Heft 
(1897) 10
Seite
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Wor fünfzig Aähren.

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öffentlichen Leben erwachte aus ihrer Lethargie, trotz aller der freien Meinungsäußerung entgegengesetzten Schranken begann man sich in Schrift und Rede mit politischen Zu­ständen zu beschäftigen und sich sogar nationalen Bestrebungen zuzuwenden. Wie wenig dem Andrängen des fortschreitenden Geistes der Zeit auf die Dauer mit Widerstand zu begegnen war, beweist, daß trotz der reaktionären Bundespolitik Metternichs unter Preußens Führung das große und für die zukünftige politische Entwicklung Deutschlands hochwichtige Werk der deutschen Zolleinigung zu stände kam. Erfreulicher als in Norddentschland gestalteten sich indes die öffentlichen Verhältnisse in den meisten der süddeutschen Staaten, namentlich in Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt, wo längst verfassungsmäßige Volksvertretungen vorhanden waren und die Führer der politischen Parteien in den Kammern über einen weitreichenden Einfluß verfügten, als in Berlin (Februar 1847) zum erstenmal die Pro- vinziaistände zu demVereinigten Landtage" zusammenberufen wurden. Noch bevor man etwas von den Stürmen ahnen konnte, die der März des Jahres 1848 entfesseln sollte, kam es in Baden, wo im Dezember 1846 der vormalige Führer der Liberalen und Präsident der zweiten Kammer, Bekk, zum Minister des Innern ernannt worden war, zu zwei bedeutsamen Kundgebungen. Am 12. September 1847 hielten die Radikalen in Offenburg unter dem Vorsitze des jugendlich feurigen Mannheimer Advokaten Friedrich Hecker eine Volksversammlung ab, aus deren allerdings sehr weitgehende Begehren selbst die liberale badische Regierung mit der Einleitung von Hochverrats­prozessen antwortete, und am 10. Oktober des gleichen Jahres trat eine Anzahl gemäßigt liberaler badischer Kammermitglieder, denen sich Gleichgesinnte aus ganz Deutschland anschlossen, in .Heppenheim an der Bergstraße zu einer vertraulichen Beratung zusammen, um denjenigen Teil der Ofsenburger Forderungen, der sich aus eine Um­gestaltung des Deutschen Bundes bezog, anfzunehmen und zu dem Beschlüsse zu gelangen, durch Anträge in den Einzelkammern die Umgestaltung der Bundesverfassung baldigst in Angriff zu nehmen. Derartige Anträge stellten der Abgeordnete Bassermann am 5. Februar 1848 in der badischen und einige Wochen später Heinrich von Gagern in der Darmstädter Volkskammer.

Rascher und in ganz andrer Weise, als man es hätte vermuten sollen, wurde diesen Anregungen Folge gegeben. Am 23. Februar 1848 brach in Paris der Volksaufstand ans, der bereits am folgenden Tage zum Sturze der Juli­monarchie und zur Verkündung der Republik führte. Die Wirkungen dieses Ereignisses machten sich in kaum geahnter Weise in allen Ländern Europas geltend, namentlich in Italien, Deutschland und Oesterreich, wo sie zu sofortigen Volkserhebungen führten. Ein geradezu klägliches Echo fand sie bei dem ganz unter österreichisch-metternichschem Einflüsse stehenden Bundestag. Hatte diese einzig in ihrer Art dastehende staatliche Zentralbehörde am 17. Februar noch der Anregung des badischen Gesandteil, den sich immer bedrohlicher gestaltenden politischen Verhältnissen gegenüber vom Bunde aus Stellung zu nehmen, nur überlegenes Schweigen entgegenznsetzen vermocht, so fühlte der K. K. Prä­sidialgesandte sich nunmehr gedrungen, die Aufmerksamkeit der hohen Versammlung auf dieLage Deutschlands" hin­zulenken, was natürlich nur die Niedersetzling eines der bekanntenAusschüsse" zur Folge hatte. Aber schon am fol­genden Tage (dein 1. März) kam die Einsicht, daß es ans diesem Wege nicht gehe, und die Körperschaft, die bisher nur zu drohen und zu verbieten vermocht, legte sich jetzt in einemAufruf an das deutsche Volk" in der kläglichsten Weise auf das Bitten und Flehen, auf den Weg der Eintracht, des gesetzlichen Fortschritts und der einheitlichen Entwicklung verweisend und allesdem stets bewährten

gesetzlichen Sinn, der alten Treue und der reifeil Einsicht des deutschen Volkes" anheimstellend.

