Die Kungerffeine.
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in die Unterhaltung eingriff. Heut fiel ihre Einsilbigkeit ihrem Vater ein paarmal aus. „Fehlt dir etwas?" fragte er. Aber sie lachte ihn aus.
Onkel Friedrich, ein Vetter Berghauers, war ein kleiner, hagerer Herr mit einem mächtigen Schädel. Er schien immer auf dem Katheder Zu stehn und seine scharfaccentuierten Reden auf weite Entfernungen zu berechnen. Er war die Würde und Feierlichkeit in Person. Niemals hörte man ihn scherzen.
Kläre hatte ihn Onkel „UebrigenS" getauft, weil er dies Flickwort besonders häufig anwendete. Sie war immer in Gefahr, ihm ins Gesicht zu lachen. Denn sein gemachtes Pathos und sein unerschütterliches Selbstbewußtsein schienen ihr neben dem natürlichen Wesen ihres Vaters zu drollig.
Uebrigens war sie sein Liebling, während Lotte gar nicht in sein System paßte. Er hielt ihre Erziehung für vollkommen verfehlt.
„Guter, ehrlicher Kerl — aber Scheuklappen," pflegte Berghauer von ihm zu sagen.
Allerlei Gesprächsstoffe waren schon in der sried- samen Stimmung abgehandelt worden, die den Menschen nach einem guten Mahle überkommt. Onkel Fritz zündete sich eben die dritte Zigarre an und sog fast andachtsvoll das köstliche Aroma in die imposante Nase.
„Uebrigens," sagte er dabei in kurzen Absätzen, „übrigens hat mir Sophie zu meinem Erstaunen mitgeteilt, daß du — respektive ihr — die Bekanntschaft dieses — äh — Litteraten Schwarz gemacht hättet —"
Der Konsul zwirbelte an seinem Bart, um ein Lächeln zu verstecken. „Na," meinte er gutmütig, „könntest für den Mann am Ende wohl 'ne andre Vokabel ausfindig machen."
Der Professor nickte, langsam die nah zusammenstehenden Augen schließend und wieder öffnend. „Einerlei. Lassen wir übrigens die Frage — die nicht gerade wesentlich ist — äh — offen."
„Jawohl, lassen wir sie offen," brummte Berghauer voll Humor. Er warf unwillkürlich einen Blick auf Lotte, seine Gesinnungsgenossin. Aber sie achtete nicht auf ihn. Blaß, unruhig, voll Spannung sah sie zu Onkel Fritz hinüber.
„Hubert Schwarz ist unser Freund," fuhr der Konsul nachdrücklich fort.
„Freund?" wiederholte der Professor, die buschigen Augenbrauen unwillig in die Höhe ziehend. „Ich meine, Freund darf man mit vollem Recht nur jemand nennen, mit dem man sich wenigstens in den Grundanschauungen des Lebens völlig eins weiß."
„Na also! Stimmt ja. Kennst ja mein Credo: ehrliches Streben, anständige Gesinnung. Alles andre Quark."
„Hm — ich weiß ja allerdings, daß du sehr frei denkst — politisch sowohl wie in Rücksicht auf die Moral —"
„Na ja. Aber was hat das mit dem Hubertus Zu schaffen?"
Kläre bemerkte, daß ihr die Seide ausgegangeu sei. Sie ging hinaus, um neue zu holen. Draußen aus der Treppe trillerte sie wie eine Lerche, die der Gefangenschaft glücklich entschlüpft ist.
Mber Land und Meer. Jll. Okt.-Yeste. XIV. io.
„Gott sei Dank!" sagte Tante Sophie und hob die Augen gen Himmel. „Das war nichts für das Kind."
„Zum Kuckuck, was habt ihr denn?" fragte Berghauer mißtrauisch. „Was soll die ganze feierliche Vorrede?"
„Ich habe dir Dinge von dem jungen Herrn mitzuteilen —" Der Professor warf einen Blick auf Lotte.
„Wollt ihr etwa die Lolo auch 'rausschicken? Lolo, bist du feig?"
„Nein, Papa," sagte Lotte ruhig. Aber er bemerkte, daß ein nervöses Zittern ihren Körper durchflog.
So blieb es ihr also doch nicht erspart. Aus Tante Sophies Gesicht lag die innigste Genug- thuung, daß Lotten endlich die Augen geöffnet werden sollten über „ihren Dichter". Das gab dieser die Kraft, ruhig aus ihrem Platz zu bleiben, obgleich sie am liebsten davongelaufen wäre.
„Ihr kennt die ,Büßest" sagte der Professor feierlich, „die Geschichte eines sündigen Paares, das seinen Fehltritt durch eine Heirat kurz vor Thores- schluß noch zu vertuschen sucht, — aber — aber —! Die beleidigte Sitte! Sie rächt sich fürchterlich an ihnen. So oft sie auch versuchen, sich wieder unter die anständigen Leute zu mischen — es gelingt ihnen nicht. Der Fleck ist nicht auszulöschen. Und so bleibt ihnen nichts als — der Tod."
„Ja," murmelte Berghauer, „so machen wir'S! Wenn eins ausgeglitten ist und sich im Staube wälzt und nicht wieder empor kann ohne eine reine helfende Hand — wir lassen ihn liegen. Vielleicht stoßen wir ihn noch mit einem Fußtritt zur Seite, wenn er uns im Wege liegt. Das ist unsre vielgerühmte Sittlichkeit —"
„Das Stück," sagte der Professor mit erhobener Stimme, „ist eine Art Beichte."
„Was? Er hat doch nicht irgendwo eine Frau sitzen, der Schwarz?"
„So weit geht die Ähnlichkeit allerdings nicht. Aber bis zu einem gewissen Punkt, — es ist auch Nachwuchs da —"
Berghauer blieb ganz ruhig. „Hab' mir längst so was gedacht. Das Pathos in dem Stück! Die wilde Empörung — das ist erlebt, das saugt sich einer nicht aus den Fingern. Wer ist denn die Person?"
Der Professor wurde ganz eifrig.
„Ja, das schlimmste ist: sie hat in der Marienstraße einen kleinen Papierkram — dicht neben der Seibtschen höheren Töchterschule. Unsre Kinder, die Heranwachsenden jungen Mädchen aus den besten Familien kaufen von diesem — äh — Frauenzimmer. Unterstützen also ein solches Geschöpf auf Kosten unsrer anständigen Frauen und Mädchen."
Berghauer lächelte grimmig. Er murmelte etwas, das wie „o 8auet,g. 8imMoit,a8" klang.
„Aber ich kenne meine Pflicht," fuhr der Professor unerschütterlich fort. „Ich werde nicht verfehlen, Herrn Direktor Seibt, der mir befreundet ist, auf diesen Umstand aufmerksam zu machen."
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