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selben Augenblicke meiner Frau einen Kuß ans die Lippen. „Du hier?"
„Und Du auch?"
„Ich hielt's nicht aus ohne Dich —"
„Und ich auch nicht ohne Dich!"
„Weißt Du, Strohwittwer zu sein —"
„Oder Strohwittwe "
„Das ist entsetzlich und wenn es auch nur aus vierundzwanzig Stunden wäre!"
In den Lüften aber klang es wie Mendelssohns Frühlingslied, und froh bewegt zogen wir zusammen in unsere Mansardenstube. Daß der Wirth sich bei den freundlichen Worten meiner Frau bald beruhigte, brauche ich nicht erst hiu zuzufügen.
Auf SL. Slephamkirchhof in Bremen.
Ein Stück ans der Kirchengeschichte und der Geschichte der Barmherzigkeit einer alten Hansestadt.
Von L. TirsniriM.
Nachdruck derbotm. Ges. v. II. VI. 7a.
Es gibt kaum eine Stadt im lieben deutschen Vaterlande, in welcher die ans dem Glauben geborene Liebe so viele Werke der Barmherzigkeit hervorgerufen hat, als in der freien Hansestadt Bremen. Seit alter Zeit, vornämlich aber bald nach Einführung der Reformation, zeigt sich hier ein so eifriges Streben, das Loos der Leidenden zu mildern und der Armnth Thronen zu trocken, wie kaum anderswo. Ein großer Theil der durch ausgedehnten Handel und Gewerbe gewonnenen Mittel wird zu Liebeswerken verwandt, und die „innere Mission" feierte hier schon in den vergangenen Jahrhunderten schöne Siege.
Vor allem waren es zwei Punkte in dem lang gestreckten Bremen, wo die Stätten der Liebe sich dicht nebeneinander gerückt befanden, in der Nähe der Ansgariikirche und auf St. Stephanikirchhof. Durch Anlage der Kaiserstraße, einer dritten Verkehrsader zwischen Alt- und Neustadt, die in der Nähe der Ansgariikirche vorbeiführt, sind eine Anzahl wohlthätigcr Anstalten ans dortiger Gegend in andere Theile der Stadt verlegt. Auf St. Stcphanikirchhof ist keine Veränderung eingetreten. Dieses Stück Erde mit seinen alten Linden und Ulmen, mit seiner altehrwürdigen Kirche liegt zu weit ab vom Strom des Verkehrs, als daß jemals eine Verlegung der dort befindlichen Gebäude zu besorgen stände. Wenn wir in den folgenden Zeilen den Lesern des Daheim eine Beschreibung der ans der christlichen Liebe hervorgegangenen Anstalten geben, so dürfte es nicht uninteressant sein, bei dieser Gelegenheit auch die Häuser auf St. Stephanikirchhof zu berücksichtigen, an welche sich ein Stück Bremischer Kirchengeschichte knüpft.
In grauer Vorzeit war nach Westen zu dem alten Bremen eine Düne vorgelagert, der „Steffensberg" genannt. An seinem Fuße siedelten sich eine Anzahl Fischerfamilien an. Allmählich entstand ein neuer Stadttheil mit einer Mauer umschlossen. Später verband man ihn mit der eigentlichen Stadt und schützte ihn durch Wall und Graben. Die Düne selbst, eine etwa einen Morgen haltende Fläche, wurde von den Anwohnern als Be- gräbnißplatz benutzt, nachdem man in seiner Mitte eine Kirche gebaut hatte. Er ist an seinen vier Seiten durch Häuserreihen eingerahmt, von denen einige, sowie der Platz selbst Eigenthum der St. Stephanigemeinde sind. Seitdem die Begräbnißstätten außerhalb der Stadt verlegt sind, bepflanzte man den Platz mit Linden und Ulmen, die der fröhlich spielenden Kinderschar der St. Stephanigemeindeschule zur Sommerzeit köstlichen Schatten bieten.
Nach Süden zu wird der Kirchhof durch hohe Packhäuser begrenzt; im Westen, Osten und Norden liegen die Stätten, durch welche sich die St. Stephanigemeinde ein Denkmal treuen Glaubens und werkthätiger Liebe gesetzt hat, das Gemeindehaus, die Gemeindeschnle und das Wittwenhaus. Außerdem befinden sich noch auf St. Stephanikirchhof zwei Gebäude, die ebenfalls wohlthätigen.Zwecken dienen, nämlich das Mannhans, verwaltet von der städtischen Diakonie und Seemannsheim, Eigeuthum des Hauses Fr. M. Vietor und Söhne.
