Heft 
(1897) 10
Seite
55
Einzelbild herunterladen

Kopf hoch! sagte sie sich auch jetzt. Sie richtete ihre schlanke junge Gestalt höher aus und ging dein Hause zu. Es roch im Garten so herb und kräftig nach frischer Erde. Die Bienen summten schon. In allen Zweigen strotzte der Saft, und die Knospen reckten sich.

Sie sah das alles. Und sie mußte daran denken, wie vergnügt sie heut morgen zu ihrerVenetianerin" gestürmt war. Aber trotz ihrer Jugend steckte schon ein gnt Stück Weltweisheit in ihr. Auch gut! sagte sie sich. So geht's im Leben.

Am Fenster saß Tante Sophie. Sie hatte jedenfalls ihre Verabschiedung von Hubert Schwarz mit angesehn und würde darüber reden. Wie peinlich! Doch es half nichts.

Tantchen," sagte sie gleich beim Eintritt,giebt's bald was? Ich möchte gleich wieder arbeiten."

Ja, arbeiten. Danach sehnte sie sich.

Noch ein Weilchen, Kind. Wir haben heut Besuch zu Tisch: Onkel Friedrich."

Lotte seufzte und wollte in ihr Zimmer gehn.

Sag mal, Kind, war denn das nicht eben der Mensch, der Schwarz?"

Ja, der war's." Lotte nahm sich zusammen. Nur ruhig bleiben!

Charlotte, wir leben hier aber nicht in einem x-beliebigen, nnzivilisierten Lande."

Trotzdem Lotte ans dergleichen gefaßt war, be­wegte sie nervös die Schultern.

Weshalb?"

Du hast genau sieben Minuten gebraucht, um dich zu verabschieden. Und du weißt, Bolkows drüben halten sich längst auf über dein .freies Wesen'."

Die alten Jungfern!" ries Lotte verächtlich.

Ich meine Bolkows. Ihn und sie," betonte die Tante nachdrücklich.

Alte Jungfern!" wiederholte Lotte energischer. Er und sie! Klatschbasen! Tagediebe! Wenn sie sich des Morgens angezogen haben, sind sie mit ihrem Tagewerk fix und fertig." Und in leiden­schaftlichem Protest warf Lotte die Tasche mit den Pinseln heftig ans den Tisch und zog mit einer unwilligen Gebärde den Mantel ans.

Frau von Nienstedt, in ihren besten Absichten gekränkt und zurückgewiesen, machte ein entsprechendes Gesicht.

Tante," sagte Lotte,laß mich doch."

Sie ging zu ihr heran und strich ihr über die gelbliche Wange.Tantelchen, ich bin nun mal so."

Kind, ich meine auch nur: nicht mit jedem."

Doch, Tante, wenn es ein ehrenhafter Mensch ist"

Das ist's ja gerade, Lotte. Jeder andre. Aber den hast du erst ein einziges Mal gesehn."

Ich kenn' ihn lange."

Tante Sophie schwieg so beredt, als verschweige sie die unheimlichsten Dinge. Lotte aber bemerkte nichts. Sie sah durchs Fenster in den Garten mit einem großen, ernsten Blick.

Sieh mal, Kind," fing Tante Sophie endlich diplomatisch an,ich möchte dir ja deinen .Dichter' nicht verleiden.

Nein, Tante, thu's nicht," sagte sie leise und bittend.

Und es ist ja am Ende bloß Phantasterei bei dir. Dein Vater wenn von deiner Erziehung die Rede war: .Einsicht, Klarheit, Verstand und Charakter bilden! Das Gefühl kurz halten, be­schneiden!' Wenn man ihn so hörte, so war bei uns Frauen die Sache, seit die Welt besteht, verpfuscht worden. ,Sie fangen alles mit dem Gefühl an.' Das hast du ihn ja selber oft genug sagen hören."

Lotte nickte gedankenvoll.

Und deshalb durftest du keine Backfisch- und Liebesgeschichten lesen wie andre junge Mädchen. Bloß immer Sachen, die den Verstand bildeten. Und um Gottes willen keine Lyrik, nichts Süßes. Bloß die Gedichte von dem Schwarz. Die machten eine Ausnahme. Weil sie eigentlich gar keine sind, nach meinen: Geschmack wenigstens, lind weil sie eben das erste derartige für dich sind, so haben sie dir einen ungeheuren Eindruck gemacht. Und da bildest du dir natürlich ein, der .Dichter' müßte nun auch ein wahrer Jdealmensch sein."

Tante," sagte Lotte gequält,was soll denn das alles?" Sie machte Miene, nach der Thür zu gehn.

Noch einen Augenblick, mein Kind. Siehst du, so klug du bist mit deinem Verstände bist du ja gnt und gern dreißig und als Künstlerin vielleicht noch älter aber was bei dir zurückgeblieben ist, Lottchen, das Beste, was wir Frauen haben: das Herz, das ist bei dir noch so unreif wie bei einem vierzehnjährigen Mädchen. Und siehst du, deshalb denk' ich, du guckst dir dein ,Ideal' erst mal ein bißchen genauer an. Es ist dir vielleicht im Augen­blick unangenehm, wenn dein Held sich als ein sehr irdischer Mensch entpuppt aber es ist lehrreich"

Charlotte hatte mit wachsender Unruhe zugehört. Sie war rot und blaß geworden. Jetzt atmete sie tief.Nein, Tante," sagte sie fest,laß es! Etwas Schlechtes erfahre ich immer noch früh genug."

Sie nahm ihre Sachen auf.Ich muß die Pinsel noch waschen und mich zu Tisch ein bißchen zurecht machen. Es muß ja gleich Zeit sein."

Die Jugend! dachte Frau von Nienstedt, ihr kopfschüttelnd nachblickend. Da möchte man ihr nun eine Dummheit ersparen . . . aber alle ihre Er­fahrungen will sie selber machen.

-X

Lotte stieg langsam die Treppe empor zu den: kleinen Reich der beiden Schwestern.

In dem nach Süden gelegene:: großen, lustigen Erkerzimmer hauste Kläre. Vor den Fenstern eine berauschende Pracht blühender Pflanzen. Unmengen von Nippsachen und Photographien die besonders geliebter Freundinnen oder schöner Theaterhelden mit gemachten Blumen bekränzt. Wunderbar unpraktische und mühsame Handarbeiten, wie sie die Mode­zeitungen bringen für Leute, die absolut nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen, hingen als Bilderrahmen, Wandteller, Mappen, Körbchen an den Wänden, lagen als Deckchen über Tisch, Stühlen, Sofa.