Heft 
(1897) 10
Seite
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Die Kungersteiiie.

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Gott sei Dank!" murmelte Berghauer, indem er ans Fenster trat und die Stirn an die Scheiben drückte. Das Glas lief an von der Glut, die ihm entströmte. Ihm war's, als müsse er um sich schla­gen, losschreien oder sonst was Verrücktes thnn, um Luft zu kriegen.

Herrgott, bist du denn immer noch so ein Esel! raisonnierte er in sich hinein. Bist doch alt genug. Kennst doch die Leute. Und so ein armer Drops, oer bis über die Ohren in Gelehrsamkeit steckt und doch nicht selber denken gelernt hat, so ein armes Roß, mit Scheuklappen, das sein Lebtag gelenkt ist von deröffentlichen Meinung", das kann dich in Harnisch bringen? Kindisch wie der Xerxes, der das Meer peitschen ließ, weil's ihm seine Flotte zertrümmert hatte! Schäm dich, alter Knabe!

Als er sich umwandte, um Kläre zu begrüßen, schien er ganz der heitere, vornehme, etwas weit­herzige und leichtlebige Kavalier, als den er sich zu geben liebte.

Für den Professor war's ein seltenes Vergnügen, in der Gesellschaft seines generösen Vetters und der beiden schlanken Mädchen die Großstadt zu genießen.

Er selber hatte nie in glänzenden Verhältnissen gelebt. Deshalb erfüllte ihn die Leichtigkeit, mit der Berghauer Geld ausgab, mit Bewunderung und Hochachtung.

Zuerst hatte Dappert Wohl den Versuch gemacht, für sich selber zu bezahlen. Aber da kam er gut an bei Berghaner.

Herrgott, seid ihr engherzig! Ich hab's doch dazu. Und ich weiß, du hast's nicht. Das ist mir ja 'ne Freude, dir ein Stück Berliner Leben zu zeigen."

Aber ich kann mich ja nicht revanchieren, Wilhelm."

Zum Kuckuck, muß denn immer revanchiert werden? Der ganze Verkehr in der sogenannten Gesellschaft ist ja dann schließlich nichts als ein Tauschgeschäft. Wo bleibt da Freiheit und Gastlich­keit? Denkst du, ich geniere mich im mindesten, von einem, der mehr hat als ich, etwas anzu­nehmen?"

Ja, lieber Wilhelm, du! Wenn ich dich höre, ist mir's immer, als seh' ich einen den großen bequemen Weg, der für alle gemacht ist, und auf dem alle gut und zufrieden vorwärtskommen, ab­sichtlich liegen lassen und sich durch allerlei Gestrüpp, Zwischen Steinen und Wurzeln, so was wie eine Schneise bahnen. Bloß um was andres zu haben als .alle Welt'."

Na, ein bißchen anders ist die Geschichte denn doch," lachte Berghauer.Sieh mal, ich geh' nicht um den Berg 'rum, oder über den Berg 'nüber nein, mitten durch den Berg marschier' ich. Wozu hätt' ich denn meinen Namen Berghauer?"

Ah! dioraen ntqus omon!"

Ja. Meine Vorfahren mögen vielleicht richtige Bergleute gewesen sein. Ich hau' mich bloß noch figürlich durchs Gestein. Ueberall grab' ich mir meine Tunnels. Da schneid' ich ab, da spar' ich

eure Umwege. Da find' ich allerlei, was ihr drau­ßen ans eurem breiten, sonnigen Wege nicht habt. Und euren Ballast, den schlepp' ich auch nicht mit. Schneller vorwärtskommen! Nicht aufhalten. Das ist's! Herrgott, wieviel Zeit Hab' ich denn noch mit meinen sechzig Jahren?"

Du bist freilich noch sehr .jugendlich'," meinte der Professor etwas zweideutig. Aber er ließ sich nun doch ohne Bedenken freihalten und mitnehmen. Hauptsächlich der beiden jungen Damen wegen. Denn auch Kläre, sein Liebling, war jetzt voll erblüht.

Sie war ihrer Schwester noch über den Kopf gewachsen und ein Bild frischester Gesundheit. Ihre schalkhafte, manchmal noch ganz kindliche Lustigkeit machte im Gegensatz zu ihrer Germaniapracht einen eignen Reiz an ihr aus.

Sie kam jetzt zwar nicht mehr in die Verlegen­heit, dem gutenOnkel Uebrigens" ins Gesicht zu lachen. Dafür war er ihr aber heimlich eine un­erschöpfliche Quelle des Vergnügens. Und er war harmlos genug, all ihre Schelmereien ernst zu nehmen.

Gegen Lotte konnte er ein gewisses Mißtrauen auch jetzt nicht überwinden. Es lag so allerlei in ihrem Gesicht, das er sich nicht erklären konnte. Kalt und überspannt," fertigte er sie im stillen ab.

Ruhig und vornehm reserviert, das war der erste Eindruck, den sie auf Fremde machte. Wer gut in Gesichtern zu lesen wußte, der merkte ihr wohl ein Erlebnis an. Onkel Tappert aber verstand sich besser aus alte semitische Handschriften, als auf die feineu Züge, die das Leben in ein junges Ant­litz gräbt.

Onkelcheu," fragte Kläre eines Tages,sag mal, hast du denn mein .Erbstück' öfter gesehn?"

Sie wippte dabei vor Vergnügen auf ihrem Stuhl eine Angewohnheit noch aus der Kinder­stube her, stützte die rosige Wange auf die ge­faltete» Hände und sah ihn ans den Augenwinkeln mit bezaubernder Schalkhaftigkeit an.

Erbstück?" fragte Tappert. Er glaubte sich verhört Zu haben, da er in seiner geistigen Schwer­fälligkeit noch immer an dem vorigen Thema klebte.

Na ja! Den Doktor Wedekind mein' ich. Ich krieg' ja, als Jüngste, manchmal etwas Ab­gelegtes von der Lotte."

Aber liebes Klärchen!" Der Onkel war starr.

Sieh mal, zuerst hat der Papa ihm geschrieben. Aber dann er ist kein Freund vom Briefschreiben hat er ihn an die Lotte abgeschoben."

Lotte warf dem Uebermut einen strafenden Blick zu. Eine leichte Verlegenheit überfiel sie, wenn sie an den immer wärmeren Ton dachte, den Karl Wedekinds Briefe allmählich angenommen hatten.

Aber Lotte hatte ja zu malen," sagte Kläre leichthin.Und da ich weiter nichts zu thun hatte, hat sie ihn mir vermacht. Und nun Hab' ich ihn."

Bilde dir nichts ein," spottete Berghauer.Der hält dich für 'n komplettes Baby!"

Das ist ja gerade der Spaß!" Und sie wippte noch toller mit dem Stuhl.Herrgott! Wie dumm sind doch die Männer!"

Onkel Uebrigens" that ihr den Gefallen, im