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Weber Land und Wccr.
Aha, also prüde! dachte er und erzählte, wie neulich eine Schar von jungen Mädchen wie auf Kommando „Augen links" gerichtet, weil rechts die unschuldige Nacktheit der Liebesgöttin von der Wand leuchtete.
Lotte erglühte noch tiefer, aber in ehrlicher, brennender Entrüstung. „O diese Gänse!" ries sie, die kleine Hand im silbergrauen Handschuh schüttelnd. Sie kam gar nicht über seine boshafte Bemerkung fort. Er sah, wie sie mit sich kämpfte. Und plötzlich brach es ans ihr heraus: „Und mich wollen Sie mit solchen...! Nein, wie Sie mir das anthnn können!"
„Aber mein gnädiges Fräulein!"
„Als ob ich... als ob die Kunst nicht immer unschuldig, heilig wäre! Mein Gott, verstehen Sie doch! Ich meine, wem's im Aktsnal nicht völlig einerlei ist, ob ein Mann oder eine Frau dasitzt. . . wer da nicht einfach ein Stück Natur sieht, genau so unschuldig und schön wie eine Landschaft, eine Bünne . . . das Spiel der Lichter, die Formen . . . die tausend zarten Flächen und Modellierungen . . . Und wer sich dabei etwas andres denkt als: wie, ums Himmels willen, krieg' ich das 'raus —2"
Sie schüttelte langsam den Kops und sah ihn an, als wäre sie an ihm irre geworden.
„Verzeihen Sie," meinte er, von ihrem Ernst getroffen, doch den ironischen Ton beibehaltend. „Sie stehen noch ziemlich allein mit Ihrer — vorurteilsfreien Anschauung. Die Mehrzahl der jungen Damen —"
„Damen!" ries sie mit blitzenden Augen. „Ich Hab' Ihnen doch neulich schon gesagt, das paßt nicht ans mich. Wissen Sic, wie sie mich im Atelier genannt habend Weil ich immer empört war, wenn ich als ,Dame' behandelt wurde, mit allerlei beleidigenden Rücksichten und Galanterien - - wie die Zierpuppen, nicht wie Menschen? /Mädchen Berghauer' hieß ich. Nicht ,Fränlein'. Einfach .Mädchen'. Und das hat Papa solchen Spaß gemacht."
„Ja, Ihr Papa! Sic wissen gar nicht, wie gut Sie's getroffen haben mit einem solchen Papa."
„Ja, wenn ich hätte auswachsen sollen wie andre Mädchen! Was die eine nicht weiß, weiß die andre — und das Geklatsche, die Lappalien, die Dummheiten — bloß um den Staat und die Liebhaber! In der vierten Klasse geht das Liebeln ja schon los, gerade weil's verboten ist, einen Jungen bloß anzugucken! Das war doch anders bei uns! Herrgott! Alles haben wir gemeinsam gehabt mit den Buben. Sie wissen doch, ich habe zwei Brüder. Der eine gräbt jetzt Diamanten in Kimberley. Der andre segelt gerade mal Zur Abwechslung nach Indien. Das haben sie beide vom Papa geerbt, das Reisefieber. Na, und da haben wir immer das Haus voll Jugend gehabt, Zusammen gelernt, zusammen gespielt — das war ein ewiger Wetteifer. O Gott, was Hab' ich für eine glückliche Jugend gehabt!"
Hubert lief ein Schauder über den Rücken, als er an seine eigne Jugend dachte. Charlotte bemerkte es.
„Sie nicht?" fragte sie weich und teilnehmend.
„Ach, Fräulein Charlotte, mich fragen Sie nicht.
Was brauchen Sie zu wissen von all dem Traurigen, Häßlichen — "
„O, denken Sie nicht, daß ich davon nichts weiß! Papa hat uns nicht etwa vorgeflunkert, daß alles wunderschön sei auf der Welt. Nein, wo was Häßliches war, da hat er gesagt: .Schaut hin, das ist häßlich. Gesällts euch etwa?' Nein, es gefiel uns nicht. Wir hatten einen Abscheu davor, weil cr's uns nicht erst mit rosigen Schleiern vcrhing. Deshalb können Sie ganz offen — es ist so manches in Ihren Gedichten, was ich nicht recht verstehe — "
Sie waren an der Gartenthür augelangt. Hubert blieb stehen, Zog den Hut und verabschiedete sich.
„O," ries Charlotte, „wollen Sie nicht mitkommen? Papa ist zu Hause. Er würde sich sehr freuen, mit Ihnen über Ihre Angelegenheiten zu sprechen."
„Nein, gnädiges Fräulein, Sie sind sehr gütig... ich möchte Ihren Herrn Vater nicht weiter bemühen. Meine Empfehlungen." Sein Gesicht war blaß, ernst, abweisend.
Charlotte sah ihn überrascht, fast verletzt an. „Sagen Sie mir um Gottes willen . . . was soll denn Papa denken? ... .Ihn nicht weiter bemühen'... Hab' ich Sie vielleicht. . . war ich indiskret?"
Und jetzt sah er irr ihren stolzen Augen etwas Neues, Rührendes: die Angst eines Menschen, der ein Teures versinken sieht und es halten möchte mit allen Kräften. Unwillkürlich hatte sie die Hand ansgestreckt und die seine ergriffen.
Sie waren wie allein ans der Welt in dieser stillen Straße. Helle Mittagssonne lag auf den grünsammetnen Rasenflächen und schimmerte rötlich auf den kahlen Zweigen. Die ersten safrangelben und violetten .Krokusblüten hatten ihre Kelche weit geöffnet. Schneeglöckchen sproßten in dichten Büscheln aus der schwarzen Erde. Die Sperlinge lärmten und zankten sich in Liebesangelegenheiten. Ueber den zartblauen Himmel kreiste ein Taubenschwarm, weißglänzend, wenn die Sonne ihr Gefieder besäßen.
Er drückte ihre Hand, daß es sie schmerzte. „Fräulein Charlotte," sagte er voll unerschütterlicher Entschlossenheit und unheimlich blaß, „ich möchte mein Leben so offen vor Sie hinlegen, wie diese meine Hand. Erlassen Sie mir's. Es hat keinen Sinn. Nur bitte ich Sie —"
„Was haben Sie?" murmelte sie ganz betroffen.
Er schüttelte den Kops. „Nur bitte ich Sie," wiederholte er, „vergessen Sie nicht, daß ich ein Mensch bin, der immer das Beste gewollt hat. . . und den seine ungestüme Natur. . . und der Fluch jammervoller Verhältnisse . . . Herrgott! Da entschuldige ich mich wohl gar noch! . . . Und nun leben Sie wohl! Ich danke Ihnen . . . für Ihr gutes Gesicht . . . für Ihre warme Stimme . . . für alles, alles..."
Er biß sich aus die Lippen, zog noch einmal den Hut und ging mit hastigen Schritten den Weg Zurück, den sie eben zusammen gekommen waren.
Es war nicht Lottes Art, sich von irgend etwas unterkriegen Zu lassen.