Stechlin.
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Nicht-Alexander, und ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, der war doch der Häupter. Und das war unser Nikolaus. Manche dummen Kerle haben Spottlieder auf ihn gemacht und vom schwarzen Niklas gesungen, wie man Kinder mit dem schwarzen Mann graulich macht, aber war das ein Mann! Und dieser selbige Nikolaus, nun, der hatte hier, ganz wie die drei Alexander, auch ein Regiment, und das waren die Nikolaus-Kürassiere, oder sag' ich lieber: das sind die Nikolaus-Kürassiere, denn wir haben sie, Gott sei Dank, noch. Und sehen Sie, lieber Czako, das war mein Regiment, dabei Hab' ich gestanden, als ich noch ein junger Dachs war, und habe dann den Abschied genommen; viel zu früh; Dummheit, hätte lieber dabei bleiben sollen."
Czako nickte, Dubslav nahm ein neues Glas von dem Goldwasser. „Unsre Nikolaus-Kürassiere, Gott erhalte sie, wie sie sind! Ich möchte sagen, in dem Regiments lebt noch die heilige Alliance fort, die Waffenbrüderschaft von Anno dreizehn, und dies Anno dreizehn, das wir mit den Russen Zusammen durchgemacht haben, immer nebeneinander im Biwak, in Glück und Unglück, das war doch unsre größte Zeit. Größer als die jetzt große. Große Zeit ist immer nur, wenn's beinah' schief geht, wenn man jeden Augenblick fürchten muß: ,Jetzt ist alles vorbei'. Da zeigt sich's. Courage ist gut, aber Ausdauer ist besser. Ausdauer, das ist die Hauptsache. Nichts in: Leibe, nichts aus dem Leibe, Hundekälte, Regen und Schnee, so daß man so in der nassen Patsche liegt, und höchstens 'neu Kornus (Cognac, ja hast du was, den gab es damals kaum) und so die Nacht durch, da konnte man Jesum Christum erkennen lernen. Ich sage das, wenn ich auch nicht mit dabei gewesen. Anno dreizehn, bei Großgörschen, das war für uns die richtige Waffenbrüderschaft; jetzt haben wir die Waffenbrüderschaft der Orgeldreher und der Mausesallenhändler. Ich bin für Rußland, für Nikolaus und Alexander. Preobrashensk, Semenow, Kaluga, — da hat man die richtige Anlehnung ; alles andre ist revolutionär, und was revolutionär ist, das wackelt."
Kurz vor elf, der Mond war inzwischen unter, brach man aus, und die Wagen fuhren vor, erst der Katzlersche Kaleschwagen, dann die Gunder- mannsche Chaise; Martin aber, mit einer Stalllaterne, leuchtete dem Pastor über Vorhof und Bohlenbrücke fort, bis an seine ganz im Dunkel liegende Pfarre. Gleich daraus zogen sich auch die drei Freunde zurück und stiegen, unter Vorantritt Engelkes, die große Treppe hinauf, bis aus den Podest» Hier trennten sich Rex und Czako von Woldemar, dessen Zimmer auf der andern Flurseite gelegen war.
Czako, sehr müde, war im Nu bettfertig. „Es bleibt also dabei, Rex, Sie logieren sich in dem Rokokozimmer ein — wir wollen es ohne weiteres so nennen — und ich nehme das Himmelbett hier in Zimmer Nummer eins. Vielleicht wäre das Umgekehrte richtiger, aber Sie haben es so gewollt." Und während er noch so sprach, schob er seine Stiesel auf den Flur hinaus, schloß ab und legte sich nieder.
Neber Land und Meer. All. Okt.-Hefte. XIV. 6.
Rex war derweilen mit seiner Plaidrolle beschäftigt, aus der er allerlei Toilettegegenstände hervorholte. „Sie müssen mich entschuldigen, Czako, wenn ich mich noch eine Viertelstunde hier bei Ihnen aufhalte. Habe nämlich die Angewohnheit, mich abends zu rasieren, und der Toilettetisch mit Spiegel, ohne den es doch nicht gut geht, steht nun mal hier an Ihrem, statt an meinen: Fenster. Ich muß also stören."
„Mir sehr recht, trotz aller Müdigkeit. Nichts besser, als noch ein bißchen aus dem Bett heraus plaudern können. Und dabei so warm eingemummelt. Die Betten aus dem Lande sind überhaupt das Beste."
„Nun, Czako, das freut mich, daß Sie so bereit sind, mir Quartier zu gönnen. Aber wenn Sie noch eine Plauderei haben wollen, so müssen Sie sich die Hauptsache selber leisten. Ich schneide mich sonst, was dann hinterher immer ganz schändlich aussieht. Uebrigens muß ich erst Schaum schlagen, und so lange wenigstens kann ich Ihnen Red' und Antwort stehen. Ein Glück nebenher, daß hier, außer der kleinen Lampe, noch diese Zwei Leuchter sind. Wenn ich nicht Licht von rechts und links habe, komme ich nicht von der Stelle; das eine wackelt zwar (alle diese dünnen Silberleuchter wackeln), aber ,wenn gute Reden sie begleiten . . .' Also strengen Sie sich an. Wie fanden Sie die Gundermanns d Sonderbare Leute — haben Sie schon mal den Namen Gundermann gehört?"
„Ja. Aber das war in ,Waldmeisters Brautfahrt'."
„Richtig; so wirkt er auch. Und nun gar erst die Frau! Der einzige, der sich sehen lassen konnte, war dieser Katzler. Ein Karambolespieler ersten Ranges. Uebrigens eisernes Kreuz."
„Und dann der Pastor."
„Nun ja, auch der. Eine ganz gescheite Nummer. Aber doch ein wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe, zu der er gehört. Er hält zu Stöcker, sprach es auch aus, was neuerdings nicht jeder thut; aber der ,neue Luther', der doch schon gerade bedenklich genug ist — Majestät hat ganz recht mit seiner Verurteilung —, der geht ihm gewiß nicht weit genug. Dieser Lorenzen erscheint mir, im Gegensatz zu seinen Jahren, als einer der allerjüngsten. Und zu verwundern bleibt nur, daß der Alte so gut mit ihm steht. Freund Woldemar hat mir davon erzählt. Der Alte liebt ihn und sieht nicht, daß ihm sein geliebter Pastor den Ast absägt, aus dem er sitzt. Ja, diese von der neuesten Schule, das sind die allerschlimmsten. Immer Volk und wieder Volk, und mal auch etwas Christus dazwischen. Aber ich lasse mich so leicht nicht hinters Licht führen. Es läuft alles darauf hinaus, daß sie mit uns ausräumen wollen, und mit dem alten Christentum auch. Sie haben ein neues, und das überlieferte behandeln sie despektierlich."
„Kann ich ihnen unter Umständen nicht verdenken. Seien Sie gut, Rex, und lassen Sie Kon- ventikel und Partei mal beiseite. Das Ueberlieserte, was einem da so vor die Klinge kommt, namentlich wenn Sie sich die Menschen ansehen, wie sie nun
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