Heft 
(1897) 10
Seite
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Ueöer Land und Meer.

Beglaubigung seitens des Mannes aus, der in diesen Dingen sozusagen doch auch mitzusprechen hat. Es sind aber fast ausschließlich Frauen, die für die geistige Ebenbürtigkeit in der Ehe plaidieren, und daher stellen sie jenesonderbaren Schwärmer" sogleich aus hohen Ruhmessockel und preisen sie als große Denker und Geisteshelden, die ihren Deduk­tionen beipflichten, mag auch ein noch so großes Quantum von Unklarheit und Widerspruch den Ausführungen dieser Eideshelser anhaften. Dunkelheiten und Widersprüche sind aber unvermeidlich, wenn man die Bedingungen des wahren Eheglücks aus Dingen zusammensetzt, die absolut unverein­bar sind, weil eines das andre ansschließt.

Deni Manne kann kein größeres Glück in der Ehe er­blühen, als wenn er nicht nur die treue und hingebende Liebe seiner Gattin genießt, sondern auch bei ihr herzliche Anteilnahme und Verständnis für seine Arbeit findet; aber er wäre ein Thor, wenn er darauf den bestimmenden Wert legte und die Sorge und Pflege der Mutter für die Kinder unterschätzte, wenn er statt dieser Pflege eine solche geistige Vertiefung in seine Arbeit wünschen sollte, daß sieganz dieselbe Stellung einnimmt wie der Mann".

Es wird Sache einer verbesserten Unterrichtsmethode sein, die Frau zu größerer geistiger Regsamkeit, zu klarem Denken und Anschauen zu erziehen, und bei dem Unterricht erwachsener Mädchen das ethische Element immer mehr in die Unterweisung zu verflechten. Dazu bietet sich in der Religionslehre, in der Geschichte, in der Erklärung unsrer Dichter und der Literaturgeschichte die ausgiebigste Ge­legenheit. In den beiden letzten Jahrzehnten ist auf diesem Gebiete unleugbar schon viel geschehein Ein frischer, be­lebender Odem hat in viele deutsche Mädchenschulen Ein­gang gefunden; die Tage des alten mechanischen Drills und Gedächtniskrams sind gezählt, und durch einen sorg­fältig gewählten und systematisch aufgebauten Lehrstoff sucht man das Heranwachsende Geschlecht an selbständige und prüfende Geistesarbeit zu gewöhnen. Die Furcht, das; eine straffere geistige Diseiplin und ernstere Schulung der Mädchen sie ihrem natürlichen Berufe entfremde und sie ungeeignet mache für Haus und Wirtschaft, ist immer mehr im Schwinden. Eine reiche, verständnisvolle Litteratur, die auf dem Grunde gesunder Beobachtung und reicher Er­fahrung ruht, hat jene Furcht verscheucht und für richtigere Anschauungen Platz geschaffen.

Thatsächlich lehrt die pädagogische Erfahrung, daß die geistig regeren und tüchtigeren Mädchen sich vielfach gern in wirtschaftlichen Dingen nützlich machen, und in dieser freudig geleisteten Bethätigung den gesunden und normalen Ausgleich gegen die Geistesarbeit der Schule suchen und finden. Die früher so viel bespöttelte und gefürchtete Spezies derBlaustrümpfe" ist im Verschwinden.

Wer auf eine ernste Geistesbildung der Frauen hin­arbeitet oder offenes Zeugnis für sie ablegt, der arbeitet zugleich an ihrem künftigen ehelichen Glück; wer von einer vollkommenen Ehe die volle geistige Ebenbürtigkeit als eine eonäitüo 8in6 guu non fordert, der verkennt das tiefere Wesen derselben lind trägt überdies nilpopuläre und schäd­liche Momente in die Frauenbewegung hinein. Man hat Grund, zu hoffen, daß die Zöglinge unsrer tüchtigen deutschen Schuleil ein wertvolles Material für die gedeihliche Förderung und Lösung der Frauenfrage bringen werden; sie werden sich voll unerfüllbaren Forderungen und utopistischen Hoff­nungen fern zu halten wissen.

Höfischer Spruch.

Aus deinem Unterschied von andern Entquillt für dich ein Leidensborn; Drum sei du Rose mit den Rosen, Wo Dornen sind, da sei du Dorn.

Vor fünfzig Jahren.

(Siehe auch die Abbildung Seite 4l.)

