Heft 
(1897) 10
Seite
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Der große Sturm.

der Baum sei laugst hohl gewesen und habe sowieso nächste Woche weggemußt. Es war gewiß wahr; übrigens äußert sich unsre Betty ebenso, wenn ihr ein Glas zer­brochen ist, es ist immer schon längst ein Sprung darin gewesen. Ter riesige Stamm lag quer auf dem grünlichen Weiher. Bon fern sah es aus, als ob er ganz unbeschädigt sei; bei genauerem Hinschauen aber erwies sich, daß sein hohler Bauch in zahlreiche Stücke geborsten war. Der Herr Inspektor erklärte mir, das sei eine Wirkung des Äusschlagens auss Wasser; eine Wasserfläche, und ganz be­sonders eine stagnierende, habe eine furchtbare Widerstands­kraft. Mich erinnerte dieser Zustand des Baumes an den Erfolg gewisser Verordnungen und Gesetze, die plötzlich zu dem Zwecke erlassen werden, die bisherige öffentliche Ge­sittung von Staats wegen und von oben herab zu verbessern.

Unter den Gärtnern war ein freundlicher Mann mit weißem Bart und Hornbrille, der vornehmlich die Richtung des Sturzes lobte; denn wenn der Baum nach der andern Seite gefallen wäre, so hätte er leicht ein paar Gewächs­häuser eingeschlagen. Diesen Optimisten fragte ich im Weitergehen aus, wie alt die umgestürzten Bäume es waren ihrer noch drei oberster wohl wären. Die Auskunft schwankte zwischen' sechzig und achtzig Jahren; aber diese Esche da," meinte er,hat wohl ihre hundert Jahre, eher fünf mehr als weniger." Das ist doch etwas. Dieser Baum war während der Stürme der großen Re­volution gepflanzt, er hatte eine ganze Beenge von Kaisern und Königen überdauert, bis ihn nun unter dem dritten Deutschen Kaiser eine unsichtbare Hand im Augenblicke hin­streckte. Es war ein wundervoll gewachsener Stamm, schlank und gerade; der Sturm hatte ihn völlig entwurzelt und schräg über ein großes Rasenbeet hingelegt. Ein arm­dicker, üppig grünender Epheu war mit in den Sturz seines Nährvaters verstrickt worden und starrte nun von dem ungeheuren Wurzelstamm der Esche in die Höhe, wie ein verschlafener Reisender, der im Gasthof um Mitternacht plötzlich nnfwacht und erst allmählich merkt, daß sein Bett­gestell unter ihm eingebrochen ist. Zwischen den Epheu- ranken hing noch das botanische Namenstäfelchen des Baumes: t'raxinrm elnckior, erhabene Esche", und neben dieser nicht mehr passenden Visitenkarte war, ersichtlich erst vor kurzem, der Wappenzirkel einer studentischen Verbindung über dem WorteAnna" tief in die Rinde eingeschnitten. Da unsre Studentinnen noch keine eignen Verbindungen bilden, so wird diese Inschrift wohl das Werk eines jungen Kom­militonen sein, der noch in den Semestern steht, wo man es gern in alle Rinden einschnitte. Wer die Amur wohl sein mag? Seine Schwester wahrscheinlich nicht. Möchte der Himmel sie und ihn in Stürmen bewahren, die heim­licher fahren und schlimmer wirken als der große Frühlings­sturm dieses Tages!

Dieser Sturm war immerhin ein merkwürdiges Natur­ereignis; aber fast noch merkwürdiger war mir's, zu ge­wahren, wie rasch und geschickt wir Menschen uns ein solches Ereignis jeder zu seinen ganz besonderen Zwecken znrechtznlegen wissen. In der Zeitung, die am folgenden Morgen wie üblich neben meiner Frühstückstasse lag, und deren Druck abends zuvor um acht Uhr beginnt,

fand ich bereits einen Leitartikel mit dem Anfang:

