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Weber Lan
Zu blutigen Zusammenstößen führte die Märzbewegung des Jahres 1848 in Wien und Berlin. Die Erschütterung, die der österreichische Kaiserstaat durch die revolutionäre Bewegung erleiden sollte, ging von Ungarn aus, wo der Abgeordnete Ludwig Kossuth am 3. März im Preßburger Reichstage (der ungarischen zweiten Kammer) in einer zündenden Rede als das einzige Rettungsmittel der Dynastie die Verbindung der Völker Oesterreichs statt durch das schlechte Bindemittel der Bajonette durch den festen Kitt einer freien Verfassung gefordert hatte. In Wien fanden diese Worte jubelnden Anklang; während aber die Ungarn und Tschechen nur die bessere Gestaltung der Verfassungsverhältnisse ihrer Kronlnnder anstrebten, nahm die Wiener Bewegung sich ein freies Oesterreich als Ziel. In Adressen und Petitionen wurden freie Presse, öffentliche Rechtspflege, Reform des Gemeindewefens und vor allem eine österreichische Gesamtverfassung begehrt; namentlich trat inan mit dieser Forderung hervor, nachdem die Studentenschaft als ein neues, treibendes Element in die Bewegung eingegriffen hatte. Als ein weiteres gesellte die Bürgerschaft sich hinzu, als es bei Uebermittlung einer studentischen Adresse an die niederösterreichischen Landstände im Ständehanse am Ballplatze am 13. März zu tumultuarischen Auftritten gekommen und das herangezogene Militär mit blutigem Erfolge zwei Salven auf die Volksmenge abgegeben hatte. Und nun geschah, was tags zuvor noch niemand hätte vermuten können: Fürst Metternich dankte ab, ein Schritt, der gleichbedeutend mit der Bewilligung der gestellten Forderungen war und wie eine Freudenbotschaft nicht nur durch Oesterreich, sondern ganz Deutschland erscholl.
An die unseligen Vorgänge der Märztage in Berlin ist in der jüngsten Zeit so vielfach erinnert worden, daß wir sie hier kaum anzudeuten brauchen. Am 18. kan: es zu Barrikadenbau und blutigen Straßenkämpsen, am 19. wurde das Heer ans der Stadt zurückgezogen, während die Volksmenge ihre Toten in den Schloßhof vor den König brachte, am 19. fand die feierliche Bestattung der „Märzgefallenen" statt, der Prinz von Preußen (nachmals König und Kaiser Wilhelm I) verließ Berlin. Die Krone Preußen erlebte die tiefste der über sie verhängten Demütigungen,
Am 31. März trat in der Paulskirche zu Frankfurt am Main das deutsche Vorparlament, zu dem sich 500 Teilnehmer eingefnnden hatten, zu seiner ersten Sitzung zusammen. Die alte Kaiserstadt am Main hatte in ihrer vielhundertjährigen Geschichte viele festliche und glanzvolle Tage gesehen, aber noch keinen, an dem die Begeisterung eine so reine und allgemeine gewesen wäre; nun war der „Völkerfrühling" wirklich gekommen, das deutsche Volk hatte zum erstenmal eine That hinter sich.
An derselben Stätte, wo das Vorparlament getagt, wurde auf Grund der von diesem getroffenen Bestimmungen in feierlicher Sitzung an: 18. Mai 1848 das erste deutsche Parlament, die konstituierende Nationalversammlung, eröffnet. Die Verhandlungen dieser in ihrer Art einzig dastehenden Versammlung, in der sich eine so gewaltige Fülle von staatsmännischen und rednerischen Fähigkeiten ersten Ranges zusammenfand, wie noch kein Land und keine Zeit sie gesehen, sollten fruchtlos verlaufen, und doch nicht vergebens, denn das damals zu stände gebrachte Werk, die deutsche Reichsverfassung vom Jahre 1849, ist in feinen Grund- ziigen das bedeutsame Staatsgrundgesetz geworden, auf dem sich die Einrichtungen des am 11. Januar 1871 im Kvnigs- schlosse zu Versailles ruhmreich wiederhergestellten Deutschen Reiches erhoben. x. H.
i) und Meer.
Der große Sturm.
Von
Ernst MueKenöach.