Welten kam der Frühling in so schöner, verheißungsfroher ^ Gestalt in das Land gezogen wie vor fünfzig Jahren. In den ersteil Märztageil des Jahres 1848 hätte man sich in Deutschland fast unter einen südlichen Himmelsstrich ver­setzt wähnen können, so mächtig regte es sich schon in der Natur mit Keim- und Knospentreiben, und so milde fielen die Sonnenstrahlen auf das mit dem ersten Grün sich schmückende Erdreich. Man atmete ordentlich auf nach dem, was in dieser Hinsicht die Vorjahre und namentlich das böse Notjahr 1846 gebracht hatten. Und wie durch die Natur, so schien auch durch das Menscheugemüt ein neuer, belebender Zug zu gehen: mail fühlte das Ent­weichen einer langen, beängstigenden Winternacht und sah dem Dämmer einer neuen Zeit entgegen, Sühne für ver­jährtes Unrecht lind in reichem Maße Entschädigung für alles das erwartend, was die Tage eines schwer lastenden Druckes über Volk und Land verhängt hatten. Die An­zahl derer, die den Ereignissen jener Zeit persönlich nahe­gestanden, ist heutzutage auf ein kleines Häuflein zusammen­geschmolzen, aber jedem, auf dessen Jugendtage auch nur ihr Wiederscheiu gefallen, wird der Schimmer ihrer hoff­nungsfreudigen Stimmung unauslöschlich in das Gemüt gebannt bleiben. Mail hat von deinVölkerfrühling" des achtundvierziger Jahres gesprochen und von andrer Seite dieser Bezeichnung höhnend die destollen" Jahres ent­gegengesetzt, und vielleicht entbehrt keines der beiden Worte einer gewissen Berechtigung. Toll mochte es bei den

Stürmen jener Tage zugehen, und mit gesunden und be­rechtigten Bestrebungen mischten sich zweifelsohne ungesunde und unberechtigte; doch wie wäre das anders möglich ge­wesen bei einer Bewegung, die, weil sie nicht von der Oberfläche ausging, die Elemente der Tiefe mit aufrütteln mußte? Aber im Grunde war die Bewegung gesund, auf ein berechtigtes Ziel gerichtet und von einem Idealismus getragen, wie er vielleicht nur noch einmal zur Zeit der Kreuzzugsbegeisterung dagewesen. Thatsächlich ging es wie ein Frühlingswehen durch das Gemüt des Voltes, und wenn bald auch rauhe Reifnächte die vorzeitig getriebenen Blüten knickten und das gewiß nicht von den Schlechtesten des Volkes erstrebte Einheits- und Freiheitswerk scheiterte, so erlosch das augefachte Feuer der Begeisterung doch nicht ganz, es glühte jahrzehntelang unter der Asche fort, mit seiner Wärme die Stimmung erhaltend, die dein deutschen Volke seinen Opfermut verlieh, als es in den letzten großen Krieg auszog, und unter deren Einwirkung nach erfochtenem Siege das Einigungswerk zu stände kam, wie es vor fünfzig Jahren angebahnt worden war.

Dem deutschen Volke waren die Opfer, die es während der Befreiungskriege zur napoleonischen Zeit an Gut und Blut dargebracht hatte, schlecht entlohnt worden. Die ihm gegebenen Zusagen wurden ihm zum Teil gar nicht und zum Teil nur kümmerlich erfüllt. Seine Geschichte von jener Zeit bis zum Jahre 1830 ist eine fortgesetzte Leidens­und Dnldensgeschichte, und wenn es durch den von der französischen Julirevolution gegebenen Anstoß auch zu ein­zelnen Lichtblicken in dem bedrückenden Dunkel kam, so änderte sich doch in den folgenden siebzehn Jahren an den traurigen und trostlosen politischen Zuständen nur wenig. Die Willkür, die zuvor in den einzelnen deutschen Bundesstaaten geherrscht hatte, dauerte fort, der Stndeuten- hetze folgte eine Demagogeuhetze, an Stelle der Nichtigkeits­erklärungen von Verfassungen trat der offene Verfassungsbruch, und die Zentralbundesbehörde gestaltete sich unter dem an­dauernden Metternichschen Einflüsse immer mehr zu einem Zerrbilds dessen, was sie hätte sein sollen. Nur in einem Punkte kam es zu einem Umschwünge: die Teilnahme am