Stechlin.
13
„Wie?"
„Großes rundes Fenster ohne Glas. Aber ich liebe diese Häuser."
„Ja, das kann ich auch von mir sagen, und in gerade solchen Häusern Hab' ich meine beste Zeit verbracht, als ich noch ein Quack war, höchstens vierzehn. Und so grausam wild. Damals waren nämlich noch die Rinnsteine, und wenn es dann regnete und alles überschwemmt war und die Bretter anfingen, sich Zu heben, und schon so halb herumschwammen, und die Natten, die da drunter steckten, nicht mehr wußten, wo sie hin sollten, dann sprangen wir aus die Bohlen 'raus, und nun die Biester 'raus, links und rechts, und die Jnngens hinterher, immer ausgekrempelt und ganz nackigt. Und einmal, weil der eine Junge nicht abließ und mit seinen Holzpantinen immer draus losschlng, da wurde das Untier falsch und biß den Jungen so, daß er schrie! Nein, so Hab' ich noch keinen Menschen wieder schreien hören. Und cs war auch fürchterlich."
„Ja, das ist es. Und da helfen bloß Rattenfänger."
„Ja, Rattenfänger, davon Hab' ich auch gehört — Rattenfänger von Hameln. Aber die giebt es nicht mehr."
„Nein, gnädige Frau, die giebt es nicht mehr, wenigstens nicht mehr solche.Hexenmeister mit Zanber- spruch und Pfeife. Aber die meine ich auch nicht. Ich meine überhaupt nicht Menschen, die dergleichen pon Metier sind und sich in den Zeitungen anzeigen, unheimliche Gesichter mit einer Pelzkappe. Was ich meine, sind bloß Pinscher, die nebenher auch noch ,Rattenfänger' heißen und es auch wirklich sind. Und mit einem Rattenfänger ans die Jagd gehen, das ist eigentlich das Schönste, was es giebt."
„Aber mit einem Pinscher kann man doch nicht auf die Jagd gehen!"
„Doch, doch, meine gnädigste Frau. Als ich in Paris war (ich war da nämlich mal hinkommandiert), da bin ich mit 'runtergestiegen in die sogenannten Katakomben, hochgewölbte Kanäle, die sich unter der Erde hinziehen. Und diese Kanäle sind das wahre Natteneldorado; da sind sie zu Millionen. Oben drei Millionen Franzosen, unten drei Millionen Natten. Und einmal, wie gesagt, bin ich da mit 'runtergeklettert und in einem Boote durch diese Unterwelt hingesahren, immer mitten in die Natten hinein."
„Gräßlich, gräßlich. Und find Sie heil wieder 'raus gekommen?"
„Im ganzen, ja. Denn, meine gnädigste Frau, eigentlich war es doch ein Vergnügen. In nnscrm Kahn hatten wir nämlich zwei solche Rattenfänger, einen vorn und einen hinten. Und nun hätten Sie sehen sollen, wie das losging. .Schnapp', und das Tier um die Ohren geschlagen, und tot war es. Und so weiter, so schnell wie Sie nur zählen können, und mitunter noch schneller. Ich kann es nur vergleichen mit Mr. Carver, dem bekannten Mr. Carvcr, von dem Sie gewiß einmal gelesen haben, der in der Sekunde drei Glaskugeln wegschoß. Und so immerzu, viele Hundert. Ja, so was wie diese Nattenjagd da unten, das vergißt man nicht wieder.
Es war aber auch das Beste da. Denn was sonst noch von Paris geredet wird, das ist alles übertrieben; meist dummes Zeug. Was haben sie denn Großes? Opern und Cirkus und Museum, und in einem Saal 'ne Venus, die man sich nicht recht ansieht, weil sie das Gefühl verletzt, namentlich wenn man mit Damen da ist. Und das alles haben wir schließlich auch, und manches haben wir noch besser. So Zum Beispiel Niemann und die dell' Era. Aber solche Rattenschlacht, das muß wahr sein, die haben wir nicht. Und warum nicht? Weil wir keine Katakomben haben."
Der alte Dubslav, der das Wort „Katakomben" gehört hatte, wandte sich jetzt wieder über den Tisch hin und sagte: „Pardon, Herr von Czako, aber Sie müssen meiner lieben Frau von Gundermann nicht mit so furchtbar ernsten Sachen kommen und noch dazu hier bei Tisch, sogleich nach Karpfen und Meerrettich. Katakomben! Ich bitte Sie. Die waren ja doch eigentlich in Nom und erinnern einen immer an die traurigsten Zeiten, an den grausamen Kaiser Nero und seine Verfolgungen und seine Fackeln. Und da war dann noch einer mit einem etwas längeren Namen, der noch viel grausamer war, und da verkrochen sich diese armen Christen gerade in eben diese Katakomben, und manche wurden verraten und gemordet. Nein, Herr von Czako, da lieber was Heiteres. Nicht wahr, meine liebe Frau von Gundermann?"
„Ach nein, Herr von Stechlin; es ist doch alles so sehr gelehrig. Und wenn man so selten Gelegenheit hat."
„Na, wie Sie wollen. Ich Hab' es gut gemeint. Stoßen wir an! Ihr Rudolf soll leben; das ist doch der Liebling, trotzdem er der älteste ist. Wie alt ist er denn jetzt?"
„Vierundzwanzig."
„Ein schönes Alter. Und wie ich höre, ein guter Mensch. Er müßte nur mehr 'raus. Er versauert hier ein bißchen."
„Sag' ich ihm auch. Aber er will nicht fort. Er sagt, zu Hause sei es am besten."
„Bravo. Da nehm' ich alles zurück. Lassen Sie ihn. Zn Hanfe ist cs wirklich am besten. Und gerade wir hier, die wir den Vorzug haben, in der Nheinsberger Gegend zu leben. Ja, wo ist so was? Erst der große König, und dann Prinz Heinrich, der nie 'ne Schlacht verloren. Und einige sagen, er wäre noch klüger gewesen als sein Bruder. Aber ich will so was nicht gesagt haben."
IV.
Frau von Gundermann schien auf das ihr als einziger, also auch ältester Dame Anstehende Tafel- aushebnngsrecht verzichten zu wollen und wartete, bis statt ihrer der schon seit einer Viertelstunde sich nach seiner Mcerschaumpfeise sehnende Dubslav das Zeichen zum Ansbruch gab. Alles erhob sich jetzt rasch, um vom Eßzimmer aus in den nach dem Garten hinaussehenden Salon zurückzukehrcn, dem cs — war es Zufall oder Absicht? — in diesem Angenblick noch an aller Beleuchtung fehlte; nur im Kamin glühten