Stechlin.
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Tage nach diesem ersten Wiedersehn waren Armgard und Waldemar Verlobte. Der alte Graf sah einen Wunsch erfüllt, den er seit lange gehegt, und Melusine küßte die Schwester mit einer Herzlichkeit, als ob sie selber die Glückliche wäre."
„Du gönnst ihn mir doch?"
„Ach, meine liebe Armgard," sagte Melusine, „wenn du wüßtest! Ich habe nur die Freude, du hast auch die Last."
An demselben Abende noch, wo die Verlobung stattgefunden hatte, schrieb Waldemar nach Stechlin und nach Wutz; der eine Brief war so wichtig, wie der andre, denn die Tante-Domina, deren Mißstimmung so gut wie gewiß war, mußte nach Möglichkeit versöhnlich gestimmt werden. Freilich blieb es fraglich, ob es glücken würde.
Zwei Tage später waren die Antwortbriefe da, von denen diesmal der Wutzer Brief über den Stechliner siegte, was einfach daran lag, daß Waldemar von Wutz her nur Ausstellungen, von Stechlin her nur Entzücken erwartet hatte. Das traf aber nun beides nicht zu. Was die Tante schrieb, war durchaus nicht so schlimm (sie beschränkte sich aus Wiederholung der schon mündlich von ihr ausgesprochenen Bedenken), und was der Alte schrieb, war nicht so gut oder doch wenigstens nicht so der Situation angepaßt, wie's Woldemar gewärtigte. Natürlich war es eine Beglückwünschung, aber doch mehr noch ein politischer Exkurs. Dubslav litt als Briefschreiber daran, gern bei Nebensächlichkeiten zu verweilen und gelegentlich über die Hauptsache weg- zusehn. Er schrieb:
„Mein lieber Woldemar. Die Würfel sind nun also gefallen (früher hieß es atoa juota est, aber so altmodisch bin ich denn doch nicht mehr), und da zwei Sechsen obenauf liegen, kann ich nur sagen: ich gratuliere. Nach dem Gespräch tibrigens, das ich am dritten Oktober morgens mit Dir führte, während wir um unfern Stechliner Springbrunnen herum- gingeu (seit drei Tagen springt er nicht mehr; wahrscheinlich werden die Mäuse das Röhrenwerk angeknabbert haben) — seit jenem Oktobermorgen Hab' ich so was erwartet, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Du wirst nun also Carriere machen, glücklicherweise zunächst durch Dich selbst und dann allerdings auch durch Deine Braut und deren Familie. Graf Barby — mit Rübenboden im Magde- burgischen und mit Mineralquellen im Graubündi- schen — höher hinaus geht es kaum, Du müßtest Dich denn bis ins Katzlersche verirren. Armgard ist auch schon viel, aber Ermyntrud doch mehr und für den armen Katzler jedenfalls zu viel. Ja, mein lieber Woldemar, Du kommst nun also zu Vermögen und Einfluß und kannst die Stechlins wieder 'raufbringen (gestern war Baruch Hirschfeld hier und in allem willfährig; die Juden sind nicht so schlimm, wie manche meinen), und wenn Du dann hier einziehst und statt der alten Kate so was im Chateaustil bauen läßt und vielleicht sogar eine Fasanenzucht anlegst, so daß erst der Post-Stephan und dann der Kaiser selbst bei Dir zu Besuch kommen kann, ja,
da kannst Du möglicherweise selbst das erreichen, was Dein alter Vater, weil Feilenhauer Torgelow mächtiger war als er, nicht erreichen konnte: den Einzug ins Reichshaus mit dem freien Blick aus Kroll. Mehr kann ich in diesem Augenblick nicht sagen, auch meine Freude nicht höher spannen, und in diesen: relativen Ruhigbleiben empfind' ich zum erstenmal eine gewisse Familienähnlichkeit mit meiner Schwester Adelheid, deren Glaubensbekenntnis im letzten daraus hinausläuft: Kleinadel über Hochadel, Junker über Graf. Ja, ich fühle. Deinen Grässlichkeiten gegenüber, wie sich der Junker ein bißchen in mir regt. Die reichen
und vornehmen Herrn sind doch immer ganz eigne Leute, die wohl Fühlung mit uns haben, unter Umständen auch suchen, aber das Fühlunghalten nach oben ist ihnen schließlich doch viel wichtiger. Es heißt wohl immer „wir Kleinen, wir machten alles und könnten alles," aber bei Lichte besehn, ist es bloß das alte: „Du glaubst zu schieben und Du wirst geschoben." Glaube mir, Woldemar, wir werden geschoben und sind bloß Sturmbock. Immer dieselbe Geschichte, wie mit Protz und Proletarier. Die
Proletarier — wie sie noch echt waren, jetzt mag
es wohl anders damit sein — waren auch bloß
immer dazu da, die Kastanien aus dem Feuer zu holen; aber ging es dann schief, dann wanderte Bruder Habenichts nach Spandau und Bruder Protz legte sich zu Bett. Und mit Hochadel und Kleinadel ist es beinah' ebenso. Natürlich heiratet eine Ermyntrud mal einen Katzler, aber eigentlich äugt sie doch mehr nach einem Stuart oder Wasa, wenn es deren noch giebt. Wird aber wohl nich. Entschuldige diesen Herzenserguß, dem Du nicht mehr Gewicht beilegen mußt, als ihm zukommt. Es kam mir das alles so von ungefähr in die Feder, weil ich grade heute wieder gelesen habe, wie man einen von uns, der durch eine Jppe-Büchsenstein hätte gerettet werden können, schändlich im Stich gelassen hat. Jppe-Büchsenstein ist natürlich nur Begriff. Alles in allem: ich habe zu Dir das Vertrauen, daß Du richtig gewählt hast, und daß man Dich nicht im Stiche lassen wird. Außerdem, ein richtiger Märker hat Augen im Kopf und is beinah' so Helle wie 'n Sachse.
Wie immer Dein alter Vater Dubslav von Stechlin."
*
Es war Ende November, als Woldemar diesen Brief erhielt. Er überwand ihn rasch, und am dritten Tag las er alles schon mit einer gewissen Freudigkeit. Ganz der Alte; jede Zeile voll Liebe, voll Güte, voll Schnurrigkeiten. Und eben diese Schnurren, trafen sie nicht eigentlich den Nagel auf den Kopf? Sicherlich. Was aber das beste war, war das: so sehr das alles passen mochte, nur auf die Barbys paßte so gut wie nichts davon; die waren doch anders, die suchten nicht Fühlung nach oben und nicht nach unten, die marchandierten nicht mit links und nicht mit rechts, die waren nur Menschen, und daß sie nur das sein wollten, das war ihr Glück und zugleich ihr Hochgefühl. Woldemar