Heft 
(1897) 10
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gewöhnt sind, daß einer in einem fort was Feines sagt, ja, was sollen die mit unserm Lorenzen? Er ist ein Schweiger."

Aber er schweigt doch immer noch besser, als die Gundermannsche red't."

Das is richtig. Also Lorenzen, und viel­leicht, wenn das Kind sich wieder erholt, auch Katzler. Ein Schelm giebt mehr, als er hat. Und dann, Engelke, solche Damen, die überall 'rum in der Welt waren, da weiß man nie, wie der Hase läuft. Es ist möglich, daß sie sich für Krippenstapel inter­essieren. Oder höre, da fällt mir noch was ein. Was meinst du zu Koseleger?"

Den hatten wir ja noch nie."

Nein. Aber Not lehrt beten. Ich mache mir eigentlich nicht viel aus ihm, indessen is und bleibt er doch immer ein Superintendent, und das klingt nach was. Und dann war er ja mit 'ner russischen Großfürstin aus Reisen, und solche Großfürstin is eigentlich noch mehr als 'ne Prinzessin. Also sprich mal mit Klnckhuhn, der soll 'nen Boten schicken. Ich schreibe gleich 'ne Karte."

Katzler sagte ab oder ließ es doch unbestimmt, ! ob er kommen könne, Koseleger dagegen, was ein Glück war, nahm an, und auch Schwester Adelheid ! antwortete durch den Boten, den Dnbslav geschickt hatte:daß sie den zweiten Feiertag in Stechlin ein- treffen und so weit wie dienlich und schicklich nach dem Rechten sehn würde". Adelheid war in ihrer i Art eine gute Wirtin und stammte noch aus den alten Zeiten, wo die Damen bis ZumSchlachten" undAal-abziehen" herunter alles lernten und alles konnten. Also nach dieser Seite hin entschlug sich Dnbslav jeder Befürchtung. Aber wenn er sich dann mit einem Male vergegenwärtigte, daß es seiner Schwester vielleicht in den Sinn kommen könne, sich aus ihren Uradel oder auf die Vorzüge sechshundert­jähriger märkischerEingesessenheit" zu besinnen, so fiel alles, was er sich in dem mit Engelke geführten Gespräch an Trost zugesprochen hatte, doch wieder von ihm ab. Ihm bangte vor der Möglichkeit einer seitens seiner Schwesteraufgesetzten hohen Miene" wie vor einem Gespenst, und desgleichen vor der Kostüm­srage. Wohl war er sich, ob er nun seine rote Landstandsunisorm oder seinen hochkragigen schwarzen Frack anlegte, seiner eignen altmodischen Erscheinung voll bewußt, aber nebenher, was seine Person an­ging, doch auch wieder einer gewissen Patriar- chalität. Einen gleichen Trost könnt' er dem äußeren Menschen seiner Schwester Adelheid nicht entnehmen. Er wußte genau, wie sie kommen würde: schwarzes Seidenkleid, Rüsche mit kleinen Knöpselchen oben und die Siebenkursürstenbrosche. Was ihn aber am meisten ängstigte, war der Moment nach Tisch, wo sie, wenn sie sich einigermaßen behaglich Zu fühlen ansing, ihre Wutzer Gesamtchaussure auf das Kamingitter zu stellen und die Wärme von unten her einzusaugen pflegte.

-I-

Gleich nach sieben trafen Woldemar und die Barbvschen Damen auf dem Granseer Bahnhof ein

und fanden Martin und den Stcchlinschen Schlitten vor, letzterer insoweit ein Prachtstück, als er ein richtiges Bärenfell hatte, während andrerseits Geläut und Schneedecken und fast auch die Pferde mehr oder weniger zu wünschen übrig ließen. Aber Melu­sine sah nichts davon und Armgard noch weniger. Es war eine reizende Fahrt; die Lust stand, und am stahlblauen Himmel oben blinkten die Sterne. So ging es zwischen den eingeschneiten Feldern hin, und wenn ihre Kappen und Hüte hier und dort die herniederhängenden Zweige streiften, sielen die Flocken in ihren Schlitten. In den Dörfern war überall noch Leben, und das Anschlägen der Hunde, das vom nächsten Dorf her beantwortet wurde, klang übers Feld. Alle drei Schlitteninsassen waren glück­lich, und ohne daß sie viel gesprochen hätten, bogen sie zuletzt, eine weite Kurve machend, in die Kastanien­allee ein, die sie nun rasch, über Dorfplatz und Brücke fort, bis auf die Rampe von Schloß Stechlin führte. Dnbslav und Engelke standen hier schon im Portal und waren den Damen beim Anssteigen behilflich. Beim Eintritt in den großen Flur war für diese das erste, was sie sahen, ein mächtiger, von der Decke herabhängender Mistelbnsch; zugleich schlug die Treppenuhr, die mit ihrem Mann mit der Hippe wie verwundert und beinah' verdrießlich auf die fremden Gäste uiedersah. Viele Lichter brannten, aber es wirkte trotzdem alles wie dunkel. Woldemar war ein wenig befangen, Dnbslav auch. Und nun wollte Armgard dem Alten die Hand küssen. Aber das gab diesein seinen Ton und seine gute Laune wieder. Umgekehrt wird ein Schuh draus."

Und zuletzt ein Pantoffel," lachte Melusine.

Das ist eine Dame und ein Frauenzimmer dazu," sagte sich Dnbslav still in seinem alten Herzen, als er jetzt Melusine den Arm bot, um sie vom Flur her in den Salon zu führen.So müssen Weiber sein."

Auch Adelheid mühte sich, Entgegenkommen zu zeigen, aber sie war wie gelähmt. Das Leichte, das Heitere, das Sprunghafte, das die junge Gräfin in jedem Wort zeigte, das alles war ihr eine fremde Welt, und daß ihr eine innere Stimme dabei beständig zurannte:Ja, dies Leichte, das du nicht hast, das ist das Leben, und das Schwere, das du hast, das ist eben das Gegenteil davon," das verdroß sie. Denn trotzdem sie beständig Demut predigte, hatte sie doch nicht gelernt, sich in Demut zu überwinden. So war denn alles, was über ihre Lippen kam, mehr oder weniger verzerrt, ein Versuch zu Freund­lichkeiten, die schließlich in Herbigkeiten ausliefen. Lorenzen, der erschienen war, half nach Möglichkeit ans, aber er war kein Damenmann, noch weniger­em Causeur, und so kam es denn, daß Dnbslav mit einer Art Sehnsucht nach dem Oberförster ans­blickte, trotzdem er doch seit Mittag wußte, daß er nicht kommen würde. Das jüngste Töchterchen war nämlich gestorben und sollte den andern Tag schon aus einem kleinen, von Weihnachtsbäumen umstellten Privatsriedhofe, den sich Katzler zwischen Garten und Wald angelegt hatte, begraben werden. Es war das vierte Töchterchen in der Reihe; jede lag