Heft 
(1897) 10
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Stechlin.

so viel und musizieren so viel und malen so viel. Und haben eigentlich kein Talent."

Vielleicht. Aber davon dürfen Sie jetzt nicht sprechen. Bloß das eine: schön oder nicht schön?"

Schön? Nnn denn piein'. Alles wirkt wie tot. Und was wie tot wirkt, wenn es nicht der Tod selbst ist, ist nicht schön. Im übrigen, ich sehe, daß ich nur noch zehn Minuten habe. Wie gerne war' ich an einer Stelle geblieben, wo man so vielem Verständnis und Entgegenkommen begegnet. Herr von Stechlin, ich erlaube mir, Ihnen morgen eine Radierung nach einem Bilde des richtigen englischen Millais zu schicken. Dragonerkaserne, Hallesches Thor, ich weiß. Uebermorgen lass' ich die Mappe mit dem Bilde wieder abholen. Name: ,SirJsumbrasst Merkwürdige Schöpfung. Schade, daß er, der Vater des Präraffaelitentums, dabei nicht aus­hielt. Aber nicht zu verwundern. Nichts hält jetzt aus, und mit nächstem werden wir die Berühmtheiten nach Tagen zählen. Tizian entzückte noch mit hun­dert; wer jetzt fünf Jahre gemalt hat, ist altes Eisen. Gnädigste Gräfin, Comtesse Armgard... Darf ich bitten, mich meinem Gönner, Ihrem Herrn Vater, dem Grasen, angelegentlichst empfehlen zu wollen."

*

Woldemar, die Honneurs des Hauses machend, was er bei seiner intimen Stellung durfte, hatte den Professor bis ans den Korridor geleitet und ihm hier den Künstlermantel umgegeben, den er, in un­verändertem Schritt, seit seinen Nomtagen trug. Es war ein Nadmantel. Dazu ein Kalabreser von Seidenfilz.

Er ist doch auf seine Weise nicht übel," sagte Woldemar, als er bei den Damen wieder eintrat. An einem starken Selbstbewußtsein, dran er wohl leidet, darf man heutzutage nicht Anstoß nehmen, vorausgesetzt, daß die Thatsachen es einigermaßen rechtfertigen."

Ein starkes Selbstbewußtsein ist nie gerecht­fertigt," sagte Armgard,Bismarck vielleicht aus­genommen. Das heißt also in jedem Jahrhundert einer."

Wonach Cujacius günstigstenfalls der Zweite wäre," lachte Woldemar.Wie steht es eigentlich mit ihm? Ich habe nie von ihm gehört, was aber nicht viel besagen will, namentlich nachdem ich Millais und Millet glücklich verwechselt habe. Nun geht alles so in einen: hin. Ist er ein Mann, den ich eigentlich kennen müßte?"

Das hängt ganz davon ab," sagte Melusine, wie Sie sich einschätzen. Haben Sie den Ehrgeiz, nicht bloß den eigentlichen alten Giotto von Florenz zu kennen, sondern auch all die Giottinos, die neuerdings in Ostelbieu von Rittergut zu Rittergut ziehn, um für Kunst und Christentum ein übriges zu leisten, so müssen Sie Cujaeius freilich kennen. Er hat da die große Lieferung; ist übrigens lange nicht der Schlimmste. Selbst seine Gegner, und er hat deren ein gerüttelt und geschüttelt Maß, gestehen ihm ein hübsches Talent zu, nur verdirbt er alles durch seinen Dünkel. Und so hat er denn keine

Freunde, trotzdem er beständig von Richtungsgenossen spricht und auch heute wieder sprach. Gerade diese Richtungsgenosscn aber hat er aufs entschiedenste gegen sich, was übrigens nicht bloß an ihm, sondern auch an den Genossen liegt. Gerade die, die dasselbe Ziel verfolgen, bekämpfen sich immer am heftigsten untereinander, vor allem auf christlichem Gebiet, auch wenn es sich bloß um christliche Kunst handelt. Zu des Professors Lieblingswendungen zählt die, daß er sin der Tradition stehest was ihm indessen nur Spott und Achselzucken einträgt. Einer seiner Nichtungsgenossen, als ob er mich persönlich dafür hätte verantwortlich machen wollen, fragte mich erst neulich voll ironischer Teilnahme: ,Steht denn Ihr Cujacius immer noch in der Tradition?- Und als ich ihm antwortete: ,Sie spötteln darüber, hat er­kenn aber keine?' bemerkte dieser Spezialkollege: ,Gewiß hat er eine Tradition, und das ist seine eigne. Seit fünfundvierzig Jahren malt er immer denselben Christus und bereist als Kunst-, aber fast auch schon als Kirchen-Fanatiker, die ihm unter­stellten Provinzen, so daß man betreffs seiner bei­nah' sagen kann: ,Es predigt sein Christus aller­orten, ist aber drum nicht schöner geworden'."

Melusine, du darfst so nicht weiter sprechen," unterbrach hier Armgard, dann wie zur Entschuldi­gung ihrer selbst hinzusetzend:Sie wissen, Herr von Stechlin, wie's hier steht, und daß ich meine ältere Schwester, die mich erzogen hat, hoffentlich gut, jetzt nachträglich mitunter meinerseits erziehen muß." Dabei reichte sie Melusine die Hand. Eben erst ist er fort, der arme Professor, und jetzt schon so schlechte Nachrede. Welchen Trost soll sich unser Freund Stechlin daraus schöpfen? Er wird denken: heute dir, morgen mir."

Du sollst in allem recht haben, Armgard, nur nicht in diesem letzten. Schließlich weiß doch jeder, was er gilt, ob er geliebt wird oder nicht, vorausgesetzt, daß er ein Gentleman und nicht ein Gigerl ist. Aber Gentleman. Da Hab' ich wieder die Einhake- Oese für England. Das Schönheitskapitel ist erledigt, war ohnehin nur Caprice. Von all dem andern aber, das schließlich doch wichtiger ist, wissen wir noch immer so gut wie gar nichts. Wie war es im Tower? Und Hab' ich recht behalten mit Traitors Gate?"

Nur in einem Punkt, Gräfin, in Ihrem Miß­trauen gegen meine Phantasie. Die versagte da total, wenn es nicht doch vielleicht an der Sache selbst, also an Traitors Gate, gelegen hat. Denn an einer andern Stelle könnt' ich mich meiner Phantasie beinah' berühmen und am meisten da, wo, wie mir übrigens nur zu begreiflich, auch Sie mit so viel Vorliebe verweilt haben."

Und welche Stelle war das?"

Waltham-Abbey."

Waltham-Abbey? Aber davon weiß ich ja gar nichts. Waltham-Abbey kenn' ich nicht, kaum dem Namen nach."

Und doch weiß ich bestimmt, daß mir Ihr Herr Papa gerade am Abend vor meiner Abreise sagte: das muß Melusine wissen; die weiß ja dort überall