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Die Kungersteiue.
„Uebrigens ein ungemein glücklicher Zufach lieber Wilhelm, daß mich meine dogmatischen Studien gerade jetzt in die Reichshauptstadt geführt haben," sagte er voll Pathos. „Da Hab' ich also das Vergnügen, euch ein paar Tage früher — äh — begrüßen zu können. Uebrigens" — und er sah mit Bedauern, daß nur Zwei Gedecke aufgelegt waren —, „wo find deine Töchter?"
„Na, kommen schon noch," meinte der Konsul jovial, drückte den Vetter auf seinen Platz nieder und gab dem Kellner einen Wink, aufzutragen. „Sind noch in der Stadt, sllopping, glaub' ich, oder sehn sich irgend was an. Bitte, bediene dich!"
Der Professor, der eben die Serviette auseinanderfaltete, hielt erschrocken inne. „Allein—? In der Stadt? Aber lieber Wilhelm!"
„Was denn?" fragte der Konsul ganz unschuldig, das Kinn behaglich auf die gefalteten Hände gestützt. „Werden doch nicht unter 'nen Wagen kommen, die großen Mädels. Und was sollt' ihnen denn sonst passieren?"
Der Professor beugte sich über den Tisch und flüsterte — der Kellner trat eben mit den Austern ein — hinter der vorgehaltenen Hand: „Diese Unsittlichkeit hier! Denke dir, mich hat gestern abend eine Person angesprochen —"
Berghauer verbiß ein Lächeln. Der Ton der tiefsten Empörung, mit dem der gute „OnkelUebrigens" von diesem Attentat berichtete, war drollig genug. „Ja, so was kommt vor," schmunzelte der Konsul, einschenkend. „Na, probier mal. Die Marke kann ich dir empfehlen."
Die Gegenwart des Kellners, der, jedes Winks gewärtig, im Hintergründe stand, verbot jede intimere Unterhaltung. Berghauer erzählte auch so interessant und mit so vielem Humor allerlei Reise-Erlebnisse, daß Onkel Fritz ihn mit Vergnügen reden ließ. Ueberdies wär's ihn: beinahe wie eine Sünde erschienen, wenn er den herrlichen Gottesgaben, die sein Vetter auftragen ließ, nicht volle Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Er war durchaus kein Asket und lobte den Schöpfer, indem er sich dankbar seiner Werke freute. So ein Fasan zum Beispiel... Und solche Morcheln. . . Onkel Fritz war fast feierlich gestimmt.
Endlich war man bei der Zigarre. Der Kellner stellte ein brennendes Licht vor jeden, fragte nach weiteren Befehlen und verschwand auf ein Zeichen Berghauers lautlos wie ein Schatten.
Nun wurde die Unterhaltung vertraulich. Allerlei Persönliches kam aufs Tapet. Berghauer hatte viel zu fragen über Dresdener Verhältnisse. Manches war geschehen in den zwei Jahren, Geburt und Tod, Glück und Unglück, mancher war emporgekommen durch einen günstigen Umstand, einen andern hatte es hinabgerissen.
Berghauer war's, als diese Summe menschlicher Schicksale an ihm vorüberzog, als sah' er auf das bewegte Meer. Hoch und tief, scheinbar regellos und doch gesetzmäßig, in ewigem Wechsel und doch ewig gleich, wälzte das Leben seine Wogen.
„Uebrigens muß ich gestehn," fuhr der Proseffor
Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Heste. XIV. 10.
dozierend fort, „ich bin ganz erstaunt über diesen
— äh — Hubert Schwarz. Er ist ja wohl derselbe, den du damals gewissermaßen protegiert hast?"
„Freilich!" rief Berghauer. „Hab' ich's nicht gesagt? Na, meine Protektion hat der nicht mehr nötig."
Der Professor setzte ein zweifelndes, gutmütig überlegenes Lächeln ans. „Es scheint ja. Indessen
— man weiß, wie so ein — äh — Tagesruhm gemacht wird."
„Gemacht? Wer sollt' denn dem Schwarz seinen Ruhm gemacht haben?"
„Freunde. . . Koterien... das hängt ja alles zusammen wie Schwefel und Pech, hebt sich gegenseitig in den Himmel, macht Geschrei —"
„Der nicht," sagte Berghauer ruhig. „Der stand ganz allein. Und wenn er durchgedrungen ist, allen Schikanen und Machenschaften zum Trotz, so schwer, so mühsam, aber so sieghaft, wie das Gute allemal durchdringt — "
„Nicht allemal, lieber Wilhelm. Meine ersten Bücher sind vor dreißig Jahren erschienen. Wer kauft sie? Wer spricht von ihnen? Während dieser Schwarz nach einem einzigen glücklichen Wurf überall bekannt ist, überall genannt wird —"
„Ja, mit den wissenschaftlichen Sachen!" begütigte Berghauer. „Das ist ja Kaviar fürs Volk. Uebrigens (ich kann ja auch mal ,übrigens' sagen), mit dem ,auf einmal', das sieht doch bloß so aus. Das bricht bloß so ,cmf einmal' ans Licht, wie die Blüte am Apfelbaum, hat aber schon lange dringesteckt und rumort in den braunen Aesten. Der Saft ist gestiegen und gestiegen. Die schwerste, wichtigste, undankbarste Arbeit, die geschieht immer ganz still und heimlich. Kein Mensch ahnt was. Aber wenn die Zeit gekommen und alles eine Blüte ist, dann rennen sie hin und wundern sich und wollen's nicht glauben. Na, siehst du, der Hubert Schwarz, der blüht jetzt auch."
„Ja, er blüht. Wir haben auf einmal einen neuen Propheten. Gestern hieß er Wildenbruch oder Sudermanu. Morgen heißt er — Gott weiß wie. Und immer dies blöde, blinde Gejohle, dies Ab- göttereitreiben mit kleinen Talenten. Als wenn wir Goethe nicht gehabt hätten und Schiller!"
„Na, wart's doch ab. Wer weiß, was die Leute in fünfzig Jahren über den Schwarz schreiben, wenn sie die ganze ,Ernte' beisammen haben von dem Apfelbaum. Hast du, apropos, sein Stück gesehn?"
„Unerfreulich!" sagte der Professor achselzuckend. „Einfach unbegreiflich, daß das schön sein soll!"
Berghauer lächelte. „Er ist hervorgerufen worden?"
„Ja. Und benahm sich wie — mich ärgerte sein Gesicht. Affektiert. Ruhig. Finster. Nicht wie ein Mensch, der voll gerührter Dankbarkeit den Jubel des vollen Hauses entgegennimmt."
„So," sagte Berghauer mit milder Ironie, „bedanken soll er sich auch noch?"
„Ich dächte!"
„Da könnt' sich ja auch das Karnickel bedanken, das sie zur Ehre der Wissenschaft bei lebendigem Leibe zerschneiden."
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