Heft 
(1878) 51
Seite
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diese überträgt sich in der Folge wieder auf die ganze Kolonie, ähnlich wie die einzelnen Häuser und Anlagen der Straßen schließlich den Charakter einer Stadt bestimmen. So gibt es Stöcke mit derbem kurz­verästelten Zweigwerk, andere, die vieltheilig und zart wie Moos sind, noch andere, die aus pilzähnlichen oder lappenförmigen, oder aus flachen oder kugeligen Stücken bestehen, die kaum sichtbare Poren oder seltsam gewundene Vertiefungen an ihrer Oberfläche zeigen und viele andere durch Worte kaum genügend zu beschreibende Formen, die meistens wahre Wunderwerke an Zierlichkeit sind. In diesen leben die Polypen dicht an einander gedrängt in unermeßlicher Anzahl; die neuen Gene­rationen siedeln sich immer wieder am Mutterstock an, vergrößern den­selben und umgeben ihn mit neuen Absonderungen so wächst er und breitet sich aus, an der Oberfläche voller Leben, im Innern ein festes todtes Gestein.

Die kleinen Baumeister gedeihen aber nicht überall; wie alle Lebe­wesen sind auch sie von gegebenen äußeren Verhältnissen abhängig: sie können nur bis zu einer Tiefe von wenig mehr als hundert Fuß leben, sie müssen klares Seewasser von normalem Salzgehalt haben und be­dürfen einer Temperatur von mindestens neunzehn bis zwanzig Grad Celsius Wärme. Diese drei Voraussetzungen bedingen die Entstehung, die Form und die geographische Verbreitung der Korallenbauten.

Untiefen, flußarme Küstenstrecken, namentlich aber Inseln bieten die günstigste Gelegenheit zur Ansiedlung; im Laufe der entsteht, unmittelbar vom Lande ausgehend, ein Saum- oder Küstenriff, und bleibt ein solches, so lange nicht allgemeine wesentliche Veränderungen eintreten. Die feste Rinde unserer Erde zeigt nämlich sehr langsame erst in Jahrhunderten wahrnehmbare Schwankungen, indem einzelne Gegenden ganz allmählich auf- oder absteigen, und folglich dem Meere entwachsen oder von ihm bedeckt werden. Senkt sich der Erdraum, welcher auch unsere Insel mit dem Küstenriff trägt, so müssen endlich die in zu große Tiefe gelangenden Polypen absterben, während die jüngeren Generationen nach oben und außen rüstig weiterbauen. So vergrößert sich der Wasserraum zwischen der eintauchenden Insel und dem Riffe, und dieses bildet nun ein sogenanntes Damm- oder Wall­riff. Bei fortschreitendem Sinken wird die Insel gänzlich unter dem Meeresspiegel verschwinden, während das Riff wie bisher nach oben und außen weiter wächst und nun ein stilles Wasserbecken umschließt; so entsteht ein Lagunenriff oder Atoll. Dieses ist der Grabstein einer versunkenen Insel. An der Außenseite, wo ja die Riffe am schnellsten wachsen, ragen dieselben meistens steil wie eine Mauer aus großer Tiefe herauf, während sie nach innen ganz allmählich abfallen. Den Mündungen von Bächen und Flüssen gegenüber, wo ihre Er­bauer in den mit Süßwasser gemischten Fluten nicht gedeihen können, zeigen sie entsprechende Lücken, und diese werden auch bei den Atolls noch durch Ebbe und Flut offen gehalten; der innere Wasserraum bietet den Schiffen oft einen sicheren Zufluchtsort.

Wo statt der Senkung eine Hebung eintritt, da tauchen natürlich mit dem Land auch die Riffe empor und liegen dann hoch und trocken oft weit vom Meere entfernt. Wer z. B. das Juragebirge besucht, kann dort die alten Riffe in allen Größen und Formen erkennen, er kann sich im Geiste um Jahrtausende zurückversetzen und sich auf dem Grunde des Meeres wandelnd denken. Für den Forscher sind sie wich­tige Denkmäler der Vergangenheit, untrügliche Zeichen im großen Buche der Natur. Sie beweisen ihm, daß in diesem Erdstrich einst ein tro­pisches Klima herrschte, sie erzählen ihm aus grauer Vorzeit, vom Spiel der Wellen, vom Rauschen der Brandung, von einer Reihe längst verschwundener Lebewesen, deren abenteuerliche Formen wir nur noch ans den spärlich erhaltenen Resten zu erkennen vermögen.

