Heft 
(1878) 51
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nicht, es ist jedenfalls nicht wahrscheinlich, denn die Frau und die Kinder wichen nicht von seinem Bett und er sah erbärm­lich ans. Eines Morgens aber stürzte Frau Neumann in mein Zimmer und weckte mich mit dem Jubelrnfe:Er hat ge­

gessen!"

Was aus dem Ehepaar geworden ist, weiß ich nicht. Nach­dem ich anderthalb Jahre bei ihnen verlebt hatte, verließ ich Berlin, um es erst nach acht Jahren wiederzusehen. Unwill­kürlich kehrte ich auch in dem Hause ein, in dem ich ein paar herrliche Jahre verlebt hatte, aber da stand kein Stein mehr

auf dem anderen. In der Gründerzeit war alles umgebaut worden.

Wenn ich gelegentlich einmal eine sozialdemokratische Ver­sammlung besuche, muß ich mich unwillkürlich nach Herrn Neu­mann umsehen und wenn ich ebenso gelegentlich in ein Organ des Fortschritts Hineinblicke und darin die alten Phrasen von den Junkern und Pfaffen und der Reaktion re. unverändert wiederfinde, so höre ich sie unwillkürlich mit Herrn Neumanns müder monotoner Stimme wiederholen, und sehe wieder, wie er mit seinen traurigen Augen ins Leere blickt.

Wor dem Sturm.

Historischer Roman von Theodor Fontane.

(Schluß.)

Nachdruck verboten. Ges. v. ri./Vl. 70.

UXIV.Und eine Prinzessin kommt ins Haus."

Eine Woche war vergangen. Die Strohschütten, die vor dem Hause lagen, waren weggeschafft worden, aber alles ging leise, als wäre noch jemand da, der nicht gestört werden dürfe. Renate hatte seit jenem Abend, wo wir sie zuletzt sahen, das obere Stock nicht mehr verlassen, und um ihretwillen war es, daß sich der Ton des Hauses dämpfte. Bericht arbeitete viel oder fuhr, von Hirschfeldt begleitet, nach Guse hinüber, das seine Anwesenheit in großen und kleinen Dingen erheischte; im Erd­geschoß, auf spezielles Geheiß der Schorlemmer, standen zwei, drei Fenster auf, um dasBammesche" wieder hinauszulassen, und Hoppenmariekeu von der es im Dorfe hieß, daß sie drei Nächte lang auf ihrem Grabe gesessen habe erschien nicht mehr, um Briefe und Zeitungen auf den Tisch zu legen. Es war eine rechte Jeetze-Zeit, alles still und grau und mit schwarzen Gamaschen; der alte Jeetze selbst aber, der kaum noch Dienst hatte, saß halbe Stunden lang neben der Binsenmatte und plauderte mit Hektor.

So vergingen die Tage. Marie kam täglich, oft vormittags schon und ging zu Renaten, um ihr vorzulesen oder zu erzählen. Nur von Tubal sprach sie nicht. Darnach ging sie zu Lewin hinunter, der ungeduldig auf sie wartete; und sie saßen dann am Kamin, oder in der tiefen Fensternische und gedachten ver­gangener, stiller Tage, am liebsten des letzten Weihnachtsfestes und jenes schönen Plaudcrabends, wo sie, den hohen Christbaum zwischen sich, über seine hohe Spitze hinweg, die goldenen Nüsse geworfen und gefangen hatten. Bon ihrem Glücke sprachen sie nicht; sie hatten eine Scheu, daß es fortfliegen könnte, wenn es genannt würde. Nur einmal kam es wie von ungefähr dazu. Das war an dem Tage, wo Pastor Lämmerhirt, auf einer Dienstreise begriffen, bei seinem Hoheu-Vietzer Amtsbruder vorgesprochen und zugleich auch einen Besuch auf dem Schützen- Hofe gemacht hatte.

Das führte denn auf Bohlsdorf, und Lewin sagte:Ach, Du weißt nicht, Marie, wie viel ich diesem Dorf und seiner Kirche verdanke. Vor allem Dich. Dort begann ich zu ge­nesen, noch ehe ich wußte, daß ich krank war. Mein Sinn war zu, blind war ich und selbstsüchtig. Aber nun habe ich sehen gelernt, und habe Dich, Dich, mein Glück, meine Fee, meine Goldstern-Prinzessin."

