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Ueber Land und Neer.
„Aber lieber Wilhelm!" >
„Sieh mal, 's ist nämlich beinahe dieselbe Ge- ^ schichte. Bloß daß so ein armer Skribifex sein ^ eigner Vivisektor ist. Die Vorsehung, scheint's, ! setzt so ein unglückliches menschliches Versuchstier > extra in die Welt, damit es alles, was der Zeit ^ Wehthut, an sich selber spürt und — uota bems — beschreiben kann."
Der Professor hob abwehrend die Hände.
„Und siehst du," fuhr Berghauer unbeirrt fort, „wenn er dann so einen schmerzenden Nerv der Zeit berührt. . . und ein allgemeines Echo antwortet ihm... es klingt wie Jubel, ist aber bloß ein Wehgeschrei aller, die sich getroffen fühlen — das nennt man dann: Erfolg."
„Eine etwas paradoxe Auffassung, lieber Wilhelm. Uebrigens — du überschätzest den Mann. Du bist ja geradezu begeistert."
„Ja!" ries Berghauer laut. „Ich Hab' graues Haar. Aber wenn einer was kann, wenn er mir ins Herz greift und ich spüre in seinen Sachen etwas von den ewigen, großen Weltgesetzen — ob er dann jung ist oder alt, ein armer Schlucker ^ oder ein vornehmes Tier — ich verehre ihn. Und das Hab' ich ihm ganz offen gesagt, als ich ihn ausgesucht habe."
„Du hast ihn — ? Aber Wilhelm, er hätte ^ dich doch..."
„Haha! Wer weiß denn von dem Konsul Berghauer im großen Berlin? Aber von Hubert Schwarz weiß man. Sind übrigens schon ein paarmal sehr vergnügt zusammen gewesen."
„Und deine Töchter?"
„Der Kläre geht er noch über den Fip, ihren Seidenspitz . . . Kannst dir doch denken in dem Alter..." -
„Aber Lottchen? — Da ist mir noch eine gewisse Scene erinnerlich —" I
Ein Schatten flog über Berghauers Gesicht. „Ach, die Lotte!" warf er hin. „Ueberhaupt das ,WeibU Seit es zu denken anfängt, Einzelwesen ! wird, giebt's einem noch mehr Rätsel auf, als sonst. ! Jur allgemeinen vertragen sich die beiden .Künstlern"
Tappert versank in bedächtiges Schweigen. Er hob Zerstreut fein Glas in die Höhe und fetzte es wieder ans den Tisch, ohne Zu trinken. Dafür rauchte er desto eifriger, und erst als ein Häuflein Asche ihm auf die etwas abgetragene Weste fiel, fuhr er hastig aus und klopfte sie herunter.
Der Konsul hatte harmlos weiter geplaudert.
„Wilhelm," unterbrach ihn der Vetter jetzt mit erregter Miene, „eigentlich begreif' ich doch nicht, daß du, als Vater Zweier Töchter, diese Bekanntschaft erneuern konntest."
„Ei, zum Kuckuck! Warum denn nicht?"
„Nun, so ein halber Proletarier — und unsre Familie!"
„Ich Hab'noch keinem seine Geburt nachgetragen."
„Das will ich ja auch weniger — indessen, du weißt, dies schamlose Verhältnis —"
Berghauer lächelte. „Sieh mal, Professor, ich bin auch ein lockerer Vogel gewesen. Na, und du —!
Da fällt mir ein gewisses Gretchen ein, das bei deinen Eltern diente —"
Dunkelrot, nach Luft schnappend, erhob sich der Professor. „Hör mal, Wilhelm, das ist . . . das ist. . . nicht edel!"
„Edel? Nein. Aber — warum sollen wir nicht darüber reden?"
„Weil. . . weil —übrigens, wenn zwei dasselbe thnn," keuchte der Professor in höchster Empörung.
Berghauer zwang ihn lächelnd auf den Stuhl. „Beruhige dich nur, Professor. Was ich bloß sagen wollte: Jugend hat keine Tugend. Im übrigen ist mir's noch gar nicht ausgemacht, was tadelnswerter ist: ein Mädel, wenn wir's in die Tinte gebracht haben, einfach drin sitzen lassen und uns selber saldieren — oder die Methode von dem Schwarz: ordentlich wie ein richtiger Ehemann Zu ihr zu halten, ihr das schwere Schicksal zu erleichtern —"
„Und der Welt ein Aergernis geben, uns selber alle Thüren vor der Nase zuwerfen, haha!" lachte Tappert wütend.
„Nur still, Professor. Reg dich nicht auf! Worauf es für den Mann ankommt bei so einer Geschichte, ist doch einfach: nicht stecken bleiben im Sumpf, was?"
Der Professor nickte widerwillig.
„Wie leicht einer hineingerät, das wissen wir ja. Eine lustige Stunde, ein Glas zu viel — da ist auf einmal der Boden unter den Füßen weg. Und bei jeder Anstrengung, emporznkommen, gerät man tiefer hinein. Es ist förmlich wie ein Wunder, wenn's einein gelingt, ohne Hilfe, durch seine eigne Kraft, wieder auf festen Boden zu kommen. Nun, dem Schwarz ist das Kunststück glänzend gelungen. Der klettert jetzt weiter, lieber den sprechen wir uns noch . . . Aber die Frau — und da wollt' ich dich doch fragen — "
Der Professor hob in tiefster Indignation die Hände. „Verschone mich mit diesem Thema!"
„Entschuldige nur. Ich Hab' deine zarten Gefühle verletzt. Aber, steh mal, du fühltest dich gewissermaßen verpflichtet, der Person den Brotkorb höher zu hängen —" sagte Berghauer mit sanfter, nicht ganz fester Stimme.
Tappert zuckte die Achseln.
„Ich habe allerdings meinem Freunde, Direktor Seibt. . . Meine Warnung war hochwillkommen. . . Der Mann hätte die peinlichsten Unannehmlichkeiten... Denke doch: Töchter ans den besten Familien —"
„Nun?" fragte Berghauer noch sanfter. Es schien ihm etwas in der Kehle Zu sitzen, so wenig Klang war in dein Wort.
„Was weiter? Du fragst mich zu viel. Was geht dich und mich das an? Soviel ich weiß, ist die Person aus der Gegend verschwunden, nachdem der Bastard glücklicherweise gestorben war... Ah! Sieh da! Endlich!" unterbrach er sich. „Unser Klärchen! Herrgott! Und eine richtige junge Dame geworden!"
Und Tappert erhob sich mit einer Beweglichkeit, die niemand ihm zngetraut hätte, und ging dem jungen Mädchen entgegen, das lachend eingetreten war.