. Lewin kam herzu, war aber ersichtlich zerstreut, und saß schon minutenlang zwischen ihnen, ohne daß er Maries Hand genommen oder einen Blick für sie gehabt hätte.

Marie selbst, ihrer ganzen Natur nach unbefangen und anspruchslos, schien es nicht zu bemerken; aber Renate sagte: Sonderbares Brautpaar, Ihr seid nicht einmal zärtlich."

Gib uns nicht ans," lachte Marie, und Lewin setzte hinzu: Wir waren zu lange Geschwister. Aber es findet sich wohl noch. Was meinst Du, Marie?"

Und das Roth, das über ihre Wangen flog, sagte, daß sie dessen sicher war.

Nach diesem es war wieder ein Sonnabend gingen Lewin und Hirschseldt in die Pfarre, um von Seidentopf Ab­schied zu nehmen. Sie fanden ihn über Belinann, und nicht blos die Schrankthür seines armm triuraplmlm stand weit offen, sondern auch das Mittelbrett war vorgezogen, auf dem die drei Hauptstücke der Sammlung ihren Platz hatten, und seit dem zweiten Weihnachtstage auch der Wagen Odins. Wer die Seidentopfsche Wocheneintheilung kannte, konnte durch diesen Anblick nicht überrascht werden. Er gehörte nämlich zu den klugen Predigern, die schon Freitags mit ihrer Predigt ab- schlicßen, um dann den zwischenliegenden Tag zu Wiederfrisch- machung ihrer Seele verwenden können. Und was hätte sich besser dazu geschickt, als die ultima i-atio Lamuoaum! Unser Pastor ließ sich dem: auch als Regel bei diesem Erfrischungs­prozeß nicht gerne stören, heute indes, wo Lewin und Hirsch- feldt kamen, um ihm Lebewohl zu sagen, konnte von einer Störung nicht wohl die Rede sein. Um neun Uhr früh, so bemerkte Lewin im Laufe des Gesprächs, gedächten sie nach Frankfurt hin aufzubrechen, um daselbst in der Mittagsstunde schon mit Berliner Freunden zusammen zu treffen. Es wurde dies alles nur leicht hingeworfen; Seidentopf verstand aber sehr wohl, daß mit diesen genauen Zeitangaben nur ihr Nicht­erscheinen in der Kirche entschuldigt werden sollte. Es war ihm nicht lieb er hatte die Empfindlichkeit aller Pastoren faßte sich indessen schnell und gab seinen Wünschen für die Zukunft einen allerherzlichsten Ausdruck. Dann wandte er sich zu dem Rittmeister, um auch von denzurückliegenden gemein­schaftlich durchlebten Tagen" zu sprechen.

Es waren stürmische Tage," so schloß er.

Und doch vor dem Sturm!" antwortete Hirschseldt.

Und nun war cs neun Uhr früh. Hektor hatte seinen ersten Ausgang und sich mühsam bis an die Sandsteinstufen geschleppt, und zum letzten Mal in diesem Buche fuhren die Ponies vor. Ihre Schellen klangen so hell, und an Krists altem Hut mit der alten Kokarde flatterte heilte ein langes grünes Band. Seine Frau hatte roth nehmen wollen, aber er hatte auf grün bestanden.

Und nun nichts mehr von Abschied.

Ueber den Forstacker hin flog der Schlitten, in dem Lewin und Hirschseldt saßen, an Hoppenmariekens Häuschen vorbei, und als sie gleich darauf wieder hügelab und am Flußufer hinfuhren, rollte plötzlich ein Ton wie dumpfer Donner herauf, zog an ihnen vorbei und verhallte in weiter Ferne.

Das Eis birst," sagte Hirschseldt.Ein gutes Zeichen, unter dem wir ausziehen."

Und in demselben Augenblick begannen auch die Hohen- Vietzer Glocken zu klingen und beide Freunde wandten un­willkürlich die Köpfe zurück.

Was bedeutet uns ihr Klang?" fragte Lewin.

Eine Welt von Dingen: Krieg und Frieden und zuletzt auch Hochzeit. Und ich bin mit unter den Gästen."

Sie sprechen, Hirschseldt, als ob sie es wüßten," lächelte Lewin.

Ja, Vitzewitz, ich weiß es, ich, ich sehe in die Zukunft."