Heft 
(1897) 10
Seite
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Metier Land und Weer.

Den einen Abend, iin süßen Rausch, hat er Wohl seine Vergangenheit vergessen können. Jetzt aber steht sie sest und breit da, weicht und wankt nicht, wenn er sie herausschieben möchte aus seinem Leben, und verbaut ihm erbarmungslos die Zukunft.

Und gerade in Bezug aus seineGewissensehe", fühlt er, vollzieht sich langsam eine Wandlung in ihm.

Trotzig und im Gefühl seines guten Rechts hatte er der Gesellschaft den Fehdehandschuh hingeworfen. Es hatte ihn: wohlgethan, ihre Vorschriften mit Füßen zu treten, ihr zuzurufen: .Seht, so wenig acht' ich euch! Ihr, die ihr in euern prüden Ge­setzen die sittenloseste Ehe eine Ehe, die ans Eigennutz oder ans Leichtsinn oder aus Ehrgier geschlossen wird mit allen Ehren behängt, und ein Bündnis, der heiligsten, reinsten Liebe entsprungen, verdammt wie eine Pestbeule der Unsittlichkeit euch frag' ich nicht: mit Verlaub? Ich handle nach Menschen- und Dichterrecht!'

Aber nun er einmal die Luft in diesem wahr­haft vornehmen Hause geatmet hatte, war's, als wäre mit dieser Luft auch die Anschauung dieser Kreise in ihn eingedrungen.

Er brauchte nur an Charlotte zu denken und er schämte sich. Hätte er nicht die Pflicht gehabt, Johannas zu schonen? Er wußte ja, sie war nichts für sich selbst. Vor seiner Leidenschaft schmolz ihr kleines Ich dahin. Sie wäre ebenso gern gestorben, wie seine Geliebte geworden. Aber mit ihrem Tod wäre ihm nicht gedient gewesen. Und so hatte er das größere Opfer von ihr verlangt.

Charlotte aber? Nein! Um Gottes willen! Ihr nicht einmal mit dem flüchtigsten Gedanken zu uahe treten, daß sie fähig gewesen wäre auch aus Liebe nicht das Gesetz zu übertreten.

Sie hätte nicht einmal Künstlerin, gar nicht so klug und geistvoll sein brauchen, so ernst und streb­sam. Schon daß sie eine Vollnatur, ein Mensch für sich war, daß sie seiner Person eine eigne, ab­geschlossene Persönlichkeit entgegensetzte, das allein hätte Charlotte vor jedem begehrlichen Gedanken, geschweige denn vor seinem Verlangen geschützt.

Es kamen böse Stunden, in denen er Johanna fast zürnte, daß sie nicht die Kraft gehabt hatte, ihn seinem Schicksal zu überlassen.

Warum hatte sie ihn so ohne Schranken geliebt?

Er brachte es nicht über sich, sie zu sehn. Kurze Briese gingen zwischen ihnen hin und her. Er ent­schuldigte sich mit Arbeit, und sie glaubte nur zu gern, daß die Begegnung mit Berghauer vom glücklichsten Einfluß auf seine Schassensstimmung gewesen sei.

Und doch hatte er jetzt kein andres Bestreben als das, Zeit totzuschlagen. Er las zwar, aber ohne rechtes Interesse. Er schrieb einige Kleinigkeiten, aber die Unlust kam bald über ihn. Nur mit halber Seele arbeiten nein, dann lieber gar nicht. Alle Kräfte sammeln, ansspareu für ein seiner würdiges Werk!

Er ging also wieder viel spazieren, besuchte die Sehenswürdigkeiten, die Museen, die Bibliothek. Soviel sein abgespannter Kops zu fassen vermochte, nahm er in sich ans.

Am häufigsten zog es ihn nach der Gemälde­galerie. Die milde Wärme der Räume, der Anblick des bunten, köstlichen Lebensüberflusses an den Wänden, der auch für ihn da anfgehängt war, gab ihm ein Gefühl des Reichtums.

Und da sah er Charlotte wieder.

Vor derVenetianerin" von Tizian saß auf einer Stellage eine junge Dame und kopierte.

Die ungemeine Schlankheit der Gestalt, das lichtbraune, leichtgekrauste Haar erinnerte ihn, als er sie nur erst vom Rücken gesehn hatte, an Lolo. Er ging ein Stückchen weiter, scheinbar in die Bilder vertieft, und erhaschte nun auch den Anblick ihres zierlichen Profils.

Sie war so gleichgültig gegen die Außenwelt, daß sie die kleine Gruppe Neugieriger, die sich an­gesammelt hatte, um ihr zuzusehn, nicht im geringsten beachtete. Sie tauschten flüsternd ihr Urteil aus, das sehr anerkennend war. Lolo ließ sich nicht stören. Ihr ganzes inneres Leben war in ihren Augen konzentriert, die von einem stillen, fieberhafter: Feuer brannten. Ihr Ausdruck war gespannt von einem so tiefen, heiligen Ernst, wie er ihn nach ihrer sprühenden Lebendigkeit nie in diesem jungen Gesicht gesucht haben würde.

Nicht weit von ihr hatte sich ein junger Künstler ebenfalls au das Kopieren eines Bildes gemacht. Ein dandphaftes, flottes Kerlchen in braunem Sammet­rock, mit spitzein Bärtchen und kecker Miene. Er rief ihr, die gewiß schon längere Zeit kameradschaft­lich rieben ihm arbeitete, zuweilen auf französisch eine Bemerkung zu, die sie ebenso, aber hastig, als wolle sie sich nicht zerstreuen, beantwortete.

Hubert verstand nur Bruchstücke. Er, der die lateinischen und griechischen Klassiker in allen ihren Feinheiten begriff, der französische, italienische, eng­lische Bücher las, war nicht im stände, der leichtesten französischen Plauderei mit seinem ungeübten Ohr zu folgen.

Das brachte ihn ans einmal wieder zu sich. Er hatte so lange in einer Art geistiger Lähmung vor einem Bilde gestanden, ohne auch nur zu wissen, was es darstellte. Jetzt, wie erwachend, machte er eine hastige Bewegung, fortzugehn. Da sah Char­lotte auf, ihm ins Gesicht. . .

Ein paar Pinsel fielen ihm vor die Füße. Er­blickte sich danach und überreichte sie ihr mit einer stummen Verbeugung.

Mechanisch nahm sie sie aus seiner Hand. Mein Gott," sagte sie zweifelnd,sind Sie's denn?"

ES war noch alles traumhaft, ihr Auge, ihre Bewegungen, ihre Sprache. Dann aber straffte sich ihr ganzes Wesen. Mit einem Blick aus das herum­stehende Publikum, das mit unverhüllter Neugier der Erkennungsscene zugeschant hatte, rief sie ihm zu: Eine Sekunde. Ich bin gerade fertig. Wollte eben nach Hause."

Er trat zurück, wieder mit einer stummen Ver­beugung. Wie? Er sollte sie sprechen? Das war ihm alles so über den Kops gekommen. Was sollte er ihr sagen, wie sich verhalten?

Sie packte indessen eilig zusammen, reinigte