Wenn wir unfern Weg von Osten her nehmen, dann tritt uns unmittelbar au den Kirchhof angrenzend ein kleines unschönes Gebäude entgegen. Wie ein Zwerg unter Riesen steht es da. Es ist das bekannte Haus „zu den sieben Rosen", wie es im Volksmunde heißt, nach Ansicht vieler das älteste Bauwerk Bremens. Viele Veränderungen und Wandlungen haben sich in seiner unmittelbaren Nähe vollzogen, viel Stim-
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men sind erklungen, das alte Haus, eine Unzierde dortiger Gegend niederzulegen, aber stets erhob der pietätvolle Sinn dagegen Protest.
Der alterthümliche Bau stammt ans der Mitte des Xl. Jahrhunderts und diente ursprünglich zum gottesdienstlichen Gebrauch. Wozu er nach Vollendung der St. Stephanikirche verwandt ist, darüber fehlen bestimmte Nachrichten. Wahrscheinlich hat man dann und wann in ihm noch Messe gelesen.
Als die Reformation im Jahre 1526 in Bremen ihren Einzug hielt, lag nach dem Vorgänge anderer Städte der Gedanke sehr nähe, die alte Kapelle in eine Wohnung für altersschwache Frauen oder Jungfrauen zu verwandeln. Es wurde ein Wohnzimmer und eine Schlafkammer in dem bescheidenen Raum hergerichtet; der noch übrig bleibende Theil enthält den Herd und einen Platz zum Ansstellen der Schränke. Das Hans „zu den sieben Rosen" ist Eigenthum der St. Stephanigemeinde und ist stets von drei Frauen bewohnt. So oft eine von ihnen heimgeht, wählt der Kircheuvorstand unter den sich Meldenden die würdigste aus; da keine Miethe zu zahlen ist, so hat es an Bewerberinnen nie gefehlt.
Oben über dem Eingänge befinden sich in Stein gemeißelt sechs Rosen, die siebente ist im Laufe der Zeit verschwunden. Hat man mit der heiligen Siebenzahl den Charakter des Hauses kennzeichnen, hat man sagen wollen: „Hier soll ein stilles beschauliches Leben, eine heilige Gesinnung herrschen?" Vielleicht. Aber weshalb hat man die Rose gewählt? Ich bin zu wenig eingeweiht in die Symbolik der Blumen. Ist die Rose ein Bild des Friedens? Oder will sie in ihrer aufgeblühten Form anzeigen, daß die Bewohnerinnen längst die Zeit des Lenzes hinter sich haben?
Betreten wir den höher gelegenen Kirchhof, und wenden wir uns nach links, daun tritt uns, etwas versteckt durch einen Vorbau, ein im modernen Stil erbautes Haus entgegen; es ist „Seemannsheim". Sechsundzwanzig Jahre sind bereits seit seiner Einweihung durch den seligen Pastor Mailet verflossen. Wer gründete dieses Haus und welchem Zwecke diente es? In der Zeit, als die ersten „Herbergen zur Heimat" in verschiedenen Städten Deutschlands für wandernde Handwerker errichtet wurden, faßten die Herren Gebrüder Vietor den Plan, für angehende Seeleute und Matrosen, die augenblicklich kein neues Engagement gefunden, eine christliche Herberge zu bauen, wo ihnen neben guten und billigen Logis auch Gottes Wort nahe gebracht würde. Ein Bedürfnis für solch ein Asyl war augenscheinlich vorhanden. Bremerhafen war nämlich damals noch nicht zu der Bedeutung von heute gelangt, und es löschten noch viele von See kommende Schiffe an der Schlachte zn Bremen. Und Seeleute sind bekanntlich nur zu geneigt, sich an Land für die langen Entbehrungen einer Seereise zu entschädigen und fallen oft ausbcutungssüchtigen Wirthen in die Hände. Dem wollte „Seemannsheim" entgegenwirken. Das Haus enthält neben der Wohnung des Oekonomen einen Saal, ein Gastzimmer, sechs Wohnzimmer und zwanzig Räume zum Schlafen. Morgens und abends wird Hausandacht gehalten, Spirituosen werden nicht verabreicht, abends 11 Uhr wird geschlossen. Jährlich logiren in Seemannsheim etwa 5 — 800 junge Leute, um von hier aus den Dienst auf See anzutreten. Ob sich in anderen, in der Nähe der See gelegenen Städten eine ähnliche Herberge findet, ist uns nicht bekannt; die in Bremen ist vielen zum bleibenden Segen geworden. Wie Mancher