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Brief ist von hier aus geschrieben an bekümmerte Eltern als letzter Gruß für lange Zeit, und wie viele Worte des Dankes sind hier laut geworden, wenn eine gefahrvolle Seereise glücklich überstanden wart
Verlassen wir „Seemannsheim" und gehen,- die alte Ste- phaNikirche zur Rechten, durch eine hübsche Ulmenallee in westlicher Richtung, dann stehen wir in kurzer Zeit vor dem herrlichen Portale des St. Stephanigemeindehauses. Unter den Stürmen des Jahres 1848 drängte sich verschiedenen Gliedern der Gemeinde die Ueberzeugung auf, es sei ein Haus nöthig, worin sich das ganze Gemeindeleben konzentriren könne. Sechs angesehene Gemeindeglieder fanden sich willig, die Kosten zum Bau, die sich auf 40,000 Thlr. beliefen, zu schenken. Während des Baues trat eine schwere Geschäftskrisis ein, so daß der Glaube der Erbauer auf die höchste Probe gestellt wurde. Im Jahre 1857 wurde der Grundstein gelegt, und zwei Jahre später konnte der monumentale Bau, der in seiner Schönheit an Aehnliches im reichen Amerika erinnert, der St.
Stephanigemeinde als Geschenk übergeben und eingeweiht werden.
Das Gemeindehaus, nicht mit Unrecht ein christliches Rath- und That- haus genannt, hat 35 Zimmer, 2 Küchen und zwei Böden. Im Parterre wohnt der Gemeindehelfer, dort befindet sich auch die überaus schöne freundliche Kapelle mit 450 Plätzen, die zu Gottesdiensten, Kindergottesdiensten, Gemeindeabenden und Gemeindeversammlungen benutzt wird. Die Beletage enthält außer dem Geschäftszimmer der Gemeinde eine Pastorenwohnung, der letzte Stock mit 19 Zimmern dient altersschwachen Frauen der Gemeinde als Wohnung.
Hier walten zwei Gemeindediakonissinnen und suchen durch Liebe und Pflege mancher im Sturm des Lebens gebeugten Menschenseele einen stillen Lebensabend zu bereiten.
Das Gemeindehaus ist der Mittelpunkt der Bereinsthätigkeit innerhalb der St. Stephanigemeinde; hier haben eine große Menge von Vereinen ihre Zusammenkünfte, Missionsvereine, der Verein junger Kauflente, der Dienstmädchenverein, der der Bremer Blinden und verschiedene andere. Mail hat bekanntlich in dem letzten Jahrzehnt auch in andern Gegenden Deutschlands solche Gemeinde- und Vereinshäuser erbaut, die vom rechten Geiste belebt zur Förderung des Gemeindelebens ihr gutes Theil beigetragen haben.
Dicht neben dem stattlichen Gemeindehause, durch einen Gang getrennt, steht ein Gartenhaus im Pfarrgarten gelegen, nicht weit von der alten von Weinstöcken umrankten Pastorenwohnung entfernt, ein Lieblingsaufenthalt des seligen Pastor Mallet, der fast vierzig Jahre mit größtem Segen an der St. Stephani-Gemeinde gewirkt hat. Zu Braunfels Ende des vorigen Jahrhunderts geboren, fand der Frühverwaiste liebevolle Aufnahme im Hause des dortigen Pfarrers Müller, der den munteren Knaben bei seiner Uebersiedelung nach Bremen mitnahm und ihn zum Theologen ausbilden ließ. Später wurde Mallet zum Kollegen seines väterlichen Freundes erwählt. Von Spener erzählt man, daß er in den neun Jahren
seiner Berliner Amtsthätigkeit nur zwei Mal den schönen Pfarrgarten betreten habe. Bei Mallet war das durchaus anders; er konnte sich freuen wie ein Kind an der ersten Blume, die die Frühlingssonne hervorlockte, und stieg die Sonne höher, daun flüchtete er in das geräumige Gartenhaus, das ihm einen schönen Ausblick gewährte in. den mit alten epheuumrankten Bäumen geschmückten Pfarrgarten und auf die alte Kirche. Hier tveilte er manche Stunde des Tages sinnend, lesend oder schreibend, hier sind viele seiner schönsten Gedanken geboren, viele seiner Streitschriften entstanden, hier hat er manchen stillen Sonntagmorgen anbrcchen sehen.
Wenn die übrigen Bewohner des Stephanikirchhofs noch der Ruhe pflegten, ging Vater Mallet unzählige Male in seinem Gartenhause auf und ab, das Taschentuch unablässig zwischen den Händen bewegend, um seine Predigt zu meditiren. Er pflegte kein Wort auszuschreiben; „Gott hat mich beim Studieren meiner Predigten von der Feder befreit," sagte er wohl, aber er
nahm es deshalb nicht weniger leicht mit seinen Predigten als andere, die beim Aufschreiben auch nicht den Punkt über dem i vergessen. Oft war er noch nicht fertig, wenn die Gemeinde den letzten Vers des Liedes anstimmte, dann wurde ein zweites gesungen, gewöhnlich: „Liebster Jesu, wir sind hier", bis der sehnlichst Erwartete endlich erschien, mit Schnelligkeit die Kanzel bestieg, und dann in einer Fülle schlagender und packender Gedanken die Herzen der Hörer für das Ewige begeisterte. Es ist wohl kaum ein Pastor gewesen, der mehr von seiner Gemeinde geliebt wurde als Mallet, und er war nirgends lieber als in Bremen, in seinem traulichen Pfarr- und Gartenhause. „Bremen," Pflegte er zu sagen, „ist mein Kanaan und mein Jerusalem."
Das zweite Pfarrhaus, mit dem Giebel dein Kirchhofe zugekehrt, zeigt ein in Sandstein gemeißeltes Reliefbild: Ein Löwe und Drache sind in erbittertem Kampfe begriffen, seine markigen Füße hat der Wüstenkönig auf die häßliche Gestalt des Lindwurms gesetzt, der Ausgang des Ringkampfes scheint nicht zweifelhaft zu sein. Unter dem Bilde steht geschrieben:
Oroswutio- dsl- I.ov6 ctoQ tratron t'stt 4Vis Otiiäst äsii 8n4aii, toctt uiict vMctt.
^.xoesl. 5. (4>,p.
Was hat das Bild zu bedeuten? Es enthält in eigen- thümlicher Darstellung ein Stück aus dem Leben Leo Was- manns, der 1572 als erwählter Prediger von St. Stephani nach Bremen kam. Im Jahre 1580 wollte der Erzbischof Heinrich seinen Einzug in Bremens Mauern halten, um sich vom Rathe huldigen zu lassen; der Roland auf dem Markte wurde vergoldet, die Kirchen geschmückt. Zur festgesetzten Zeit traf der bischöfliche Zug, 500 Reiter stark, ein, die bewaffneten Bürger bildeten Spalier, im Dom hielt der Hofprediger Ratingius die Huldigungspredigt.
Dieser pomphafte Einzug war aber nicht nach Leo Was- manns Geschmack; er besteigt des folgenden Tages seine Kanzel und donnert eine heftige Philippika gegen den Erzbischof. Schnell
Das Haus zu den sieben Nosen in Bremen.
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