Stechlin.
II
in einer Art Gartenbeet und hatte, wie ein Samenkorn, dessen Aufgehen man erwartet, ein Holztäfelchen neben sich, drauf der Name stand. Als Dubslavs Einladung eingetroffen war, war Ermyntrud, wie gewöhnlich, in Katzler gedrungen, der Einladung zu folgen. „Ich wünsche nicht, daß du dich deinen gesellschaftlichen Pflichten entziehst, auch heute nicht, trotz des Ernstes der Stunde. Gesellschaftlichkeiten sind auch Pflichten. Und die Barbyschen Damen — ich erinnere mich der Familie — werden gerade wegen der Trauer, in der wir stehn, in deinem Erscheinen eine besondere Freundlichkeit sehn. Und das ist genau das, was ich wünsche. Denn die Comtesse wird über kurz oder lang unsre nächste Nachbarin sein." Aber Katzler war fest geblieben und hatte betont, daß es Höheres gäbe als Gesellschaftlichkeiten, und Faß er durchaus wünsche, daß dies gezeigt werde. Der Prinzessin Auge hatte während dieser Worte hoheitsvoll ans Katzler geruht, mit einem Ausdruck, der sagen zu wollen schien: „Ich weiß, daß ich meine Hand keinem Unwürdigen gereicht habe."
Katzler also fehlte. Doch auch Koseleger, trotz seiner Zusage, war noch nicht da, so daß Dubslav in die sonderbare Lage kam, sich den Quaden- Hennersdorfer, aus dem er sich eigentlich nichts machte, herbeizuwünschen. Endlich aber fuhr Koseleger vor, sein etwas verspätetes Kommen mit Tienstlichkeiten entschuldigend. Unmittelbar danach ging man zu Tisch, und ein Gespräch leitete sich ein. Zunächst wurde von der Nordbahn gesprochen, die, seit der neuen Kopenhagener Linie, den ihr von früher her anhaftenden Schreckensnamen siegreich überwunden habe. Jetzt heiße sie die „Apfelsinenbahn", was doch kaum noch übertroffen werden könne. Dann lenkte man auf den alten Grafen und seine Besitzungen im Granbündischen über, endlich aber auf den langen Aufenthalt der Familie drüben in England, wo beide Töchter geboren seien.
Ties Gespräch war noch lange nicht erledigt, als man sich von Tisch erhob, und so kam es, daß sich das Plaudern über eben dasselbe Thema beim Kaffee, der im Gartensalon und zwar in einem .Halbzirkel um den Kamin herum eingenommen wurde, sortsetzte. Dubslav sprach sein Bedauern aus, daß ihn in seiner Jugend der Dienst und später die Verhältnisse daran gehindert hätten, England kennen zu lernen; es sei nun doch mal das vorbildliche Land, eigentlich für alle Parteien, auch für die Konservativen, die dort ihr Ideal mindestens ebenso gut verwirklicht fänden wie die Liberalen. Lorenzen stimmte lebhaft zu, während andrerseits die Domina ziemlich deutliche Zeichen von Ungeduld gab. England war ihr kein erfreuliches Gesprächsthema, was selbstverständlich ihren Bruder nicht hinderte, dabei zu verharren.
„Ich möchte mich," fuhr Dubslav fort, „iu dieser Angelegenheit an unsern Herrn Superintendenten wenden dürfen. Waren Sie drüben?"
„Leider nein, Herr von Stechlin, ich war nicht drüben, sehr zu meinem Bedauern. Und ich hätt' es so leicht haben können. Aber es ist immer wieder die alte Geschichte: was man in eilt paar
Stunden und mitunter in ein paar Minuten erreichen kann, das verschiebt man, eben weil es so nah' ist, und mit einemmal ist es zu spät. Ich war Jahr und Tag im Haag, und von da nach Dover hinüber war nicht viel mehr als von Treptow nach Stralau. Trotzdem unterblieb es, oder richtiger gerade deshalb. Daß ich den Tunnel oder den Tower nicht gesehn, das könnt' ich mir verzeihn. Aber das Leben drüben! Wenn irgendwo das vielcitierte Wort von dem „iu einem Tage mehr gewinnen, als in des Jahres Einerlei" hinpaßt, so da drüben. Alles modern und zugleich alles alt, eingewurzelt, stabilisiert. Es steht einzig da; mehr als irgend ein andres Land ist es ein Produkt der Zivilisation, so sehr, daß die Neigungen der Menschen kaum noch dem Gesetze der Natur folgen, sondern nur noch dem einer verfeinerten Sitte."
Die Domina fühlte sich von dem allein mehr und mehr unangenehm berührt, besonders als sie sah, daß Melusine, zu dein was Koseleger ausführte, beständig znstimmend nickte. Schließlich wnrd' es ihr zu viel. „Alles, was ich da so höre," sagte sie, „kann mich für dieses Volk nicht einnehmeu, und weil sie auf allen Seiten von Wasser umgeben sind, ist alles so kalt und feucht, und die Frauen, bis in die höchsteit Stände hinaus, sind beinah' immer in einem Zustand, den ich hier nicht bei Namen neunen mag. So wenigstens hat man mir erzählt. Und wenn es dann neblig ist, dann kriegen sie das, was sie den Spleen nennen, und fallen zu Hunderten ins Wasser, und keiner weiß, wo sie geblieben sind. Denit, wie mir unser Rentmeister Fix, der drüben war, aufs Wort versichert hat, sie stehen in keinem Buch und haben auch nicht einmal das, was wir Einwohnermelde-Amt nennen, so daß man beinah' sagen kann, sie sind so gut wie gar nicht da. Und wie sie kochen und braten! Alles fast noch blutig, besonders das, was wir hier ,englische Beefsteaks'- nennen. Und kann auch nicht anders sein, weil sie so viel mit Wilden umgehn und gar keine Gelegenheit haben, sich einer feineren Gesittung anzuschließen."
Koseleger und Melusine wechselten beständig Blicke. Die Domina aber sah nichts davon und fuhr unentwegt fort: „ Fix ist ein guter Beobachter, auch von Sittenzuständen, und einer ihrer Könige, worüber ich auch schon als Mädchen einen Aufsatz machen mußte, hat fünf Frauen gehabt, meist Hofdamen. Und eine hat er köpfen lassen und eine hat er wieder nach Hanse geschickt. Und war noch dazu eine Deutsche. Und sie sollen auch keinen eigentlichen Adel mehr haben, weil mal ein Krieg war, drin sie sich umschichtig enthaupteten, und als alle weg waren, haben sie gewöhnliche Leute 'rangezogen und ihnen die alten Namen gegeben, und wenn man denkt, es ist ein Graf, so ist es ein Bäcker oder höchstens ein Bierbrauer. Aber viel Geld sollen sie haben, und ihre Schiffe sollen gut sein und dauerhaft und auch sehr sauber, fast schon wie holländisch; aber in ihrem Glauben sind sie zersplittert und fangen auch schon wieder an katholisch zu werden."
Der alte Dubslav, als die Schwester mit ihrem Vortrag über England einsetzte, hatte sich mit einen: