Heft 
(1897) 10
Seite
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Ueöer Land und Meer.

Die Sonne schien wie liebkosend über all den bunten, blühenden, blitzenden Tand. Ein Kanarien­vogel schmetterte ein stürmisches Frühlingslied. Aus dem langhaarigen Bärenfell streckte sich in seliger Faulheit der weiße Seidenspitz, an den Kläre, in Ermanglung eines würdigeren Gegenstandes, ihren ganzen Ueberschuß von Zärtlichkeit verschwendete. Er hob nur leise den Kopf, als Lotte an der offenen Thür vorüberging, und kläffte kurz auf. Tann, nach einem tiefen Seufzer, streckte er sich desto wohliger und ließ die Sonne auf fein Fellchen brennen.

In Lottes Zimmer herrschte ein andrer Geist. An dem breiten Fenster stand ihre Staffelei. Die Wände von oben bis unten mit Studien ohne Rahmen bedeckt. Ein paar Büsten und Statuetten, ein Muskelmann und eine Gliederpuppe zwischen den notwendigen Möbeln. Der Marmorkopf eines sterbenden Sklaven von Michelangelo an dem sie sich nie sattfehn konnte hatte den besten Platz erhalten, der Chaiselongue gegenüber, die neben dem kleinen vernickelten Ofen in einem gemütlichen Winkel stand. Hier, das mächtige Eisbärensell zu ihren Füßen, ein paar große, üppige Atlaskissen unter dem Kops, ruhte sie ans, nach der Arbeit, wenn der Körper versagt und der Geist gespannt ist zum Ueberströmen von der eignen Fülle.

Wenn sie so in der Dämmerung, die Arme unterm Haupt gekreuzt, Zur Decke starrte oder um­herblickte an den Wänden überall in ihren Bildern ein Stück Leben, ein Fortschritt, ein Mißlingen, harter Kampf, Hoffnung und Zukunftstraum dann war sie glücklich gewesen, so ganz für sich. Sie brauchte die Einsamkeit, ihre eigne, ungestörte Gesellschaft. Die Welt draußen, die Menschen, die waren gewiß interessant. Das Wunderbarste aber war sie doch sich selbst. Sie bereitete sich selbst immer die allergrößten Ueberraschungen und war eigentlich von Tag zu Tag neugierig daraus, was sie innerlich erleben würde.

Als sie jetzt wieder eintrat, mußte sie erst ein beklemmendes Gefühl überwinden. Es war etwas Fremdes in ihr, sie fühlte es deutlich hier in dieser vertrauten Umgebung.

Sie hing ihre Sachen auf und klingelte nach heißem Wasser. Dann begann sie sorgfältig und langsam ihre Pinsel zu reinigen. Das überließ sie nie dem Mädchen.

Einen Augenblick bedauerte sie's, daß sic die Tante nicht hatte hören wollen. Was mag sie meinen? Was mag er selber gemeint haben ? Irgend etwas mußte da nicht in Ordnung sein. Vonjammer­vollen Verhältnissen" hatte er gesprochen, von seiner ungestümen Natur" . . . Aber dann hatte er gesagt: Vergessen Sie nicht, ich bin ein Mensch ... ich habe das Beste gewollt"

Nein! Sie wollte es nicht vergessen. Wer weiß, was ihm die klatschsüchtige Gesellschaft Zum Vorwurf machte! Vielleicht steckte er in Schulden? Ach, sie wollte gar nichts hören. Wie viel wird zusammen­gelogen !

Er war ja ein edler Mensch, eine von den seltenen Naturen, die hart an sich arbeiten. Das sind die besten.

Sie nahm seine Gedichte und blätterte darin.

Ja, sie wollte an ihn glauben.

Dann sing sie an, Toilette zu machen. Aber es war ja alles in Ordnung, bloß das Haar noch ein bißchen überstreichen. Und dann noch einen Augenblick ruhen! Sie warf sich aufs Sofa. Eine plötzliche Verzagtheit überkam sie, die Lust zu weinen. Aber sie verbiß es und dachte, dachte.

,Dein Herz ist zurückgeblieben im Wachstum-, hatte die Tante gesagt. War denn das so?

Ja, sie war nicht wie die jungen Mädchen, die sie kannte. Die begeisterten sich für jeden hübschen, schnurrbärtigen Kavalier und dachten fortwährend ans Heiraten. Sie hatte immer nur den Kameraden im Manne gesucht. Imponiert hatte ihr noch kein einziger. Deshalb hatte sie sich auch nicht verliebt.

Ueberhanpt das wirkliche, reale Leben hatte sie bisher bloß so mit in den Kauf genommen. Es verstand sich von selbst, daß sie, trank, sich an­kleidete, spazieren ging und gelegentlich sich amüsierte. Aber das war ja alles so nebensächlich.

Wenn die Schneiderin ihr ein Kleid verpaßt hatte, eine schöne Fahrt verregnet oder sonst ein Malheur passiert war, was andre ganz aus dem Hänschen brachte das nahm sie ganz philosophisch ans. Ließ aber vielleicht ein Modell sie im Stich, ging ihr eine Farbe ans mitten in der Arbeit, wollte ihr irgend etwas nicht glücken, so konnte sie weinen aus Heller Verzweiflung.

O ja, sie hatte ihre Anfechtungen, ihre Stürme, ihre Wonnen, tausendmal tiefer als andre, in ihrem zweiten, ihrem eigentlichen Leben.

Deshalb mußte sie sich aber die schöne, heitere Leichtigkeit und Freiheit des Gefühls erhalten. Wenn etwa ihrHerz" auch noch anfangen wollte zu rumoren das fehlte noch!

Ein paar Tage lang nach Huberts Besuch hatte es sich derartiges einfallen lassen. Aber sie hatte sich an eine Arbeit gemacht, vor der sie immer ein bißchen bange gewesen war, sehr viel kniffliche Perspektive.

Und siehe da, als alle Schwierigkeiten über­wunden waren, hatte sie ihreolympische" Ruhe wieder.

Das dachte sie, als sie die Treppe hinabsrieg, beim Läuten der Tischglocke.

Nach dem Essen saß man im Zimmer des Konsuls beisammen. Bei Zigarre und Mokka plauderte sich's am gemütlichsten.

Tante Sophie strickte an einem bunten Kopfshawl von feinster Wolle eine Arbeit, die trotz ihres Fleißes auf ein Jahr berechnet gewesen und jetzt beinah' vollendet war.

Kläre hatte eine zierliche Kleinigkeit vor, mit Goldfäden und loser Seide ein Geburtstags­geschenk für eine ihrer vielen Freundinnen.

Lotte that nichts. Sie that in Gesellschaft nie etwas; sie ruhte sich, sah und hörte. Die Hände ums Knie gefaltet, lauschte sie dem Gespräch an­scheinend sehr aufmerksam. Dian war es an ihr gewöhnt, daß sie in ihrer lebhaften, heitern Art