Heft 
(1897) 06
Seite
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brauchen mir übrigens nicht zuzustimmen, denn Sie sind noch im Dienst."

Bitte, bitte," sagte Czako.

Sehr, sehr anders ging das Gespräch an der entgegengesetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienstlich oder außerdienstlich anfs Land kam, immer eine Neigung spürte, sozialen Fragen nach­zuhängen und beispielsweise jedesmal mit Vorliebe daraus aus war, an das Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe geborenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl, teils der Sittlichkeit zu gute kommende Betrachtungen Zu knüpsen, hatte sich auch heute wieder in einem mit Pastor Lorenzen an- geknüpften Zwiegespräch seinem Lieblingsthema An­gewandt, war aber, weil Dubslav durch eine Zwischen­frage den Faden abschnitt, in die Lage gekommen, sich vorübergehend statt mit Lorenzeu mit Katzler beschäftigen zu müssen, von dem er zufällig in Er­fahrung gebracht hatte, daß er früher Feldjäger- gewesen sei. Das gab ihm eine gute Gesprächs­anknüpfung und ließ ihn fragen, ob der Herr Ober­förster nicht mitunter schmerzlich den zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart liegenden Gegen­satz empfinde, sein früherer Feldjägerberus habe ihn in die weite Welt hinausgesührt, während er­setzt stabiliert sei.Stabilität" zählte zu Rex' Licb- lingswendungen und entstammte jenem sorglich aus­gewählten Fremdwörterschatz, den er sich er hatte diese Dinge zu bearbeiten gehabt aus den Er­lassen König Friedrich Wilhelms I. angeeignet und mit in sein Aktendentsch herübergenommen hatte. Katzler, ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Gebiete der Konversation doch nur von oft unansreichender Orientiernngssähigkeit, fand sich in des Ministerial- assessors etwas gedrechseltem Gedankengange nicht gleich zurecht und war froh, als ihm der hellhörige, mittlerweile wieder frei gewordene Pastor in da­durch Nex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam.Ich glaube herauszuhören," sagte Lorenzen,daß Herr von Nex geneigt ist, dem Leben draußen in der Welt vor dem in unsrer stillen Grafschaft den Vorzug zu geben. Ich weiß aber nicht, ob wir ihm darin folgen können, ich nun schon gewiß nicht; aber auch unser Herr Oberförster wird mutmaßlich froh sein, seine vordem im Eiseubahncoups verbrachten Feld­jägertage hinter sich zu haben. Es heißt freilich ,im engen Kreis verengert sich der Sinnst und in den meisten Fällen mag es zutreffen. Aber doch nicht immer, und jedenfalls hat das Weltfremde be­stimmte große Vorzüge."

Sie sprechen mir durchaus aus der Seele, Herr- Pastor Lorenzen," sagte Rex.Wenn es einen Augenblick vielleicht so klang, als ob der ,Globe­trotter' mein Ideal sei, so bin ich sehr geneigt, mit mir handeln zu lassen. Aber etwas hat es doch mit dem ,Anch-dranßen-zn-Hanse-sein' aus sich, und wenn Sie trotzdem für Einsamkeit und Stille plai- dieren, so plaidieren Sie Wohl in eigner Sache. Tenn wie sich der Herr Oberförster aus der Welt zurückgezogen hat, so auch Sie. Sie sind beide darin einem Herzenszuge gefolgt, und vielleicht, daß meine persönliche Neigung dieselben Wege ginge.

Dennoch wird es andre geben, die von einem solchen Sichzurückziehen aus der Welt nichts wissen wollen, die vielleicht umgekehrt, statt im Leben mit dem einzelnen, in der Beschäftigung mit einer Vielheit ihre Bestimmung finden und in der Hingabe daran ihre Kräfte wachsen fühlen. Ich glaube durch Freund Stechlin zu wissen, welche Fragen Sie seit lange beschäftigen, und bitte, Sie dazu beglückwünschen zu dürfen. Sie. stehen in der christlich-sozialen Be­wegung. Aber nehmen Sie deren Schöpfer, der Ihnen persönlich vielleicht nahe steht: er und sein Thun sprechen für mich; sein Feld ist nicht einzelne Seelsorge, nicht eine Landgemeinde, sondern eine Weltstadt. Stöckers Auftreten und seine Mission sind eine Widerlegung davon, daß das Schaffen in: Engen und Umgrenzten notwendig das Segens­reichere sein müsse."

Lorenzen war daran gewöhnt, sei's zu Lob, sei's zu Tadel, sich mit dem ebenso gefeierten wie befehdeten Hofprediger in Parallele gestellt zu sehen, und empfand dies jedesmal als eine Huldigung. Aber Zugleich empfand er dabei den tiefen Unterschied, der zwischen dem großen Agitator und seiner stillen Weise lag. Ich glaube, Herr von Rex," nahm er das Wort, daß Sie den ,Vater der Berliner Bewegung' sehr- richtig geschildert haben, vielleicht sogar zur Zufrieden­heit des Geschilderten selbst, was, wie man sagt, nicht eben leicht sein soll. Er hat viel erreicht und steht an­scheinend in einem Siegeszeichen; hüben und drüben hat er Wurzel geschlagen und sieht sich geliebt und ge­huldigt, nicht nur seitens derer, denen er mildthätig die Schuhe schneidet, sondern er ist ebenso gelitten (und fast noch mehr) bei jenen, denen er das Leder zu den Schuhen nimmt. Er hat schon so viele Bei­namen, und der des heiligen Krispin wäre nicht der schlimmste. Viele wird es geben, die sein Thun in: guten Sinne beneiden. Aber ich fürchte, der Tag ist nahe, wo der so Ruhige und zugleich so Blutige, der seine Ziele so weit steckte, sich in die Enge des Daseins zurücksehnen wird. Er besitzt, wenn ich recht berichtet Lin, ein kleines Bauerngut irgendwo in Franken, und wohl möglich, ja, mir persönlich geradezu wahrscheinlich, daß ihm an jener stillen Stelle früher oder später ein echteres Glück erblüht, als er jetzt hat. Es heißt wohl, ,Gehet hin und lehret alle Heiden', aber schöner ist es doch, wenn die Welt, uns suchend, an uns herankommt. Und die Welt kommt schon, wenn die richtige Per­sönlichkeit sich ihr aufthut. Da ist dieser Wöris- hofener Pfarrer er sucht nicht die Menschen, die Menschen suchen ihn. Und wenn sie kommen, so heilt er sie, heilt sie mit dem Einfachsten und Natür­lichsten. Uebertragen Sie das von: Aeußern aufs Innere, so haben Sie mein Ideal. Einen Brunnen graben just an der armen kleinen Stelle, wo man gerade steht. Innere Mission und Zwar in nächster Nähe, sei's mit dem Alten, sei's mit etwas Neuem."

Also mit dem Neuen," sagte Woldemar und reichte seinem alten Lehrer die Hand.

Aber dieser antwortete:Nicht so ganz un­bedingt. Mit dem Alten, soweit es geht, mit dem Neuen, soweit es muß."