Gleich dem Frühlingssturme, der, während wir dies schreiben, über unser schönes Vaterland braust, regt sich in der Tiefe der Volksseele der zornige Unwille gegen eine Partei, die" und so weiter. Im Anzeigenteil brachte ein Geschäftshaus seine garantiert sturmsicheren Wind­

schirme in empfehlende Erinnerung. Später, unfern der Stelle, wo die beiden Pappeln über den Graben gefallen waren, begegneten nur etliche Bauernweiber und halb­wüchsige Jungen mit Bündeln und Schiebkarren voll Holz; es waren sehr ansehnliche Aeste darunter, glatt und

sauber abgeschnitten. Einer der Jungens trug eine Säge, und als ich ihn fragte, woher sie kämen, erklärte er, sie hätten das abgewehte Reisig aufgeleseu. Vor den beiden schon ziemlich gründlich zugehauenen Stämmen traf ich diesmal den Herrn Konsistorialrat selber. An­scheinend studierte er an seiner Predigt für den nächsten Sonntag, denn er machte mich sogleich darauf aufmerksam, welch ein augenscheinliches Gleichnis von der Hinfälligkeit alles irdischen Hohen und Stolzen hier vor uns liege. Das hat mir Ihr Fritz gestern schon an dieser Stelle in Wind und Regen bewiesen," sagte ich,als er mit einem Baumreis spielte, das eine halbe Stunde znvor noch sechzig und etliche Fuß über ihm aufragte."

Der Herr Konsistorialrat sah mich tiefsinnig an.Also daher hat der Bengel seit gestern abend den Schnupfen!" rief er.Na, ich werd's aber meiner Frau sagen." Mir that der arme Fritz leid.Mein Gott," sagte ich,Kinder sind nun mal so; die laufen und gedeihen im Regen wie im Sonnenschein," und bei mir dachte ich:Eine Mütze könnte die Frau ihrem Jungen nun allerdings doch auf­setzen, wenn er in dieser Jahreszeit vor die Thür läuft. Dazu ist sie Mutter." Aber als ich wieder heimkam, hatte unser Nettester gerade eine minutenlange Abwesenheit seiner Mutter benutzt, um eineu Turm von Bauklötzchen in seine Milchsuppe zu werfen.Siehst du, Vater," sagte er strahlend,jetzt ist die arme Pappel in den Weiher gefallt."

Seitdem waren schon mehrere Monate vergangen, die umgestürzten Baumstämme waren beseitigt, die Dächer ge­flickt, Prediger und Redakteure hatten im Fortschritt der Jahreszeiten längst neue Gleichnisse und Anfänge für ihre Betrachtungen gewonnen, als ich mitten in der Sommer­stille noch einmal sehr angenehm an den großen Frühlings­sturm erinnert wurde. Gelegentlich eines eintägigen Auf­enthaltes in einer Nachbarstadt hatte ich auch einen lieben jüngeren Studienfreund besucht, der dort angestellt ist und mir am Himmelfahrtstage seine Verlobungsanzeige zugeschickt hatte. Er machte mich mit seiner Braut bekannt einem reizenden, sinnigen Mädchen und am Abend begleitete er mich ins Bahncafk, wo wir noch eine Flasche Rheinwein auf das Glück seiner Zukunft leerten. Verlobte setzen immer voraus, daß man überaus neugierig sei, zu er­fahren,wie das nuir eigentlich gekommen ist", und so begann auch mein Freund endlich nach einer Gesprächspause etwas verschämt:Ja, weißt du, eigentlich liebte ich Hedwig ja schon seit dem ersten Mal, wo ich sie damals in Köln bei ihren Verwandten kennen lernte. Als ich dann vorigen Herbst hierher versetzt wurde, machte ich meineil Anstandsbesuch bei den Eltern, wurde auch ein paarmal eingeladen, und wir fanden lins auch sollst in Gesellschaften; aber weiß der Himmel, ich kam aus der Schüchternheit und Ungeschicklichkeit ihr gegenüber nicht heraus, und sie ließ mich's, wie mir schien, ziemlich deut­lich merken, daß ich ihr nichts Besonderes sei, in der Reserve-Offizier-Uniform gerade so wenig wie in Zivil. Bis dann zu allem Glück der große Sturm kam, am 18. März du erinnerst dich wohl? Wir hatten gerade ein recht steifes und ungemütliches Diner bei unserm Chef erledigt, ich wollte niir die Droschke spareil und dachte unter meinem Regenschirm noch heil nach Hause zu kommen; aber gerade auf halbem Wege brach's los. Zuerst klappte mir natür­lich der Regenschirm um, und während ich mich noch damit abmühte, krachte fünf Schritt vor mir ein halber Schorn­stein auf die Straße. Na, Gott sei Dank, dachte ich, er hätte auch auf meinen Cylinderhut fallen können aber da saust auch schon der Hut vor mir her, natürlich durch die Gosse. Bekanntlich sieht ein Mann nie lächerlicher aus, als wenn er hinter seinem Hut herlänft; ich empfand das sehr deutlich, während ich unter Hagel, Regen und Dachziegeln