Freilich bewahren diese Riffe nicht die ursprüngliche kunstvolle Gestalt der einzelnen Stöcke. Selbst ein noch in Weiterbildung be­griffenes Riff verwächst in seinen inneren und unteren Theilen zu einer geschloffenen Masse, deren Oberfläche allein noch den emsigen Arbeitern Raum zur Ansiedelung bietet. Wenn deren Werk bis zum Meeresspiegel vorgeschritten ist, wirken andere Kräfte an seiner Zer­störung.

Ungewöhnlich niedrige Ebben und heftige Regengüsse tödten die gegen Luft und Süßwasfer sehr empfindlichen Bewohner; die Wellen stürmen gegen den Bau, zertrümmern schwächere Theile desselben und brechen ganze Stöcke los; die nimmerruhende Brandung bemächtigt sich dieser, zerkleinert sie in rastlosem Spiel und wäscht das Geröll und den feinen Korallensand in die vorhandenen Hohlräume. Un­zählige Seethiere, welche in den Löchern und Klüften des Riffes leben und sterben, füllen diese ebenfalls mit ihren Ueberresten an. Die rührigen Polypen überziehen und verbinden immer wieder das Ge­lockerte mit ihren Absonderungen, und das Meerwasser endlich kittet im Laufe der Zeit das Ganze zu einem formlosen Gestein, zusammen. So verödet das Alte und Neues wächst auf ihm empor. Aber auch dieses wird früher oder später wieder eine Beute der Wellen, und die Bruchstücke werden schließlich an günstigen Stellen auf dem Riffe ab­gelagert. Es entstehen Anhäufungen, wachsen allmählich über den Wasserspiegel empor und bilden nun niedrige Jnselchen, welche bald verstreut, bald wie Perlen an einander gereiht am geschützten Saume des Riffes sich hinziehen. Regenschauer und die heißen Strahlen der Sonne beschleunigen die Verwitterung des Materials; Vögel lassen mit ihrem Kothe unverdaute Samenkörner zurück, die Meeresströmungen führen einzelne Pflanzen und Früchte herbei; allmählich überzieht freundliches Grün den nackten Boden, und am Strande erhebt die Kokospalme, deren gutgeschützte Frucht weite Seereisen unbeschädigt zu ertragen vermag, ihren prächtigen Wipfel. In ähnlicher Weise landen

durch das wunderliche Spiel des Zufalls vielleicht auch einige Thiere, und es entwickelt sich bald ein beschränktes Thierleben, bei welchem der Mangel an Arten oft durch eine außerordentliche Zahl von In­dividuen ersetzt wird. Sind die Inseln einladend genug, so findet endlich wohl auch der rastlos wandernde Mensch auf ihnen eine Heimat, wie dies namentlich im stillen Ocean geschehen ist.

Die Verbreitung der riffbauenden Polypen ist auf die Tropen­meere, zwischen e!wa 25 Grad südlicher und 30 Grad nördlicher Breite beschränkt, doch sind diese allgemeinen Grenzen durch warme oder kcckte Meeresströmungen vielfach verschoben. Wo überdies große Tiefen vor­handen sind, Flüsse das Meerwasser verunreinigen und seinen Salz­gehalt verringern, da fehlen auch die Korallen. Der atlantische Ocean ist darum verhältnißmäßig arm an denselben. Nur im rothen Meere, und an verschiedenen Stellen der westindischen Inseln finden pe s.ch-in größerer Menge; an der Küste von Florida, den Bahamabänken und an den ziemlich weit nordwärts liegenden Bermudainseln, in den warmen salzigen Fluten des Golfstromes gedeihen sie vortrefflich. Im indischen Ocean aber und namentlich in der unermeßlichen Weite des stillen Oceans haben sie ihre eigentliche Heimat und führen dort wahrhaft großartige Bauten auf. Viele Hunderte von Inseln in diesen Oceanen sind allein ihr Werk. Neu-Caledonien ist von einem Wallriff um­gürtet, welches fast hundert Meilen Länge und oft mehr als eine Meile Breite hat; au der Nordostküste Australiens erstreckt sich zehn bis zwölf Meilen vom Lande entfernt, im sogenannten Korallenmeer, ein anderes Wallriff von über zweihundert Meilen Länge hin.

