Heft 
(1897) 10
Seite
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Die Kuilgersteine.

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schleichen sich längst vergessene Träume in die Brust. Und nun junge Menschen!

Dazu das phantastische Getier, das nach der langen Winterklausur sich draußen freute und allerlei tolle Sprünge machte! Sogar über die vorflutlichen Kolosse schien eine beweglichere Heiterkeit gekommen. Kakadus und Papageien schaukelten sich schwatzend und kreischend in ihren Ringen, und die Affen, diese Harlekins der Natur, gaben die wildesten Purzel­bäume und Grimassen zum besten.

Kläre war in Hellem Entzücken. Sie lies von einem Käfig zum andern und ließ niemand zu Atem kommen. Keine Spur von Sentimentalität war in diesen: kraftstrotzenden, frischen Geschöpf. Aber sie schien feinere Sinne zu haben für die Tierwelt, ein tieferes, mitfühlenderes, warmherzigeres Verständnis als andre.Das ist mein einziges Talent, Papa," sagte sie, als Berghauer sie darum neckte.

Und dann entdeckte sie plötzlich in einem riesigen Pavian, der würdevoll auf der Erde kauerte und blinzelnd, mit tiefstem, feierlichstem Ernst an einer Rübe knabberte, eine Aehnlichkeit, die sie ihrem Vater ins Ohr flüsterte.

Gott sei Dank!" rief er lachend,daß wir den Tappert nicht mit haben."

Niemand bemerkte, oder wollte es bemerken, daß Charlotte ernster und stiller war als gewöhnlich. Es schien ein Druck über ihr zu liegen, aus dem sie sich manchmal gewaltsam herausriß. Aber die künstlich emporgeschraubte Stimmung hielt nicht vor. Und so war ein ewiges Ans und Ab in ihrem Wesen, das den stärksten Gegensatz zu Huberts gleich­mäßig guter Laune bildete.

Er wandte sich auch immer wieder an Charlotte und machte gar kein Hehl daraus, daß sie für ihn die Hauptperson sei. Und dies geschah nicht mit der Absichtlichkeit des Courmachers, der Galanterie des Liebhabers, der zwischen Furcht und Hoffnung schwebt. Nein, in seinem ruhigen, zielbewussten Ernst lag eine so hohe Achtung, eine so kameradschaftliche, zartsinnige Liebe, wie sie ihr noch kein Mann ent­gegengebracht hatte.

Und so war er gleich am ersten Tag gewesen, nachdem sie sich zwei Jahre nicht gesehn hatten. Es hatte Charlotte sehr überrascht, ja ihren Stolz heftig gekränkt.

Als wenn es gar nichts gäbe in seinem Leben, das sie nach ihren strengen Begriffen auf immer trennte!

Er ahnte ja nicht, was sie damals in aller Stille mit sich selbst abgemacht hatte. Ein Mensch, zu dem sie emporgesehn hatte, der ihr geistig so nahe stand, war eben auch nur ein Mensch.

In ihrer kühlen Höhe gab es nicht den leisesten Schauer eines sinnlichen Triebes. Ihr von der Liebe noch nicht berührtes Mädchenempfinden schreckte vor den dunkeln Mysterien zurück, die überall so geheimnisvoll durchs Leben spuken und deren Macht sie grausend empfand.

Damals schien's ihr, als hätte ihr ganzes Dasein einen Stoß bekommen, aus seiner stolzen, Hellen, heitern Bahn heraus in dunkle, häßliche Nebenwege.

Und wie alle Geschöpfe, die mehr mit Geist und Nerven leben als mit den Sinnen, wurde sie auch in ihrem Körperlichen viel tiefer getroffen, als die treibende Lebenskraft erlahmte. Sie hatte alle erschreckt durch ihren plötzlichen Verfall. Aber Berg- haner hatte das beste Mittel gefunden, sie aus ihren heimlichen Grübeleien herauszureißen.

,Gott sei Dank/ dachte er, als er sah, wie sie mit ganzer Seele bei der Kunst war, ,das hat sie untergekriegtck Er war stolz über ihre Fortschritte. Die Veranlassung zu der Reise trat allmählich bei ihm so ganz in den Hintergrund, daß er, leichtherzig und optimistisch wie immer, ans der Rückreise un­bedenklich seinen berühmt gewordenen Schützling wieder aussuchte.

Charlotte hatte mit keinem Wort dagegen ge­sprochen, ihn ganz sicher gemacht. Erst als Hubert anfing, Charlotte auszuzeichnen, ja unzweifelhaft als Bewerber" auftrat, wurde ihm die Sache fatal. Er begann die Liebesgeschichte als eine Art Patience anzusehn, bei der kein Mensch im voraus wissen konnte, ob sie aufgehn würde.

Es wurde schon um sieben Uhr dunkel, und daran merkte man, daß man noch nicht wirklich im Mai war. Auch machte sich die Weiche, ermüdende Wir­kung der Frühlingsluft allmählich bemerkbar. Jeder sehnte sich nach einem Nuheplätzchen und nach einer Stärkung. Die Wege wurden leer, die Terrasse füllte sich.

Die kleine Berghauersche Gesellschaft hatte aber nicht Lust, sich unter die Menge zu mischen, wo man kein Wort reden konnte, das nicht von neugieriger: Ohren ausgefangen wurde. Auch war's noch so milde, daß sie ganz gut im Freien bleiben konnten.

Die Musik drang gedämpft bis herüber. Vor ihnen lag der See, um den phantastische Wasservögel stolzierten oder, den Kops unter die Flügel gesteckt, in sonderbaren Stellungen schliefen. Schwarze und weiße Schwäne zogen langsam ihre Kreise. Die Laternen spiegelten sich, und lange Lichtstreisen zit­terten über die leichtgekräuselte dunkle Oberfläche hin.

Charlotte war jetzt ganz verstummt. Ihre Schweigsamkeit, die keiner von der kleinen Gesellschaft aus die Dauer ignorieren konnte, schien auch Hubert allmählich um seine gute Laune zu bringen. Vorüber­gehend machte er ein ernstes Gesicht. Aber Kläres Munterkeit, die in demselben Grade wuchs, als die ihrer Schwester abnahm, hielt die allgemeine Stim­mung aus der Höhe.

Lolo," sagte Berghauer endlich,ich weiß nicht, ist das von den Laternen, oder friert dich? Du siehst so blaß aus."

Lolo schauderte heftig zusammen.Es wird doch ein bißchen kühl," sagte sie und drehte den Kops, daß ihr Gesicht in den Schatten kam.

Gehn wir hinein," rief Kläre, der es hier nun doch einsam wurde.

Nein, dann lieber nach Hause."

O!" rief Kläre langgedehnt, und auch Berghauer sagte bedauernd:Es ist noch so schön draußen, Kinder."