ZMm 18. März dieses Jahres, um die fünfte Stunde WO nachmittags, brach der große Sturm los. Da ich für gewöhnlich nur unsre Ortszeitung, und auch diese nur flüchtig lese, so weiß ich nicht, ob er auch in entfernteren Ländern so gewaltsam auftrat. Aber in unfern: engeren Kreise — ungefähr so weit, als ich ein einfaches Postpaket für fünfundzwanzig Pfennig versenden kann — wurde ersehn deutlich bemerkt; denn er vernichtete in wenigen Minuten vieles, woran stillere Kräfte menschenalterlang gebaut hatten. Doch schuf er auch einiges Neue.
Unfreundlich und windig war es den ganze,: Tag uber- gewesen; der Hauptstoß aber kam kurz vor fünf Uhr. Ich erinnere mich, daß ich um diese Zeit auf meiner Chaiselongue lag, rauchend, kaffeetrinkend und in Mörikes Gedichten lesend, während vorn: Fenster Wind und Schlacker- regen ihr Spiel trieben. Plötzlich erstarb alles Klappern und Klatschen in einen: ganz neuen Geräusch. Mit einem bestimmten Zeitwort läßt sich dies Geräusch nicht bezeichnen. Es war gleichsam der Extrakt aus allen: sonstigen atmosphärischen Lärm; die einzelnen Klänge gingen in ihm auf, wie wenn sich zun: Schluffe eines schwierigen Männerchors alle Stimmen auf der letzten Silbe fortisfimo vereinigen. Als ich an meine — zun: Glück verriegelte — Balkonthür trat, sah ich draußen eine Menge ungewöhnlicher Gegenstände herumfliegen. Besonders fielen mir eine Anzahl Dachziegel auf, die sich, ganz gegen den Gebrauch fallender Dachziegel, nicht senkrecht, sondern schräg oder sogar in Ringeln aufwärts bewegten. Da unser Haus mit Schiefern gedeckt ist, so mußten sie wohl von: Nachbarhause herrühren, und ich gestehe, daß mir dies eine Beruhigung war.
Auch die Bäume in: alten Schloßpark draußen, der jetzt der Universität zu botanischen Zwecken dient, bewegten sich seltsam. Gerade meinem Balkon gegenüber stand eine riesige Pappel, die ich oft verwünscht hatte, da sie uns die Aussicht auf das Schloß störend durchschnitt. Jetzt sah sie fast aus, als ob sie Korkzieher spielte. Ich lief hinunter ins Erdgeschoß zu den Zimmern meiner Frau, um sie auf das Naturspiel aufmerksam zu machen. Sie saß aber bereits zuschauend an: Fenster, unfern dreijährigen Aeltesten auf den: Schoß. Als ich eben eintrat, rief meine Frau: „Da fällt die große Pappel in den Schloßweiher!" Im selben Augenblick hob sich aus den: Weiher eine Schaum- welle, haushoch. Als sie wieder zurücksank, war unsre Aussicht aufs Schloß um ein Beträchtliches freier geworden. Mein Nettester aber sah mich etwas besorgt an und fragte: „Vater, müssen jetzt die andern Bäume auch alle Umfallen?"
Ganz so schlimm wurde es nun nicht; aber auf meinem Besichtigungsgang, eine halbe Stunde später, fand ich doch, daß die große Pappel durchaus nicht das einzige Opfer war. Knapp hundert Schritt von unfern: Hause war die Straße zur Hälfte durch zwei andre, nur wenig kleinere Pappeln gesperrt, die quer über den Parkgraben gestürzt waren. Es regnete und wehte noch immer heftig; aber Kinder und Hunde hatten sich schon zahlreich eingefunden. Der Netteste vom Herrn Konsistorialrat, der sechs Straßen weiter drinnen in der Stadt wohnt, war eben dabei, sich das oberste Reis des einen Baumes in Ermangelung einer Mütze um sein neunjähriges Theologenhaupt zu winden. Er war so beschäftigt, daß er meine Frage, ob er bei diesen: Wetter hier in der Vorstadt herumlaufen dürfe, ganz überhörte.
In: Garten, bei der Todesstätte der großen Pappel, traf ich den Herrn Inspektor mit einen: ganzen Stabe von Gärtnern und schloß mich der Suite an. Sie versicherten,