Die Thätigkeit der kleinen fleißigen Geschöpfe kann sich aber auch in unangenehmer Weise fühlbar machen. Man hat Grund zu der Be­fürchtung, daß sie die Neu-Guinea und Australien trennende Torres- straße zubauen werden; noch viel empfindlichere Folgen würde es haben, wenn sie das Gleiche mit der Floridastraße versuchen sollten. Wachsen auch die Riffe nur langsam, durchschnittlich vielleicht einen halben Zoll im Jahre, so würde der entstehende Damm doch endlich die Gewässer des Golfstromes hemmen und zuletzt in neue Bahnen lenken. Der Golfstrom dient aber Europa nicht nur gewissermaßen als Warmwasserheizung, sondern verhindert auch das Eindringen kalter mit Eismaffen beladener Polarströmungen; veränderte er jemals seine Richtung, dann dürfte Nordwest-Europa bald in einen ähnlichen trau­rigen Zustand versinken, wie ihn uns die unter entsprechender Breite liegenden Landstriche des nordöstlichen Amerika und Grönlands dar­bieten.

Wie kommt nun aber der Kalk ins Meer, wie wird das Material ersetzt, das unsere Thiere zu ihren Bauten verbrauchen und in so großartiger Weise aufspeichern?

Diesen Ersatz besorgt der Kreislauf des Wassers. An der Ober­fläche des Meeres verdunsten fortwährend große Wassermengen, werden von den Winden hinweggeführt, verdichten sich zu Wolken und kehren in fester oder flüssiger Form wieder zur Oberfläche der Erde zurück. Die Feuchtigkeit dringt in den Boden ein, sickert durch die feinsten Poren der Gesteine und löst mehr oder minder schnell die verschiedenen Bestandtheile auf. In zahlreichen Quellen tritt das bereicherte Wasser wieder zu Tage, vereinigt sich zu Bächen und Flüssen und gelangt zu­letzt ins Meer, von dessen Strömungen es überall vertheilt wird. Un­unterbrochen zersetzt das Wasser den Boden, welchen es durchdringt, es erweitert Ritzen, Spalten, Blasenräume im Innern der Erde, höhlt Schluchten und Lhäler aus, zernagt und formt die Gebirge, und be­wirkt so ein allmähliches Zusammensinken und Hinwegschmelzen alles Festen, welches über den Spiegel des Weltmeers emporragt. Von einzelnen Flüssen ist nachgewiesen, daß sie in achttausend Jahren dem Meere so viel aufgelöste Bodenbestandtheile zuführen, als das Ge- sammtgewicht der Wassermasse beträgt, die sie in einem Jahre in dasselbe ergießen. Da nun ähnliches für alle Flußläufe gilt, so läßt sich ermessen, welche bedeutende Umwandlungen hierdurch verursacht werden. Eine annähernde Berechnung ergibt, daß schon der Kalk, welchen das Meer fortwährend in Lösung enthält, wenn plötzlich ausgeschieden, für sich allein eine Felsmasse von einer Meile Höhe und Breite und 2000 Meilen Länge bilden würde.

Wenn nun die stete Zuführung von Stoffen nicht ausgeglichen würde, so müßte das Meerwasser sich endlich in eine für Lebewesen unbewohnbare Lange verwandeln. Viele Landseen, die wohl Zuflüsse aber keinen Abfluß haben und durch Verdunstung zwar ihr Wasser, nicht aber die darin gelöst enthaltenen Mineralien verlieren, gehen diesem Schicksale entgegen oder sind ihm schon verfallen, wie z. B. das tobte Meer, dessen Zustand durch den Namen genügend bezeichnet wird. Dasselbe Schicksal, vollständige Verödung, wäre endlich auch dem Weltmeere gewiß, wenn diesem, neben andern ausgleichenden Pro­zessen, nicht auch durch die rastlose Thätigkeit von Thieren und Pflan­zen entgegengearbeitet würde. In welcher bedeutsamen Weise die riff- vauenden Polypen sich an der Erhaltung des Gleichgewichts bethei­ligen, haben wir gesehen.

Ununterbrochen wirken die Kräfte, die in einem Menschenalter kaum merkbar, in Jahrtausenden doch Ungeheures leisten und in un­endlicher Mannichfaltigkeit der Mittel die Formen des Bestehenden verändern, rastlos zerstören und rastlos erschaffen.

Geistesgegenwart.

In einem Dorfe in der Nähe von Lublin lebt ein alter Geist­licher, der für sehr vermögend gilt. Vor einigen Monaten brachen zu nächtlicher Stunde Räuber bei ihm ein und verlangten Geld.Wir