Heft 
(1897) 10
Seite
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Melier Land und Weer.

Genie, wohl aber von Begeisterung durchleuchtet, von dem Glauben an die höhere Macht des Geistigen, des Wissens und der Freiheit."

Gut Lorenzen. Aber weiter."

Und all das, was ich da so hergezählt, um­faßte zeitlich ein Jahrhundert. Da waren wir den andern voraus, mitunter geistig und moralisch ge­wiß. Aber der ,Xon 8oli eeüo-Adler' mit seinem Vlitzbnndel in den Fängen, er blitzt nicht mehr, und die Begeisterung ist tot. Eine rückläufige Bewegung ist da, längst Abgestorbenes, ich muß es wiederholen, soll neu erblühn. Es thut es nicht. In gewissem Sinne freilich kehrt alles einmal wieder, aber bei dieser Wiederkehr werden Jahrtausende übersprungen; wir können die römischen Kaiserzeiten, Gutes und Schlechtes, wieder haben, aber nicht das spanische Nohr aus dem Tabakskolleginm und nicht einmal den Krückstock von Sanssouci. Damit ist es vorbei. Und gut, daß es so ist. Was einmal Fortschritt war, ist längst Rückschritt geworden. Aus der mo­dernen Geschichte, der eigentlichen, der lesenswerten, verschwinden die Bataillen und die Bataillone (trotz­dem sie sich beständig vermehren), und wenn sie nicht selbst verschwinden, so schwindet doch das Interesse daran. Und mit dem Interesse das Prestige. An ihre Stelle treten Erfinder und Entdecker, und James Watt und Siemens bedeuten uns mehr als du Guesclin und Bayard. Das Heldische hat nicht direkt abgewirtschaftet und wird noch lange nicht abgewirtschaftet haben, aber sein Kurs hat nun mal seine besondere Höhe verloren, und anstatt sich in diese Thatsache zu finden, versucht es unser Regime, dem Niedersteigenden eine künstliche Hausse zu geben."

Es ist, wie Sie sagen. Aber gegen wen richtet sich's? Sie sprachen von ,Regime'. Wer ist dies Regime? Mensch oder Ding? Ist es die von alter Zeit her übernommene Maschine, deren Räderwerk tot weiterklappert, oder ist es Der, der an der Maschine steht? Oder endlich ist es eine bestimmte abgegrenzte Vielheit, die die Hand des Mannes an der Maschine zu bestimmen, zu richten trachtet? In allem, was Sie sagen, klingt eine sich auslehnende Stimme. Sind Sie gegen den Adel? Stehen Sie gegen die.alten Familien?'"

Zunächst: nein. Ich liebe Hab' auch Ur- sach' dazu die alten Familien und möchte beinah' glauben, jeder liebt sie. Die alten Familien sind immer noch populär, auch heute noch. Aber sie verthun und verschütten diese Sympathien, die doch jeder braucht, jeder Mensch und jeder Stand. Unsre alten Familien kranken durchgängig an der Vor­stellung Paß es ohne sie nicht gehe', was aber weit gefehlt ist, denn es geht sicher auch ohne sie; sie sind nicht mehr die Säule, die das Ganze trägt, sie sind das alte Stein- und Moosdach, das wohl noch lastet und drückt, aber gegen Unwetter nicht mehr schützen kann. Wohl möglich, daß aristokratische Tage mal wiederkehren vorläufig, wohin wir sehen, stehen wir im Zeichen einer demokratischen Welt­anschauung. Eine neue Zeit bricht an. Ich glaube, eine bessere und eine glücklichere. Aber wenn auch nicht eine alücklichere, so doch mindestens eine Zeit mit

mehr Sauerstoff in der Luft, eine Zeit, in der wir besser atmen können. Und je freier man atmet, je mehr lebt man. Was aber Woldemar angeht, meiner sind Sie sicher, Frau Gräfin. Bleibt freilich, als Hauptsaktor, noch die Comtesse. Für die müssen Sie die Bürgschaft übernehmen. Die Frauen be­stimmen schließlich doch alles."

So heißt es immer. Und wir sind eitel genug, es zu glauben. Aber das führt uns aus ganz neue Gebiete. Vorläufig ihre Hand Zur Besieglung. Und nun erlauben Sie mir, nach diesem unserm revolutionären Diskurse, zu den Hütten friedlicher Menschen zurückzukehren. Ich habe mich bei dem alten Herrn nur aus eine halbe Stunde beurlaubt und rechne darauf, daß Sie mich, wenn nicht bis ins ,Museum' selbst (das dem Programm nach be­sucht werden sollte), so doch wenigstens bis auf die Schloßrampe begleiten."

Lorenzen that, wie gewünscht, und auf dem Wege zum Schloß plauderten beide weiter, wenn auch über sehr andre Dinge.

Was ist es eigentlich mit diesem ,Museum'?" fragte Melusine;kann ich mir doch kaum was Rechtes darunter vorstellen. Eine alte Papptafel mit Inschrift hängt da schräg über der Saalthür; alles dicht neben meinem Schlafzimmer, lind ich habe mich etwas davor geängstigt."

Sehr mit Unrecht, gnädigste Gräfin. Die primitive Papptasel, die freilich verwunderlich genug aussieht, sollte wohl nur andeuten, daß es sich bei der ganzen Sache mehr um einen Scherz als um etwas Ernsthaftes handelt. Etwa wie bei Samm­lung von Meerschaumpfeisen und Tabaksdosen. Und Sie werden auch vorwiegend solchen Seltsamkeiten begegnen. Andrerseits aber ist es auch wieder ein richtiges historisches Museum, trotzdem es nur halb das geworden ist, worauf Herr von Stechlin an­fänglich aus war."

Und das war?"

Das war mehr etwas Groteskes. Es mögen nun wohl schon zwanzig Jahre sein, da las er eines Tages in der Zeitung von einem Engländer, der historische Thüren sammle und neuerdings sogar für eine enorme Summe, ich glaube es waren tausend Pfund, die Gefängnißthür erstanden habe, durch die Ludwig XVI. und dann später Danton und Robes- pierre zur Guillotinierung abgeführt worden seien. Und diese Notiz machte solchen Eindruck auf unfern liebenswürdigen Stechliner Schloßherrn, daß er auch solche historische Thürensammlung anzulegen beschloß. Er ist aber nicht weit damit gekommen und hat sich mit dem Küstriner Schloßfenster begnügen müssen, an dem Kronprinz Friedrich stand, als Katte zur Enthauptung vorübergesührt wurde. Doch auch das ist unsicher, ja, die meisten wollen nichts davon wissen. Nur Krippenstapel hält noch dran fest."

Krippenstapel?"

Ja. Der Name frappiert Sie. Das ist näm­lich unser Lehrer hier, Liebling des alten Herrn und sein Berater in derlei Dingen. Ter hat ihm denn auch das gegenwärtige Museum', das man als Abschlagszahlung aus die ,historischen Thüren'