Es war unmittelbar nach diesen Worten, daß Berndt in das Zimmer trat, und das Errötheu Maries wahrnehmend, ihr lächelnd und mit väterlicher Zärtlichkeit die Stirn küßte. Sie sah vor sich nieder und zitterte vor Bewegung, denn sie fühlte wohl, was ihr dieser Augenblick bedeute.

Als sie gegangen war, sagte Berndt:Ich freue mich Eures Glücks, Lewin, trotzdem ich noch nicht weiß, was ich all den Vitzewitzes, die draußen in der Halle hängen, zu sagen haben werde, wenn ich über kurz oder lang unter ihnen er­scheine. Aber ich werde noch manch anderes vor ihnen zu ver­antworten haben. Auflehnung stand auch nicht in unserem Hauskatechismus, und ich denke, eines rechnet sich dann ins andere, und das Kleine wird mit dem Großen mit aufgehen. Und nun nichts mehr davon. Ist es in den Sternen anders beschlossen, so wird eine französische Kugel mitsprechen. Gott verhüte es! Haben wir Dich aber wieder, so haben wir auch

Hochzeit. Und eines weiß ich, sie wird uns den Stammbaum verderben, aber nicht die Profile und nicht die Gesinnung. Und das ist alles, und jedenfalls das beste, was der Adel hat."

q- §

4 :

Und abermals lagen Tage zurück, und Renate, die sich in ihren einsamen Stunden, wenn nicht die Heiterkeit, so doch die Klarheit ihrer Seele zurückgewonnen hatte, saß wieder theil- nehmend im Kreise der Ihrigen. Am andern Morgen sollten Lewin und Hirschfeldt nach Breslau hin aufbrechen. Sie waren in Vorbereitung für ihre Reise und packten eben an ihren Mantelsäcken, als sie vom Eckfenster her, zwischen den Pfeilern der Auffahrt, plötzlich eines Reiters gewahr wurden, der auf seinem Shetländer in den Hof einritt. Also Bamme. Alles lief ans.Fenster, und selbst die Schorlemmer vergaß auf einen Augenblick ihre Abneigung. Denn sie war streitlustig, und neue Fehden standen jetzt in Aussicht. Am erfreutesten war Berndt, der es längst aufgegeben hatte, sich über die Schrullen und Eitelkeiten des Alten zu ereifern.

Nun, Bamme," hob er an, als dieser sich gesetzt und ein Tablett mit Likören rasch hintereinander absolvirt hatte, wie war der Groß-Quirlsdorfer Befund? Dorf, Pfarre, Kanzel?"

Gut, Vitzewitz, über Erwarten gut. Er hat eben seinen Frieden mit mir gemacht. Gleich am andern Tage war Kirche. Da mußte sich's also zeigen, und neugierig wie ich war, wartete ich nicht einmal das dritte Läuten ab. Das strafte sich denn freilich; das Orgelspiel wollte kein Ende nehmen, und mir war ein paar Mal als würde das ganze Gesangbuch durchgesungen. Aber endlich kam er, und was glauben Sie, worüber er predigte? Ueber Saul und David predigte er. Und immer wieder hieß es:Saul hat tausend geschlagen, aber David hat zehntausend geschlagen." Nun, Vitzewitz, wir wissen am besten, daß wir unserer Reputation diese Zehntausend eigentlich noch schuldig sind; aber «mün, der ewige kleine David, wer konnte es am Ende sein? Anfangs sträubte ich mich, bis ich mich darin ergab: Und so wissen Sie denn jetzt, meine

Damen, und worauf ich ein besonderes Gewicht lege, auch ! Sie, meine liebe Schorlemmer, wer eigentlich unter Ihrem I Dache weilt. Ein neuer Beweis für den alten Satz, wer nur alt genug wird, wird alles."

Das Geplauder ging noch weiter, und ehe Mittag heran war das Diner sollte nicht vor vier Uhr genommen werden machte Bamme den Vorschlag, zu Drosselstein hinüber zu reiten, umOstpreußen mal wieder auf Herz und Nieren zu prüfen". Berndt war es zufrieden, und nach einigen Minuten wurden die Pferde vorgeführt.

Als sie bei Miekleys Mühle vorüber waren, sagte Berndt: Was ich Ihnen sagen wollte, Bamme, wir haben ein Braut­paar im Hause."

Das wäre! Die Schorlemmer?"

Nein."

Ich dachte, sie hätte sich den Seidentopf 'rangebetet. Mit Speck fängt man Mäuse. Wittwer und Urnensammler gehen ins Garn wie die Wachteln. Und nun gar dieser Seidentopf. Sehen Sie sich seinen Jubiläumsschrank an; er hat alles auf-