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Weller Land und Meer.
Das Mahl war inzwischen vorgeschritten und bei einem Gange angelangt, der eine Spezialität von Schloß Stechlin war und jedesmal die Bewunderung seiner Gäste: losgelöste Krammetsvögel- brüste, mit einer dunkeln Kraftbrühe angerichtet, die, wenn die Herbst- und Ebereschentage da waren, als eine höhere Form von Schwarzsauer auf den Tisch Zn kommen pflegten. Engelke präsentierte Burgunder dazu, der schon lange lag, noch aus alten besseren Tagen her, und als jeder davon genommen, erhob sich Dubslav, um erst kurz seine lieben Gäste zu begrüßen, dann aber die Damen leben Zn lassen. Er müsse bei diesem Plural bleiben, trotzdem die Damenwelt nur in einer Einheit vertreten sei; aber er gedenke neben seiner lieben Freundin und Tischnachbarin (er küßte dieser dabei die Hand) zugleich der „Gemahlin" seines Freundes Katzler, die leider — wenn auch vom Familienstandpunkt aus in hocherfreulichster Veranlassung — am Erscheinen in ihrer Mitte verhindert sei: „Meine Herren, Frau Oberförster Katzler" — er machte hier eine kleine Pause, wie wenn er eine weitere Titulatur ernsthaft in Erwägung zöge — „Frau Oberförster Katzler und Frau von Gundermann, sie leben hoch!" Rex, Czako, Katzler erhoben sich, um mit Frau von Gundermann anzustoßen, als aber jeder von ihnen auf seinen Platz zurückgekehrt war, nahmen sie die durch den Toast unterbrochene Unterhaltung wieder auf, wobei Dubslav als guter Wirt sich darauf beschränkte, kurze Bemerkungen nach links und rechts hin einznstrenen. Dies war indessen nicht immer leicht, am wenigsten leicht bei dem Gespräch, das der Hauptmann und Frau von Gundermann führten, und das so pausenlos verlief, daß ein Einhaken sich kaum ermöglichte. Czako war ein guter Sprecher, aber er verschwand neben seiner Partnerin. Ihres Vaters Laufbahn, der es — ursprünglich Schreib- nnd Zeichenlehrer — in langen, mit Anno 1813 beginnenden Dienstjahren bis zum Hauptmann in der „Plankammer" gebracht hatte, gab ihr in ihren Augen eine gewisse militärische Zugehörigkeit, und als sie, nach mehrmaligem Auslugen, endlich den ihr wohl- bekannten Namenszug des Regiments Alexander ans Czakos Achselklappe erkannt hatte, sagte sie: „Gott. .., Alexander. Nein, ich sage. Mir war aber doch auch gleich so. Münzstraße. Wir wohnten ja Linienstraße, Ecke der Weinmeister — das heißt, als ich meinen Mann kennen lernte. Vorher draußen, Schönhauser Allee. Wenn man so wen aus seiner Gegend wieder sieht! Ich bin ganz glücklich, Herr Hauptmann. Ach, es ist zu traurig hier, lind wenn wir nicht den Herrn von Stechlin hätten, so hätten wir so gut wie gar nichts. Mit Katzlers," aber dies flüsterte sie nur leise, „mit Katzlers ist es nichts; die sind Zu hoch 'raus. Da muß man sich denn klein machen. Und so toll ist es am Ende auch nicht. Jetzt passen sie noch. Aber abwarten."
„Sehr wahr, sehr wahr," sagte Czako, der, ohne was Sicheres zu verstehen, nur ein während des Dubslavschen Toastes schon gehabtes Gefühl bestätigt sah, daß es mit den Katzlers was Besonderes auf sich haben müsse. „Ja," fuhr Frau von Gundermann,
den Flüsterton aufgebend, fort, „wir haben den Herrn von Stechlin, und das ist ein Glück, und es ist auch bloß eine gute halbe Meile. Die meisten andern wohnen viel zu weit, und wenn sie auch näher wohnten, sie wollen alle nicht recht; die Leute hier, mit denen wir eigentlich Umgang haben müßten, sind so difficil und legen alles auf die Goldwage. Das heißt, vieles legen sie nicht aus die Goldwage, dazu reicht es nicht; nur immer die Ahnen. Und sechzehn ist das wenigste. Ja, wer hat gleich sechzehn? Gundermann ist erst geadelt, und wenn er nicht Glück gehabt hätte, so wär' es gar nichts. Er hat nämlich klein angesangen, bloß mit einer Mühle; jetzt haben wir nun freilich sieben, immer den Rhin entlang, lauter Schneidemühlen, Bohlen und Bretter, einzöllig, zweizöllig und noch mehr. Und die Berliner Dielen, die sind fast alle von uns."
„Aber, meine gnädigste Frau, das muß Ihnen doch ein Hochgefühl geben. Alle Berliner Dielen! Und dieser Nhinfluß, von dem Sie sprechen, der vielleicht eine ganze Seenkette verbindet, und woran mutmaßlich eine reizende Villa liegt! Und darin hören Sie Tag und Nacht, wie nebenan in der Mühle die Säge geht, und die dicht herumstehenden Bäume bewegen sich leise. Mitunter natürlich ist auch ein Sturm. Und Sie haben eine Pony-Equi- page für Ihre Kinder. Ich darf doch annehmcn, daß Sie Kinder habend Wenn man so abgeschieden lebt und so beständig aufeinander angewiesen ist..."
„Es ist, wie Sie sagen, Herr Hauptmann; ich habe Kinder, aber schon erwachsen, beinahe alle, denn ich habe mich jung verheiratet. Ja, Herr von Czako, man ist auch einmal jung gewesen. Und es ist ein Glück, daß ich die Kinder habe. Sonst ist kein Mensch da, mit dem man ein gebildetes Gespräch führen kann. Mein Mann hat seine Politik und möchte sich wählen lassen, aber es wird nichts, und wenn ich die Journale bringe, nicht mal die Bilder sieht er sich an. Und die Geschichten, sagt er, seien bloß dummes Zeug und bloß Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie. Seine Mühlen, was ich übrigens recht und billig finde, sind ihm lieber."
„Aber Sie müssen doch viele Menschen um sich herum haben, schon in Ihrer Wirtschaft."
„Ja, die Hab' ich, und die Mamsells, die man so kriegt, ja, ein paar Wochen geht cs; aber dann bändeln sie gleich an, am liebsten mit 'neu: Volontär, wir haben nämlich auch Volontärs in der Mühlenbranche. Und die meisten sind aus ganz gutem Hause. Die jungen Menschen passen aber nicht aus, und da hat man's denn, und immer gleich Knall und Fall. All' das ist doch traurig, und mitunter ist es auch so, daß man sich eigentlich schämen muß."
Czako seufzte. „Mir ein Greuel, all dergleichen. Aber ich weiß vom Manöver her, was alles vorkommt. Und mit einer Schläue. . . nichts schlauer, als verliebte Menschen. Ach, das ist ein Kapitel, womit man nicht fertig wird. Aber Sie sagten Linienstraße, meine Gnädigste. Welche Nummer denn? Ich kenne da beinahe jedes Haus, kleine, nette Häuser, immer bloß Bel-Etage, höchstens mal ein Oeil de Boenf."