Heft 
(1897) 10
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Ueöer Land und Weer.

tiefsten und feierlichsten Ernst sein Geschlecht gegen diese Beleidigung in Schutz zu nehmen.

Gott, Onkelchen, hätt' er sich's denn nicht ein­fach ausrechnen können, daß ich achtzehn werde? Aber er bleibt unentwegt bei seinem ,väterlichen" Ton. Im ,letzten" fragt er noch, ob ich lieber Pralines esse oder gebrannte Mandeln. Er will mir wahrscheinlich eine Bonbonniere schenken."

Alle lachten. Selbst Tappert verstand sich zu einem halben Lächeln.

Na das Gesicht, wenn ich plötzlich in Lebens­größe vor ihm stehe! Darauf freu' ich mich am meisten!"

Ich dächte, auf Tante Sophie, deine zweite Mutter, müßtest du dich am meisten freuen," morali­sierte der unverbesserliche Onkel.

Ach Gott, ja! Gewiß, auch auf Tante Sophie. Aber das ist ja ganz was andres."

Auch Berghauer unterdrückte einen Seufzer. Kläre war draußen, wie er meinte, doch ein bißchen verwildert. Dann hörte er mit großem Interesse zu, wie der Vetter allerlei gute Dinge von Karl Wede- kind zu erzählen wußte. Er sei einer der gesuchtesten und beliebtesten Rechtsanwälte geworden. Ein paar glänzende Verteidigungen bei recht hoffnungslos scheinenden Fällen hätten ihm schnell Ruf und Kund­schaft verschafft.

Für den nächsten Tag war eine Partie nach dem Zoologischen Garten verabredet worden.

Kläre bestürmte den Onkel, der übermorgen ab­zureisen gedachte, sich ihnen anzuschließen.

Denke doch bloß, all die geputzten Menschen! Und dann die Tiere! Onkelchen, schon bloß so ein Nashorn oder ein Elefant!"

Tappert schüttelte lächelnd den Kops.Diese untergeordneten, vernunstlosen Geschöpfe interessieren mich nicht im mindesten."

O Gott! Aber die Bären, Onkel! Und nun erst die entzückenden Affen!" ries Kläre mit ihrer unschuldigsten Miene.

Der Hubert Schwarz ist auch von der Partie," sagte Berghauer.Da kannst du dich also, wenn du willst, an die Menschen halten."

Dies gab den Ausschlag.

Du kennst meine Grundsätze, Wilhelm," sagte der Professor mit Aufbietung all seiner imposanten Würde.

Schade!" sagte Kläre heuchlerisch.

Schade!"sagte Berghauer.Wird dir leid thnn."

Man trennte sich also mit einem:Aus Wieder­sehn in Dresden!"

-i-

Am nächsten Tag war das herrlichste Maiwetter, um einige Wochen verfrüht, denn es war erst Mitte April. Aber alles ließ sich nach dem Wonnemond an.

Die Sonne brannte schon förmlich, und die Vege­tation hatte plötzlich einen Sprung gemacht.

Im Tiergarten zeigten die Sträucher schon ihr gelbliches Grün. Manche blühten, in Goldfarbe, Feuerrot, Rosa und Weiß. Auch in die Baum­zweige kam Leben und Farbe. Sie glänzten wie

geschwollen vom üppigen Saft. Die Knospen sprengten ihre Hüllen. Gleich grünen, braunen, violetten Schleiern lag es über den Kronen.

Auch die Spaziergänger hacken Frühling gemacht. Eine ganze Musterausstellung von neuen Toiletten bewegte sich im Zoologischen Garten.

Die hohen und schlanken Erscheinungen der beiden Berghauerschen Mädchen fielen durch ihre schlichte Eleganz besonders auf.

Sie hatten kaum den Park betreten, als ihnen ein Herr grüßend entgegentrat. Berghauer drückte ihm herzlich die Hand. Kläre, die demDichter" eine regelrechte Schwärmerei entgegenbrachte, er­rötete bis hinter die feinen Oehrchen. Lotte war ruhig und gelassen geblieben. Aber ein schärferer Beobachter, als die Ihrigen waren, hätte bemerken können, daß sie leicht erblaßt war.

Hubert, der in betreff Lottes feinfühlig war bis zur Hellseherei, ließ sich durch ihre gemessene Begrüßung nicht über den tiefen Eindruck täuschen, den sein Erscheinen auf sie gemacht hatte.

Hubert Schwarz hatte sich in mancher Hinsicht sehr, in andrer wieder gar nicht verändert. Er kleidete sich gut, wenn auch einfach und unauffällig. Sein Wesen war ruhig und sicher, still beobachtend und wenig entgegenkommend. Die dunkeln Partien über den Augen hatte sein junger Ruhm nicht hin­weggelöscht, aber sein Lächeln, das etwas bezaubernd Freundliches hatte, erhellte sie und gab dem hageren, asketischen Gesicht weichere Züge.

Er ist wohl sehr geschwollen, der neue Tages­götze?" hatte der Professor seinen Vetter gefragt.

Geschwollen?" gab der zurück.Na, sieh mal, jeder freut sich wohl, wenn er durchgedrnngen ist. Das ist ja das Schwerste: Bresche machen. Nun verschnauft er mal. Er weiß, das bisher ist bloß 'ne Etappe. Das Schlimmste kommt jetzt erst: be­weisen! Das ist bekanntlich schwerer als behaupten. Einen Glückstreffer kann jeder machen. Aber durch das Spätere zeigen, daß die blinde Henne nicht bloß das bewußte Korn gesunden hat, siehst du, Professor, darauf kommt's an."

Der brave Berghauer, der bei seiner kosmo­politischen Vagabundage Berühmtheiten in aller Herren Ländern kennen gelernt, hatte noch keinen gesehn, dem der erste Erfolg so wenig zu Kopse gestiegen war, wie dem Hubert Schwarz. Das hielt er für ein gutes Zeichen.

Aus jedem Lobe, das Hubert gespendet wurde, waren ihm, wie aus Drachensaat, eine Handvoll Feinde erwachsen. In der Presse zerschlugen sie sich die Köpfe um ihn. Aber was kümmerte ihn das? Es waren Begleiterscheinungen, Kreise im Wasser, wenn man einen Stein hineingeworsen hat.

Ueberall wurden Veilchen angeboten. Die bei­den Mädchen hatten sich ein paar Sträuße vor die Brust gesteckt. Es duftete, als wenn der Frühling mit ihnen ginge.

Jedem war's, als sei heut ein ganz besonderer Glückstag. Wer noch etwas zu hoffen hat, besorgt es gewiß an so einem weichen, verheißungsvollen Frühlingstag am eifrigsten. Alten und Kranken