Es sollte noch jämmerlicher kommen. Am 5. Mürz 1848 fand sich in Heidelberg eine Anzahl freiheitlich ge­sinnter Männer zusammen, darunter fast alle Teilnehmer an deni Heppenheimer Tage, im ganzen 51: 20 Badener, von Soiron, Mathy, Bassermann, Karl Welcker, Gervinus, Häiisser, von Jtzstein, Hecker lind andre, 7 Hessen-Darm- städter, an ihrer Spitze Heinrich von Gagern, 9 Württem- berger, Römer, Fetzer und andre, einige Bayern, Nassauer, Frankfurter, 4 Rheinpreußen, unter ihnen die Mitglieder des Vereinigten Landtags, Hansemann und Stedemann, und zufällig auch ein junger Oesterreicher, der Schriftsteller Wiesner. Diese beschlossen, auf die möglichst rasche Ein­berufung eines deutschen Parlaments hinzuwirken, vorher aber schon Vertrauensmänner aus allen Teilen Deutschlands zusammenzuriifen, die die Angelegenheit weiter beraten und dem Vaterlandewie den Regierungen ihre Mitwirkung anbieten sollten". Zur Vorbereitung dieser Versammlung, die damals schon alsVorparlament" bezeichnet wurde, ernannte die Heidelberger Versammlung einen Ausschuß von sieben Männern, der dann dasVorparlament" auf den 30. März in die alte Wahl- und Krönungsstadt Frankfurt a. M. einberief. Eingeladen wurdenalle früheren und gegenwärtigen Ständemitglieder und Teilnehmer ge­setzgebender Versammlungen in allen deutschen Landen", einschließlich der nicht zum Bunde gehörigen Ost- und Westpreußen und Schleswigs, sowie eine Anzahl weiterer, durch das Vertrauen des deutschen Volkes ausgezeichneter Männer", die bisher nicht Stündemitglieder gewesen.

Zu allen diesen Beschlüssen und Maßnahmen einer An­zahl von Privatpersonen, die lediglich nach eignem Ermessen handelten, ohne dazu von irgend einer Behörde oder Körper­schaft ersucht oder ermächtigt worden zu sein, sagte der Frankfurter Bundestag Ja und Amen. Am 3. März hatte er bereits aus eignem Antriebe die Zensur freigegeben, am 10. erklärte er die bisher von ihm verfemten Farben Schwarz-Rot-Gold für die amtlichen Farben und den gol­denen Reichsadler auf schwarzem Grunde für das Wappen des Deutschen Bundes und ließ sofort eine Fahne mit diesen Farben und diesem Wappenzeichen aus dem Bundes­palast in Frankfurt aufhissen.

Bevor es zu dem Zusammentritte des Vorparlaments kommen konnte, sollte die Volksbewegung, zu der die Pariser Februarrevolution den Anstoß gegeben hatte, in den ein­zelnen deutschen Staaten ihre Wirkung ausüben. Zu den Forderungen, die durch Petitionsstürme und andre Kund­gebungen geltend gemacht wurden, gehörten fast allerwärts Aufhebung der von dem Bundestage bereits preisgegebenen Zensur, Preßfreiheit, Einführung der Geschworenengerichte und, soweit sie noch nicht vorhanden, eine landständische Regierungsform. Verhältnismäßig ruhig ging es in den süddeutschen Staaten zu. In Baden war schon vor dem März 1848 die Hauptsache dessen erreicht, was anderwärts noch zu erringen war, in Bayern brachte der Sturz des Lola-Regiments und die Abdankung König Ludwigs I. am 20. März das Verlangte, in Württemberg hatte es König Wilhelm I., wenn auch widerstrebend, am 8. März durch Berufung der freisinnigen Abgeordneten Duvernoy, P. Pfizer und F. Römer in das Ministerium zugestanden, und im Großherzogtum Hessen war es durch die Minister- präsidentschast von Gagerns verwirklicht. Auch in Kurhessen, Nassau, Hannover, Sachsen und den mittel- und nord­deutschen Kleinstaaten stieß die Einführung der begehrten Reform nicht ans nennenswerte Schwierigkeiten. Ueberall wiederholte sich dieselbe Erscheinung: wo das Einvernehmen zwischen Regierenden und Regierten gestört war, mußten die vorher am bittersten Verfolgten zur Stützung der wankend gewordenen Throne ans Ruder berufen werden.