Heft 
(1897) 10
Seite
49
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Are KrrngersLerne.

Roman

von

Gertrud Aranke-Schievetöein.

(Fort,etzung.)

eit ein paar Wochen lebte Hubert in einer ! Weltentrücktheit, die ihn Tag und Nacht, Essen und Trinken, sein kaltes Zimmer und sein sorgengehetztes Dasein ganz vergessen ließ.

Als er an jenem Abend nach Hanse gekommen war, hatte er sich kaum Zeit genommen, den guten Nock mit der alten Joppe zu vertauschen. Dann saß er an seinem Schreibtisch. Die Nacht hindurch brannte seine Lampe, seine hageren Hände hasteten in fliegender Eile über das Papier. Erst als gegen Morgen die Lampe erlosch und der Kopf ihm leer war wie eine ansgepreßte Zitrone, warf er sich halb ansgekleidet aufs Bett und schlief wie ein Toter.

Aber nur ein paar kurze Stunden. Sobald die tiefste Erschöpfung vorüber war, schlug er die Augen auf, in einem jähen Schrecken, daß er etwas ver­säumt habe.

Und plötzlich stand alles wieder vor ihm, als wäre es nur einen Augenblick von einem Vorhang bedeckt gewesen. Seine Menschen bewegten sich, lebten, sprachen, er sah in ihre Seelen, ihre ge­heimsten, verborgensten Regungen. Ganze Scenen spielten sich vor ihm ab.

Er gönnte sich kaum einen Bissen Brot, um nur keinen Augenblick von der Schaffensseligkeit Zn verzetteln.

Nie hatte er in dieser Weise arbeiten können. So aus dem Vollen heraus, dem Unendlichen. Ueberall war's, als sprängen neue Quellen in seiner Seele. Er hörte ihr Rauschen wie ein Berauschter. Er wühlte in den Schätzen, die auf ihn Zuströmten, verzweifelt, daß er nicht alles bergen und halten konnte. Aber dies Verzagen vor der eignen Fülle war höchstes Glück.

Endlich aber versagten die immer wieder grau­sam emporgepeitschten Kräfte den Dienst. Trotz aller Gewaltmittel, aller qualvollen Anstrengungen ver­mochte er kein Bild vor seine Augen zu zaubern. Sein Kopf war wie ein ausgebrannter Krater, Schlacke, Asche. Kein Funken wärmenden Feuers mehr.

Und da erst kam er znm Bewußtsein.

Er war in solchen Ebbezeiten immer tief ver­stimmt gewesen. ,Schaffen das ist die große Erlösung vom Leiden und des Lebens Leichtwerden?

lieber «nnd und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 10.

Aber nicht schaffen können, wenn Zukunft, Ruhm, Glück davon abhängen!

Er sah die goldigen Augen vor sich, so sprühend von Leben und Geist. So verheißend! Sie hatten ihn angefeuert. Wenn er erlahmen wollte, sah er ihren seltsam tiefen Blick, der zu sagen schien: Wir beide! Da hinauf!

Und so über sich selbst hinausgewachsen hatte er sich gefühlt, daß er ruhigen Mutes vor eine Königin hingetreten wäre: ,Sei mein! Ich will dich zu mir emporheben!'

O weh! Wie sah es jetzt aus mit seiner Gott- ühnlichkeit!

Er wagte keinen Blick in sein Manuskript Zu thun. Der Anblick seiner Handschrift ekelte ihn an. Die ausgestrichenen Stellen, die Unebenheiten des Stils, die in der Eile und Angst, nichts zu verlieren von dem Zuströmenden, flüchtig hingeworfenen Sätze! Das ging ihm jetzt, wo er kalt, nüchtern, kritisch und tadelsüchtig wie ein Feind vor seine Arbeit trat, peinlich auf die Nerven. -

Die Idee kam ihm verrückt vor. Er konnte sich in diesem Zustand tiefer Depression nicht wieder zu ihr emporschwingen. Es erschien ihm wie eine Vermessenheit, daß er seinem Talent die Kraft zu­getraut hatte, ihm auch nur die bescheidenste bürger­liche Existenz zu verschaffen.

Finstere, selbstzerstörerische Gedanken kamen ihm, sehr süß, sehr lockend . . . ein tragisches Ende nach einem verfehlten Leben!

Aber wie durfte er sich aus der Welt schaffen, er, an dem so viele Verpflichtungen hingen?! Sein Kind! Nachdem er die Mutter ihres bißchen Ver­mögens beraubt, durfte er die beiden nicht im Stich lassen.

Was war er doch für ein Unglücksvogel! Ein wohlwollender Freund kommt ihm entgegen, öffnet ihm sein Haus, hat den besten Willen, Mittel und Wege, ihm herauszuhelfen. . . Und er wie ein Verrückter wirft sich selber die gastliche Thür vor der Nase zu! Er läßt sich's einsallen, sich in die schöne Tochter des reichen Mannes Zu vergaffen. Wenn er nicht zum Verräter werden will an sich selbst und Johanna, darf er sie ja nicht Wiedersehn.